Neuer Premier in Polen bestätigt: Tusk will die EU näher bringen
Knapp zwei Monate nach der Parlamentswahl kommt der Machtwechsel. Auf acht Jahre rechtspopulistische PiS folgt nun eine Bürgerkoalition (KO).
„Wir können diesen Protest wohl alle unterschreiben“, sagte der Liberalkonservative von der Bürgerkoalition (KO). „Aber es geht nun nicht darum, die Wähler der Recht und Gerechtigkeit (PiS), die wir in den Familien haben, zu verdammen.“ Es gehe darum, sich mit Respekt zu begegnen und so allmählich wieder zu einer Gesellschaft zusammenzuwachsen, die sich nicht auseinander dividieren und so schwächen lasse.
„Wir müssen auch sehen, dass wir international wieder eine Rolle spielen“, sagte Tusk am Dienstag im Sejm. „Dazu müssen wir aufhören, unsere EU- und Nato-Verbündeten als Gegner und sogar Feinde zu bezeichnen.“ Spät am Montagabend hatte das polnische Abgeordnetenhaus den bisherigen Oppositionsführer Tusk mit der Regierungsbildung beauftragt. 248 Abgeordnete stimmten dafür, 201 dagegen. Am Dienstagabend sollte der Sejm der neuen Koalition das Vertrauen aussprechen.
Migration, Justiz und Zivilgesellschaft als Herausforderungen
Eine große Herausforderung für die künftige Regierung, so Tusk, sei auch die illegale Migration, die eingedämmt werden müsse, ohne dabei Menschenrechte zu verraten. Anders als in der PiS-Regierung werde es unter Tusk keinen polnischen „Visa-Skandal“ mit Hunderttausenden Schengen-Arbeitsvisa geben.
Die „Koalition des 15. Oktober“, wie man seine Regierung demnächst nennen solle, werde die im Wahlkampf versprochenen Gehaltserhöhungen für LehrerInnen und KindergärtnerInnen sowie weitere Sozialleistungen so schnell wie möglich in Kraft setzen.
Donald Tusk, neuer Premier Polens
„Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir uns eines Tages allein werden verteidigen müssen“,warnte Tusk. Die Aufgabe des Verteidigungsministers werde Vizepremier Wladyslaw Kosiniak-Kamysz von der Bauernpartei PSL übernehmen. Das Ministerium des Äußeren werde erneut Radoslaw Sikorski leiten, der zwischen 2007 und 2014 bereits diesen Posten unter Premier Tusk innehatte.
Die schwierige Aufgabe des Justizministers werde Adam Bodnar übernehmen, den die PolInnen als engagierten Ombudsmann kennen. Er soll das Land wieder in einen Rechtsstaat verwandeln. Borys Budka wiederum müsse als erstes ein gründliches Audit im Schatzministerium vornehmen. „Das ist zu einem Hort des Nepotismus verkommen“, schimpft Tusk.
Mit Agnieszka Buczynska bekommt Polen zum ersten Mal eine Ministerin für die Zivilgesellschaft. Auch in diesem Bereich gebe es viel wiedergutzumachen. Die Umweltaktivistin Paulina Hennig-Kloska wird als Klima- und Umweltministerin dafür sorgen, dass Polen „nicht mehr die Müllhalde Europas ist, Fische nicht mehr massenhaft in Flüssen sterben und Wälder nicht mehr abgeholzt und nach China exportiert werden“, so Tusk.
LKW-Grenzblockade und Getreideimport im Visier
Katarzyna Kotula von der Neuen Linken wird das neue Ministerium für Gleichheit übernehmen und sich auch für die Rechte der LGBT-Bewegung einsetzen. Der neue Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz soll „die bisherige Politik der Unkultur“ in richtige Bahnen lenken und die Parteibindung vieler „Kultur-Investitionen“ aufheben. Czesław Siekierski soll sich als neuer Landwirtschaftsminister als erstes um die Lkw-Blockaden an der polnisch-ukrainischen Grenze kümmern und die Frage des umstrittenen Getreideimports aus der Ukraine nach Polen neu regeln.
In der anschließenden Debatte im Sejm ergriff als erstes der bisherige PiS-Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak das Wort. In einigen Stunden wolle sich Tusk „mit der Deutschen Ursula von der Leyen“ treffen, um ihr zu vermelden „Auftrag ausgeführt!“ Für die PiS sei er ein „deutscher Spion“ gegen die Interessen der polnischen Nation. Direkt nach der Vereidigung durch Präsident Andrzej Duda (PiS) am Mittwochmorgen wird Tusk am EU-Gipfel in Brüssel als neuer Premier teilnehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut