Neuer Roman von Rocko Schamoni: Als der König noch Sombrero trug
Neuer Mensch dank Punk: In Rocko Schamonis Roman „Pudels Kern“, der im Hamburg der mittleren 1980er spielt, wird eine DIY-Musikszene wieder lebendig.
Rocko Schamoni, der neue Stern am Bierhimmel, sang … wie der sterbende Schwan unter einem Lastwagen.“ Ein schönes Zitat, es stammt aus dem Oktober 1986 und war Teil einer taz-Rezension anlässlich eines Benefizkonzerts im Westberliner Tempodrom: Dort wurde Geld gesammelt für den „Wahren Heino“, ein Pseudonym des Kreuzberger Punks und Plattenhändlers („Scheißladen“) Norbert Hähnel.
Unter diesem Alias trat Hähnel in den 1980ern etwa im Vorprogramm der Dead Kennedys auf. Was dem anderen, berühmteren Heino nicht gefiel. Er verklagte „Scheißheino“ (taz). Weil Hähnel die Gerichtskosten nicht aufbringen konnte, drohte ihm damals Gefängnis. Glück im Unglück: 60.000 D-Mark wurden im Tempodrom eingespielt. „Berliner Heino sahnte ab“, titelte die Bild zum Happy-End.
Der „Wahre Heino“ war nur Vorbote dessen, was als „Funpunk“ im Westdeutschland der Kohljahre Konjunktur hatte. Dem aktivistischen und musikalisch eher einfältigen Politpunk der frühen Achtziger wurde durch situativen Humor (Schlagerschmalz statt drei Akkorde) und Style-Verwirrung (Sombrero statt Nieten-Lederjacke) ein Bezugsdelirium zwischen US-TV-Trash und Heinz-Erhardt-Wirtschaftswunder-Ästhetik entgegengesetzt.
Immer schön unorthodox
Dies untergrub linientreuen Deutschpunk für einen kurzen Moment. Bands wie die Goldenen Zitronen, die Ärzte und diverse weitere machten denn auch an jenem Abend im Tempodrom Rabatz, um Hähnel zu unterstützen. Mittenmang der Hamburger Sänger Rocko Schamoni, der mit Mikrofon im Mund von der Bühne stürzte.
Rocko Schamoni: „Pudels Kern“. Hanserblau, Berlin 2024. 301 Seiten, 26 Euro
Der „sterbende Schwan unter dem Lkw“ hat nun auch Eingang gefunden in Schamonis neuen autobiografischen Roman „Pudels Kern“. Schamoni ist zum Bestsellerautor geworden und tritt regelmäßig im Fernsehen auf (zuletzt etwa mit der „Rocko Schamoni Supershow“ in der ARD), während der Autor der Rezension, der ehemalige taz-Musikredakteur Thomas Böhm, in den 1990ern als Kolumnist einer Glosse über Hunde für das Berliner Boulevardblatt B. Z. tätig war und 2010 die rechtspopulistische Partei „Die Freiheit“ gründete.
Schamoni spart sich vielleicht auch deshalb Böhms Autorennamen. Mit Rechten hatte er bereits in den 1980ern Begegnungen, wie die Schilderung einer Klopperei auf Sylt zeigt, bei der Schamoni und einige Freunde „Skins verarbeiten“ – wie es lakonisch heißt. Eine Wahlverwandtschaft zur herrlichen Drastik der Comicserie „Clever & Smart“ wird – nicht nur – an dieser Stelle evident.
Nach den „Dorfpunks“
Mit „Pudels Kern“ hat Schamoni die langerwartete Fortsetzung seines Debütromans „Dorfpunks“ geliefert. Nachdem er zuletzt eher „historische“ Hamburg-Romane verfasste, ohne autobiografischen Bezug, handelt „Pudels Kern“ seine Jahre 1985 bis 1992 in der Hansestadt ab. Schamoni hatte damals die ostholsteinische Provinz hinter sich gelassen und war nach Hummel-Hummel übersiedelt.
„Ankunft im Paradies“ ist ein frühes Kapitel betitelt, in dem es darum geht, wie er als Kriegsdienstverweigerer seinen Zivildienst bei der Pflege von Spastikern leistet, auf der „falschen“ Elbseite, in Finkenwerder. Leser:Innen erleben dabei die Häutung von Tobias Albrecht zu Rocko Schamoni. Der Alltag ist zwar mühsam und doch beschaulich, von ferne winken noch die Eltern, die Ablösung vollzieht sich nach und nach.
Der Hamburger Punkszene eilte in Westdeutschland ein besonderer Ruf voraus. Bands wie Buttocks, Razors und Slime hatten proletarische Wurzeln und pflegten eine linksradikale Weltanschauung. Wobei die Sturm-und-Drang-Phase bereits abgeflaut war, als Rocko Schamoni ebendort andockte. Avantgarde war diese Szene nie, aber Mainstream war Punk nach der „geistig-moralischen“-Wende unter Kohl deshalb noch lange nicht.
