Neuer Vorstand wird gewählt: Bremens Grüne wollen attraktiv werden
Nach der schlechten Landtagswahl wählt die Partei einen neuen Vorstand. Eine Meeresforscherin und ein Drehbuchautor aus Tschechien wollen übernehmen.
Für die zwei Führungspositionen im grünen Landesvorstand gibt es genau zwei Kandidat*innen: Franziska Tell, 28-jährige, frisch gewählte Bürgerschaftsabgeordnete und Meeres- und Klimaforscherin, und Marek Helsner, 54, Drehbuchautor und Mitglied im Beirat Schwachhausen, einem eher gut situierten Bremer Stadtteil.
Die beiden werden, wenn sie wie erwartet am Samstag gewählt werden, vor einer großen Aufgabe stehen: Sie sollen die Bremer Grünen wieder attraktiv machen, nach dem Absturz bei der vergangenen Wahl und trotz schlingender Ampel-Regierung im Bund.
In Bremen konnte sich die Partei zwar in der Regierung mit SPD und Linken halten. Doch ihre Fraktion ist geschrumpft, das Sozialressort haben sie abgeben müssen. Neben Finanzen blieb Umwelt, Klima, Energie und Wissenschaft in grüner Hand. Das klingt zwar alles typisch grün, bietet ohne Mobilität, Bau und Stadtentwicklung jedoch deutlich weniger Gestaltungsmacht. Die Bereiche hat nun die SPD.
Abgeordnete mit vielen Aufgaben
Franziska Tell ist eine von zehn Abgeordneten der Partei in der Bürgerschaft. Sie ist zuständig für die Politikfelder Bildung, Wissenschaft, Kinder, Datenschutz, Digitales und Medien – notgedrungen ganz schön viel. „Damit bin ich schon ganz gut ausgelastet“, sagt Tell. Auch deswegen habe sie sich die Entscheidung zu kandidieren nicht leicht gemacht. „Ich sage mal so: Ich hätte mich nicht dafür entschieden, wenn es andere Personen gegeben hätte.“
Die Trennung vom Amt und Mandat hat bei den Grünen Tradition. Sie ist aber längst nicht mehr so strikt wie früher, in Bremen ist das zudem gar nicht fest geregelt. „Es ist prinzipiell gut, Aufgaben auf verschiedene Schultern zu verteilen. Solange man in der Lage ist, das zu tun“, sagt Tell dazu.
Doch sie hat Bock auf die Arbeit, zusätzlich zu der als Abgeordnete: „Als Partei hat man ganz andere Spielräume“, sagt sie. Zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit anderen Ländern und dem Bund, auch könnten größere Themen bespielt werden. Vor allem will Tell aber den Kontakt zur Bevölkerung stärken – welcher der Partei zuletzt verloren gegangen schien.
Das hatte auch Anja Stahmann, Bremens langjährige Sozialsenatorin, im taz-Interview kritisiert. „Ich glaube, in der Vermittlung unserer Politik haben wir Fehler gemacht. Wir haben die Leute oft vor den Kopf gestoßen und einen Klassenkampf ums Auto losgetreten.“ Stahmann war nach der Bürgerschaftswahl von Amt und Mandat zurückgetreten. Schaefer ist dagegen immer noch Mitglied der Bürgerschaftsfraktion.
Lebensqualität statt Einschnitte
Wie soll Klimaschutz also in Zukunft vermittelt werden? „Wir müssen den Leuten zeigen, dass Klimaschutz und -anpassung Veränderung bedeuten, aber eben nichts Schlechtes“, sagt Tell und spricht von „mehr Grün in den Stadtteilen“ und „Lebensqualität“. Dass das auch sozial gerecht geht, habe man bereits im Wahlkampf gesagt, man sei damit aber nicht durchgekommen. Helfen sollen „noch mehr Kommunikation und Gespräche vor Ort, auch außerhalb vom Wahlkampf, wo alles so aufgeheizt ist“.
Dass die 28-jährige Tell vor allem bei jungen Menschen gut ankommen dürfte, legen die gut 2.300 Personenstimmen, die sie bei der Wahl bekommen hat, und ihre Arbeit im Vorstand der Grünen Jugend Bremen nahe.
Franziska Tell und Marek Helsner kennen sich: Sie kommen aus dem gleichen Kreisverband, haben in diesem Jahr gemeinsam Wahlkampf gemacht. Man verstehe und ergänze sich gut, sagen beide. Auch aufgrund der sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten.
Helsner ist 1977 erstmals in Bremen angekommen, als er acht Jahre alt war. Damals hatte er eine Flucht aus der Tschechoslowakei hinter sich, über verschiedene Orte in Deutschland. „In Bremen wurden wir aufgenommen“, erzählt Helsner. „Hier waren Menschen, die entscheidend geholfen haben, ohne die meine Familie ihren Weg nie hätte gehen können.“
Nach 30-jähriger Abwesenheit ist Helsner vor vier Jahren erneut hergekommen, mit Frau und Kindern. Er wurde Parteimitglied und begann sich einzubringen. Klimakrise sowie „Rechtspopulismus, destruktives Gebrüll und die Verbreitung von Unwahrheiten“ hätten ihn motiviert, sagt er. Inzwischen ist er Mitglied im Beirat Schwachhausen. Jetzt folgt die Kandidatur für den grünen Parteivorsitz. „Wir hatten ein schlechtes Wahlergebnis, da müssen wir nix schönreden. Die Notwendigkeit, grüne Politik zu machen, hat sich dadurch aber ja nicht verändert“, sagt er.
Innerparteilich ist seit der Wahl schon viel passiert
Wie Tell will auch Helsner auf Menschen zugehen, „aufsuchende Politikarbeit“ nennt er das. Aus dem Beirat kennt er den direkten Kontakt zur Bevölkerung. Den Job will er, auch wenn er am Samstag gewählt wird, weitermachen. Derzeit arbeitet Helsner, der Film studiert hat, auch als Drehbuchautor, zum Beispiel für die Krimiserie „Soko Wismar“ oder Fernsehfilme in der ARD.
Innerparteilich sei in den Monaten nach der Wahl bereits viel aufgearbeitet worden, erzählen beide Kandidat*innen. Helsner sieht „Motivation und positive Energie, in Bremen und in Bremerhaven“.
Auf die Kommunikationsprobleme von Ex-Senatorin Maike Schaefer im Bereich Verkehrspolitik angesprochen, sagt er: „Ich möchte nach vorne blicken“, Kompetenz und Kreativität innerhalb der Partei besser fördern und nutzen.
Einer der vermeintlichen Fehler der damaligen Verkehrssenatorin Schaefer, die „Brötchentaste“ an den Parkuhren kurz vor der Wahl abzuschaffen, wurde inzwischen von der SPD korrigiert. Das kurzzeitige Umsonst-Parken für kleine Erledigungen kommt also wieder.
Und wenn es doch darum geht, der breiten Masse Einschnitte zu vermitteln, am besten, ohne dass sie als solche wahrgenommen werden, will er weder eine positive Verpackung noch den erhobenen Zeigefinger. „Mir ist wichtig, dass wir als Grüne klarmachen: Wir wissen es nicht besser. Wir wollen Angebote machen und Lösungswege aufzeigen.“
Er hält es wie Tell: wissenschaftliche Fakten nennen und klar machen, dass eine klimagerechte Umgestaltung der Stadt letztlich keine Einschränkung ist – und dass Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammengehören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr