Neuer Roman von Niklas Maak: Zu rational, um wahr zu sein

Was verführt Ingenieure? In dem Roman „Technophoria“ erkundet Niklas Maak das Projekt des Fortschritts und die Tücken des Objekts.

Ein Kabewirrwarr auf dem Boden in einer Zimmerecke

Die Ironie: Am Schluss landen alle Pläne hier, als Datenstrom in Kabeln einer Serverfarm Foto: Christian Diehl

Man befinde sich an einem euphorischen Punkt der Weltgeschichte, sagt Driessen, der Smart Cities erst in Berlin und dann im Rest der Welt baut und einer der Protagonisten in Niklas Maaks Roman „Technophoria“ ist. Denn wenn Fliegen ein Problem für die Umwelt sei, müsse man eben nicht aufhören zu fliegen, sondern wasserstoffbetriebene Flugzeuge erfinden, und habe man Angst um seine Daten, dann müsse man eben neue Filtermechanismen erfinden.

Jetzt, in Zeiten der Corona-Pandemie, ist es nur vernünftig, Angst um die eigenen Daten zu haben. Immerhin versuchte Gesundheitsminister Spahn ja die schlechteste, weil zentrale statt dezentrale Verwaltung der Daten durchzusetzen. Auch wenn er damit gescheitert ist, entgegen Driessens Versprechen bestmöglicher Lösungen lässt sein Gebaren wenig Raum für Euphorie.

Aber natürlich rechnet Driessen, das hat ihn sein Mentor Daniel L. Doctoroff gelehrt, Investmentbanker bei Lehman, danach rechte Hand von New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg und in dieser Funktion der Mann hinter den Hudson Yards und jetzt CEO bei Googles Sidewalk Labs, mit genau derlei Politikern. Sie machen ihm den Job leicht, wollen sie doch genau wie er, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen, die Bürger entmündigen und kontrollieren.

Nein, die Sache mit der Euphorie ist eine ziemliche theoretische Angelegenheit, was sie aber nicht uninteressant macht – und schließlich, ist sie nicht Teil jeder Utopie?

Niklas Maak: „Technophoria“. Hanser Verlag, Hanser 2020. 288 Seiten, 23 Euro

Niklas Maak, vor allem für seine Architekturkritiken bekannter Feuilletonredakteur der FAZ, setzt nun geschickt mit seinem zweiten Roman (der erste hieß „Fahrtenbuch“ und handelte von einem Mercedes 350 SL) genau an jenem Kipppunkt an, wo die Utopien von morgen gerade zur Rea­li­tät von heute werden. Dabei erweisen sich die großen Erwartungen an die technische Machbarkeit, an KI und den smarten Alltag, als einigermaßen ambivalente Angelegenheit.

Wie bei Jacques Tati

Und da erinnert dann eine der irrwitzigsten Szenen an Jacques Tatis Monsieur Hulot und dessen Kampf mit den Tücken des Objekts, wenn Driessen in sein neues rundum sprachgesteuertes Smart Home einlädt, wo der Befehl „Auto!“ zu einer – auch Fischli Weiss lassen grüßen – nicht enden wollenden Kaskade von unglücklichen, gleichwohl erfrischend überraschenden Reaktionen von Dingen, Tieren und Menschen führt.

Der Befehl kommt von Turek, Driessens Cheflobbyisten. Selbst ihn aber erstaunen die Maßstäbe, in denen sein Chef plant: „Sie würden nicht nur eine, sondern viele Smart Cities bauen, und sie würden nicht nur Smart Cities bauen, sondern dazu gleich Meere, Ozeane. Die Meeresspiegel wieder senken. Das Klima verändern. Die Sonne attackieren.“

Das Projekt der Flutung der ägyptischen Qattara-Senke, erstmals 1912 angedacht, in den 1970er Jahren in einer vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Technik beauftragten Machbarkeitsstudie der ägyptischen Regierung angedient, aber nie rea­lisiert, soll Driessens Meisterstück werden. Was sind schon die Hudson Yards?

Verführerische Rationalität

Qattara ließe in der Wüste ein Meer entstehen, darüber Wolken, Regen, die Sahara würde grün, das Klima mitteleuropäisch angenehm. Es würden Städte gebaut, es entstünden Arbeitsplätze, Nordafrika entwickelte sich zur Wohlstandsregion, und die Migration nach Europa wäre kein Thema mehr. Dazu würde das neue Meer die weltweit steigenden Meeresspiegel entlasten, die sänken, weil das Wasser in die Wüste läuft. Klingt natürlich zu schön, um wahr zu sein. Und hat doch genügend verführerische Inge­nieurs- und Planerrationalität.

Turek jedenfalls zieht mit, versucht es zumindest, und scheitert. Allerdings nicht an der Gigantomanie des Projekts, Niklas Maaks „Technophoria“ ist kein dystopischer Entwurf drohenden technologischen Unheils, sondern recht besehen ein kühler, ironisch literarisierter Tatsachenbericht. Turek stürzt ganz konkret wegen seiner romantischen Verzauberung durch die digitale Technik ab.

Kein wirklicher Digital Native – er fährt einen Retro-Porsche –, durchfährt Turek beim Anblick der Serverracks im blauen Dämmerlicht der Kontrolllämpchen der Schrecken des Erhabenen.

Gesicherte Datenströme

Sein Zufluchtsort wird die Serverfarm und die kalte, schöne Ästhetik der Architektur für die mit hohem energetischem Aufwand gekühlten und mit nicht minder hohem Aufwand physisch gesicherten Datenströme, in denen alles, was den Menschen ausmacht, seine letzten und klügsten Gedanken genauso wie seine Blutdruckwerte, prozessiert und zu neuen Datensätzen verbunden und verwandelt wird.

Und hier liegt vielleicht die tiefere Ironie des Romans, das historische Menschheitsprojekt des Fortschritts, das seine Prota­gonisten, jeder auf seine unzulängliche Art und Weise, in seiner Faszination und seiner Monstrosität auszuloten versuchen, hier ist es letztlich auch nur: ein Datensatz.

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