Neuer EU-Parlamentspräsident: Das inneritalienische Duell
Das Parlament wählt am Dienstag einen neuen Präsidenten. Favoriten sind zwei Italiener. Doch sie sind beide nicht für den Posten prädestiniert.
Der 63-jährige Tajani schaffte es als klassischer Kofferträger nach oben, auch wenn er schon in frühester Jugend mit originellen politischen Ideen auffiel. Als 14-Jähriger schloss er sich der monarchistischen Jugend an, die von der Wiederherstellung des Königreichs Italien träumte. Dumm nur, dass Tajani ausgerechnet in den 68er Jahren das stramm linke Tasso-Gymnasium besuchte und dank seiner merkwürdigen Ideen jeden Morgen vor dem Schultor Prügel einstecken musste. Der kleine Antonio wechselte das Gymnasium, und auch der Politik schwor er erst einmal ab.
Stattdessen schlug der Sohn eines Offiziers nach dem Jurastudium eine Karriere bei der Luftwaffe ein, um dann auf den Journalismus umzusatteln, erst als Nachrichtensprecher beim Staatsradio RAI, dann als Politikredakteur in der zum Berlusconi-Imperium gehörenden Tageszeitung Il Giornale.
Als Silvio Berlusconi 1994 in die Politik ging, hatte der Monarchist Tajani endlich seinen König gefunden: Er gehörte zu den Gründern der neuen Partei Forza Italia, und noch im gleichen Jahr zog er – der Sprecher des neuen Regierungschefs Berlusconi war – ins Europaparlament (EP) ein. Dort blieb er, erst als Parlamentarier, dann von 2009 bis 2014 als EU-Kommissar, seit 2014 wieder als Mitglied des EP, allerdings nur weil er zu Hause immer wieder durchfiel, mit Kandidaturen fürs nationale Parlament genauso wie fürs Bürgermeisteramt in Rom. Eigene Ideen produzierte er nicht mehr.
Karriere von klein auf
Prononcierter äußert sich dagegen der 58-jährige Pittella. „Gegen die Austerität. Wir müssen diese Europäische Union verändern, um Europa zu retten“, so begründet er, warum er EP-Präsident werden möchte. Pittella war nie Monarchist, doch dynastisches Denken ist ihm bestens vertraut. Schließlich machte der Süditaliener von klein auf Karriere auf den Schultern seines mächtigen Vaters, der als Senator der Sozialisten unter Bettino Craxi die ebenso kleine wie arme Region Basilicata in Rom vertrat. Schon mit 21 Jahren sitzt Pittella jr. dank der väterlichen Protektion im Stadtrat des Bergnests Lauria, und nur ein Jahr später hat er es gar zum Regionalminister für Bildung und Kultur der Basilicata gebracht.
Dabei erlernte er von Papa die in Süditalien überlebenswichtige Kunst des Strippenziehens und des Networking bis ins kleinste Dorf, bis auf den entlegensten Bauernhof. Alle in der Basilicata kennen Gianni, alle haben ihm schon einmal die Hand geschüttelt, und so überstand sein Clan auch größere Katastrophen unbeschadet. Sein Vater wird im Jahr 1983 verhaftet und zu 12 Jahren Haft wegen Unterstützung der Roten Brigaden verurteilt, weil er als Mediziner eine der Kämpferinnen in seiner Privatklinik behandelt hatte. 1993 bricht Craxis Sozialistische Partei unter der Wucht ihrer Skandale zusammen.
Aber Pittella macht einfach weiter, gestützt auf die solide familiäre Machtbasis. 1996 zieht er für die linken Berlusconi-Gegner ins Parlament ein, und 1999 wird er ins EP gewählt, dem er seither ununterbrochen angehört. Bestens in Brüssel und Straßburg vernetzt, vergisst er doch nie seine Heimat, durch die er unermüdlich tourt.
Triumph 2014
Die Mühe zahlt sich aus, die Wederwahl von 2014 wird zum Triumph: Pittella ist mit über 230.000 persönlichen Präferenzstimmen die unbestrittene Nummer eins der Partito Democratico in Süditalien. Derweil wird 2013 sein kleiner Bruder Marcello zum Präsidenten der Region Basilicata gewählt.
Und sollte Gianni sich gegen Tajani durchsetzen, dann hätte die Familie Pittella aufs Schönste die Erfolgstauglichkeit ihres Modells vorgeführt, mit einem Präsidenten ganz oben, an der Spitze der EU, und dem anderen weit unten, in der ökonomisch und sozial abgehängten Basilicata.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!