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Neuer Verhaltenskodex der AfDStrategischer Pragmatismus

Gareth Joswig
Kommentar von Gareth Joswig

Die AfD will künftig netter und weniger aggressiv wirken. Das bedeutet keinen Sinneswandel, sondern ist getrieben von der Angst vor einem Verbot.

Die AfD würde sich gern in einem freundlicheren Licht zeigen, aber dem völkischen Flügel um Björn Höcke gelingt das nicht Foto: Christoph Soeder/dpa

D ie AfD streitet mal wieder, derzeit jedoch heftiger und offener als zuletzt: Die Parteispitze versucht mit einer Inszenierung von Selbstverharmlosung und eines neuen Verhaltenskodex politisch anschlussfähiger zu werden und gleichzeitig neue Wählerpotenziale zu erschließen – Gruppen, die man nicht allein durch das herkömmliche Gepöbel im Bundestag, rassistische Widerwärtigkeiten oder geschichtsvergessene Tabubrüche ansprechen kann. Zudem will man dem Verfassungsschutz weniger Material für ein mögliches Parteiverbotsverfahren liefern.

Deswegen hat sich die AfD einen neuen Verhaltenskodex zur Mäßigung auferlegt und aus einem Positionspapier den rechtsextremen Kampfbegriff „Remigration“ gestrichen. Dass es sich lediglich um eine strategische Abgrenzung handelt, ist offensichtlich: Vor nur wenigen Monaten hatte Parteichefin Alice Weidel den Kampfbegriff noch selbst von der Parteitagsbühne gerufen und sich „Remigration“ ins Wahlprogramm geschrieben. Das war auch ein bewusster Kotau vor dem Kopf der völkischen Strömung, Björn Höcke.

Dass die Partei den Begriff nun aus einem Positionspapier gestrichen hat, hat innerhalb der völkischen Strömung wiederum für Empörung gesorgt: Es gibt Warnungen vor einer „Merkelisierung“ und Solidaritätsbekundungen an den Rechtsextremen Martin Sellner. Dass eine offensichtliche strategische Distanzierung schon innerhalb der radikalen Teile der Partei für Schockwellen sorgt, ist dabei äußerst entlarvend.

Der Streit zeigt einmal mehr: Wer sich innerhalb der AfD von völkischer Ideologie und Sellners „Remigration“ distanziert, kassiert einen Shitstorm, wie jüngst auch Maximilian Krah bewiesen hat – obwohl er in seinem Buch kürzlich selbst noch ähnliche Inhalte vertrat. Nun setzt er sich – zugespitzt gesagt – für eine Ghettoisierung von Deutschen mit Migrationshintergrund statt „Remigration“ ein, weil das eher im Einklang mit unserem Rechtsstaat stünde.

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Sein Sinneswandel passiert dabei wohlgemerkt nicht aus inhaltlicher Überzeugung, sondern auch hier: aus Angst vor einem Verbot und strategischen Erwägungen. Das sagt sogar Krah selbst: Er nehme nur den modernen und liberalen Nationalstaat in seinem Rechtspositivismus ernst. Es ist strategischer Pragmatismus. Krah sagt: „Dieser Staat ist, wie er ist. Er passt nicht zu dem, was unserer politischen Überzeugung entspricht, aber wir werden mit ihm auskommen müssen … Wir werden ihn auch nicht absehbar austauschen können.“ Letzteres sehen bestimmte Teile der AfD offensichtlich anders.

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Gareth Joswig
Redakteur Inland
Arbeitet seit 2016 als Reporter und Redakteur bei der taz. Zunächst in den Lokalredaktionen von Bremen und Berlin, seit 2021 auch im Inland und Parlamentsbüro. Davor Geschichts- und Soziologiestudium. Themenschwerpunkte: extreme Rechte, AfD, soziale Bewegungen, Mietenpolitik, dies, das, verschiedene Dinge.
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4 Kommentare

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  • Strategischen Pragmatismus kann man bei der AfD vergessen. Den Bogen haben die überspannt. Die lassen sich nicht mehr zurückpfeifen.

  • "Dieser Staat ist, wie er ist!" So viel schmerzhafte Selbstverleugnung meines politischen Erzfeindes? Man bekommt fast Mitleid. Nein, so ein Ende wünscht man sich der AfD nicht, sie soll ihre Menschenfresserparolen weiter laut krakelen und in Würde mit erhobenem Haupt sterben. So viel Respekt muss sein.🙏

  • Hat nicht Bernd Höcke schon vor Jahren ein ähnliches Anliegen als "politische Bettnässerei" bezeichnet?

  • Nur zu, die längst überfällige Spaltung der Partei ist ja, nun ja, längst überfällig, würde ich sagen.

    Ich erinnere mich noch an gute alte Zeiten, in denen am Wahlsonntagabend eine Restkategorie für rechte Splitterparteien ausreichte. Hach ja, früher (auch wenn ich junger Dummkopf untröstlich war, weil die Sportschau dauernd unterbrochen wurde usw.)