Düstere Jagdgründe mit elysischen Feldern
Die Hamburger Jagdgründe Schanzenviertel und Sankt Pauli zeichnet der Autor düster, aber mit elysischen Feldern: Abgründe werden erst mal vom Zusammenhalt der Punkszene gepolstert. Schamoni kennt die Leute schon von den Fotos auf den Platten und merkt, dass sie – Ecce homo! – zugänglich sind.
„Es gibt keine Hierarchien, keine Helden und Idole, alle tun zumindest so, als ob sie gleich seien.“ Am liebsten hängt Schamoni im „Totenschiff“ ab, einer Kneipe nahe beim Fischmarkt, in der er auf die Musiker der frischgegründeten Goldenen Zitronen trifft, die damals bevorzugt Schlafanzüge tragen und abends mit Stollenfußballschuhen ausgehen, als Statement gegen die Springerstiefel- und schwarze Motorrad-Lederjacken-Kluft. Wie die Zitronen beginnt auch Schamoni Musik zu machen, firmiert teilweise als King Rocko Schamoni.
Sie eint, dass sie sich Hamburg erst zu eigen machen müssen. Und so entsteht mit „Schorsch“ und „der Ted“ (immer mit Artikel!) eine Freundschaft, die durch alle Höhen und Tiefen ihrer prekären Künstlerexistenzen bis zum Buchende bestehen bleibt. Sie erleben haarsträubende Lach- und Sachgeschichten, wobei Alphamännchen mit Machogehabe eher selten die Oberhand behalten, dafür sind die eigenen Klippen, wie sie etwa Schamoni umschiffen muss, viel zu zerklüftet.
Das ist doch Quatsch!
Der vermeintlich lockere Durchmarsch und das hohe Künstlerethos der ersten Punk/NdW-Generation, wie er kürzlich in einer Rezension in der FAZ gegen Schamonis angeblich belangloses Buch in Anschlag gebracht wurde – das ist doch Quatsch. Vielmehr kommt in „Pudels Kern“ zum Ausdruck, was Mitte der Kohl-1980er nicht mehr möglich ist: Aussteigen. Politik taucht eher am Rande auf. Schamoni ist nicht teilnahmslos, aber das Rigorose vieler Zeitgenoss:Innen geht ihm ab.
Ängste, Neurosen, der Albdruck von Jugend halten ihn oft im Schwitzkasten. Stärker, verlässlicher, weniger kindsköpfig sind die Frauenfiguren angelegt, „Frenchy“, „Susanne“, „Jette“, „Bernadette“, die zudem kaum Bohei um ihre Künstlerwerdung machen und tatkräftig helfen, Schamoni in der Spur zu halten. Anders als in der Generation zuvor lassen sie sich nichts mehr von den Mackern sagen.
Der süße Vogel Jugend ist manchmal ein Spatz und pfeift nicht vom Dach, sondern aus dem letzten Loch. Vor allem den „Turboantrieb“ von Speed, der nach Abflauen zu Stottern, Lethargie und Depression führt, schildert Schamoni anschaulich. Rettend ist der Drang zur Kreativität, Musik machen, pausenlos mit anderen durch die Nacht ziehen, die frequentierten Kneipen dann irgendwann übernehmen.
Lieber kein Opportunist
Schamoni scheitert zwar als Funpunkpopstar, weil er nicht opportunistisch genug ist, dafür wird er Geburtshelfer des „Pudel Club“ und gründet mit dem muffigen Inventar einer Secondhand-Boutique und rudimentären Tresenerfahrungen einen Ankerplatz der Subkultur. „Schöner, spackiger Erfolg“ konstatiert er trocken. Der Pudel ist inzwischen ein Mehrgenerationenprojekt und gehört zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt.
„Pudels Kern“ sei ein „Memorial unserer Freundschaft“, schreibt Schamoni zu Beginn, um die Echtheit der Erlebnisse zu bekräftigen. Ihm gelingt ein kleines Kunststück, indem er die abgefuckten 1980er wie ein „Feelgood-Movie“ auferstehen lässt, ohne sie dabei zu verraten.
Als Erzähler wirkt er trotzdem nur bedingt verlässlich. „Alle … Ereignisse entspringen meiner subjektiven Erinnerung und meinen Aufzeichnungen aus Kalendern und Tagebüchern“, schickt er warnend voraus. Mit Proust zitiert Schamoni einen Belastungszeugen, der bekräftigt, wie anstrengend eine Künstlerexistenz subjektiv erlebt werden kann. „Wir genießen kunstvolle Musik …aber wir wissen nicht, was sie ihre Schöpfer an Schlaflosigkeit gekostet“ hat.
Es gibt Schlimmeres, als dazu verdammt zu sein, solche Erlebnisse erneut zu schildern. Schamoni hat seine Jugend also nicht umsonst verschwendet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren