Neuer Mischwasser-Speicher in Mitte: Berlins größter Putzeimer
In Mitte wächst ein riesiger Schmutzwasser-Behälter, der die Spree vor Überläufen bewahren soll. Gegen Jahrhundertregen nutzt das aber auch nichts.
Den Luxus einer offenen Baugrube konnte Gus Fring sich nicht leisten: In der Serie „Better Call Saul“, die vergangene Woche nach Jahren zu Ende ging, ließ der Drogenboss aus New Mexico sein „Superlab“, eine gewaltige unterirdische Meth-Küche, unter der Leitung eines deutschen Ingenieurs heimlich ausheben. Der riesige zylindrische Raum, den die Berliner Wasserbetriebe (BWB) zurzeit auf einem Grundstück an der Chausseestraße unter die Erde bringen, kann dagegen bei Tageslicht entstehen. Allerdings soll er auch nur schmutziges Wasser aufnehmen – viel schmutziges Wasser.
Auf der Baustelle hinter einem der BWB-Pumpwerke und direkt neben der Zentrale des Bundesnachrichtendiensts schwappen graue Wellen rund fünf Meter unter der Kante eines kreisrunden, mit sogenannten Schlitzwänden ausgekleideten Lochs. Zwei große Seilbagger lassen ihre Schaufeln immer wieder in die Fluten hinab. Die Menge an Aushub, den sie aus derzeit 20 Metern Tiefe zutage befördern, wirkt lächerlich klein – unter dem Berliner Sand liegt eine dicke Schicht aus Mergel, einer zementartigen Bodenform, an der sich die Bagger schnell die Zähne ausbeißen.
Wozu das Ganze? Ab 2026, wenn der Hohlraum 23 Meter tief, ausbetoniert und mit entsprechender Technik ausgestattet sein soll, können hier bei einem Unwetter – einem „Starkregenereignis“, wie die Fachwelt sagt – gut 16.000 Kubikmeter Mischwasser zwischengespeichert werden. Mischwasser, das ist die Kombination aus dem Abwasser, das rund um die Uhr in Haushalten und Betrieben entsteht, und Regenwasser – beide teilen sich die im 19. Jahrhundert angelegte innenstädtische Kanalisation. Fällt sehr viel Niederschlag in kurzer Zeit, kann das System die Mengen nicht bewältigen: Das Mischwasser läuft dann an bestimmten Stellen in die Spree oder den Landwehrkanal über. Auch in der vergangenen Woche war das so.
„Diese Starkregenereignisse nehmen im Zuge des Klimawandels zu“, sagt Andreas Irmer, der die Abwasserabteilung der BWB leitet. Man werde zwar nicht in jedem Fall verhindern können, dass ein Jahrhundertregen die dreckige Brühe zum Überlauf bringt, aber das vom Land und den Wasserbetrieben finanzierte Stauraumprogramm solle künftig die Zahl der unerwünschten Einleitungen halbieren. „Schon wenige Stunden nach dem Unwetter können wir das Mischwasser dann geordnet abfließen lassen.“
Der Behälter an der Chausseestraße ist der Abschluss und gleichzeitig das mit Abstand größte Einzelprojekt des Stauraumprogramms. Wenn es fertig ist, werden im Bereich der Mischwasserkanalisation 300.000 Kubikmeter Stauraum vorgehalten. Zum Vergleich: Der bislang größte dieser „Abwasserparkplätze“ ist eine Röhre unter dem Mauerpark, die 2020 in Betrieb genommen wurde. Sie hat nicht einmal die Hälfte des Volumens, das neben dem BND geschaffen wird.
Die Bauarbeiten für die Geheimdienstzentrale, die sich in die Länge gezogen hatten, waren ein Grund dafür, dass der Speicher nebenan nicht schon vor zwei Jahren fertiggestellt wurde – und mit ihm das gesamte Programm. Auch beim Mauerpark ging es langsamer voran als gedacht: Hier war es der Bezirk Pankow, der das Genehmigungsverfahren aus Sorge um seine Erholungsfläche in die Länge zog.
Es muss entsiegelt werden
Aber wie schon erwähnt: Die technischen Vorrichtungen, um das Schlimmste zu verhindern, lösen das Problem höchstens zum Teil. „Wir müssen vielmehr das Regenwasser in der Stadt halten“, sagt Andreas Irmer. „Deshalb müssen wir überall, wo das möglich ist, entsiegeln.“ Das Wasser müsse, anstatt im Gulli zu verschwinden, zu den durstigen Straßenbäumen geleitet werden – oder nach der Zwischenspeicherung in Zisternen im Grundwasser versickern.
Diese „Schwammstadt“-Konzepte gibt es seit Jahren, auch die von den BWB betriebene „Regenwasseragentur“, die bei Bauvorhaben berät. Irmer warnt aber davor, sich Illusionen hinzugeben: Bauwerke wie das Mischwasserrückhaltebecken an der Chausseestraße würden „noch sehr lange gebraucht“. Die Stadt werde immer dichter, und nicht alles lasse sich ohne Weiteres entsiegeln.
Tatsächlich hat Rot-Grün-Rot in seiner Koalitionsvereinbarung von Ende 2021 ein Versprechen aus dem Vorgängerdokument stillschweigend beerdigt: 2016 wurde noch verkündet, man werde die Gebäude- und Grundstücksflächen, von denen Regenwasser in die Mischwasserkanalisation eingeleitet wird, um jährlich 1 Prozent reduzieren – ein Ziel, das laut BWB-Sprecher Natz meilenweit verfehlt wurde.
In der geltenden Vereinbarung heißt es nun nur noch, bis spätestens 2035 sollten „20 Prozent der Flächen des Landes am Landwehrkanal“ von der Mischwasserkanalisation abgekoppelt werden. Das ist im Vergleich dann doch ein sehr überschaubarer Bereich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles