Neuer Comic von Anna Haifisch: Musikdrama zum Durchblättern
Mit „Ode an die Feder“ ist der dritte Teil der Graphic-Novel-Serie um den Künstler „The Artist“ erschienen. Er ist famos gezeichnet – und mit Stil.
Der dritte Band der Comic-Serie „The Artist“ von Anna Haifisch ist erschienen. Er heißt „Ode an die Feder“ und schreibt die Biografie des sich selbst zerfleischenden namenlosen Künstlers in seinem – normal – verstörenden Künstlerleben weiter. „The Artist“ ist aufgestiegen. Vom sensibel an der Welt leidenden und meist vergebens um Erfolg kämpfenden, unverstandenen Seelchen zum Teilnehmer der wichtigen Kunstmesse Art Basel, die allerdings in der US-Partnerstadt Miami stattfindet.
Der dürre Vogel ist jetzt bekannt und manchmal sogar glücklich. Seine Kunst – Schlangenbilder – wird gewollt, aber dennoch leidet er – gottlob – weiter an der Welt und sich selbst. Jetzt kleidet er sich in Dior, umgibt sich mit Insignien des Erfolgs, lässt sich chauffieren, lebt in einem mondänen Bungalow. Und in dem ganzen Überfluss stellt er fest, dass er trotzdem etwas vermisst. Natürlich.
Anna Haifisch hat eigentlich eine Oper voller Höhen und Tiefen komponiert, Klischees und knirschender Karikatur derselben. Ein herrlicher Mix aus Persiflage und Wahrheit, gefasst in die Text-Bild-Form eines Comics, aber eigentlich als Musikdrama zum Durchblättern angelegt.
Dabei sieht man neben dem Schwarz-Weiß der Zeichnungen eine begrenzte Farbwelt aus viel Gelb und Orange, ab und zu Lila, die einen miamimäßig feuchtheiß und sommerlich, und in ihrer penetranten Poppigkeit auch leicht unbehaglich stimmen darf. Die Ästhetik hat einen 70er-Jahre-Touch und ist gewünscht. Darin agiert diese dürre, sehr bewegliche Figur des „Artist“ in einem Ambiente voller bildlicher Anspielungen und ikonischer Details.
Zeichnungen mit Stil und Tieren
Zum Beispiel trägt der tanzende Artist einen gestreiften Anzug aus der Dior-Kollektion von 2019, eben etwas retro. Nebenbei erinnert er an eine der Figuren aus „Men in the City“ – eine Serie von Kohlezeichnungen des Künstlers Robert Longo. Oder, als er in seinem Höhenflug auf dem Eis tanzt, wie die Schweizer Eiskunstläuferin Denise Biellmann, die 1980 eine spektakuläre Pirouette hinlegte.
Anna Haifisch: „The Artist: Ode an die Feder“. Aus dem Englischen von Marcel Beyer. Reprodukt Verlag, Berlin 2021, 128 Seiten, 24 Euro
Haifisch hat famos gezeichnet, im Sinne von nicht abgefeimt, bei aller Stilfestigkeit auf eine forschende und offene Art mutig. Viele der Seiten würden als Einzelgrafik funktionieren, nicht zuletzt wegen der Komik, die ihnen innewohnt. Zitiert werden auch die drei subversiven Hasen, die im „Struwwelpeter“ des Frankfurter Arztes und Psychiaters Heinrich Hoffmann den „wilden Jäger“ mit dem Gewehr niederstrecken.
Tiere spielen oft eine Rolle. Auch die Tauben aus einigen Werken Picassos, die Figuren aus dessen „Reigen“, die als Inkarnation von Wieseln den Esstisch des Artist bevölkern. In einigen Motiven, wie den Cerealien „Fruit-Loops“ oder dem Bett, das aussieht wie ein Rennwagen, zitiert „The Artist“ sich aus den früheren Bänden selbst. Beste Voraussetzungen für einen möglichen nahen Artist-Kult? Darüber äußert die Schöpferin sich nicht.
All das durchzieht die Texte, die sich reimen in seltenen, altmodischen Worten, die das Drama beschreiben und die sich gut zum lauten Vortrag eignen. „Hier bin ich, ein Wirbelwind! ein Talent! ein Knilch! Der nette Typ hat ausgespielt. Ach, seine Ruhmsucht hat ihn hinabgestoßen in die Schlangengrube zu finsteren Gestalten. Nun glaubt er sich unter den ganz Großen, er wird sich dort nicht lange halten.“
Comicoper mit nervigen Flöten
Wie bei einer Oper sind Kulissen, Akteure und Arien, also Text, aufgeteilt in 13 Akte, vorhanden – es gibt nur keinen Ton. Dazu sagt die Zeichnerin Anna Haifisch der taz: „Ich bin nicht besonders musikalisch, aber ich höre den Artist im Hintergrund immer jammern, in etwa so wie die Lehrerin in den Peanuts-Comicstrips von Charles M. Schulz, dieses unverständliche Getröte der Erwachsenen.
Musikalisch würde ich die Vogeloper gar nicht so klassisch angehen. Ich denke eher an experimentelle Musik. Oder eine singende Säge. Irgendwie höre ich auch nervige Flöten!“
Gerade aber die Texte tragen den Operncharakter, die dramatische Übertreibung, wenngleich die Leipziger Schöpferin sie ursprünglich mit „begrenztem Wortschatz“ in Englisch verfasst und veröffentlicht hat. Sie suchte und fand eine adäquate Übertragung durch keinen Geringeren als den Schriftsteller und Übersetzer Marcel Beyer.
Mit ihrer eigenwilligen Mischung hat Anna Haifisch auch mit dem dritten Teil ihrer „The Artist“-Reihe wieder einen großen Spaß geschaffen für alle, die in der Kunstszene wandeln, mit ihr liebäugeln, sie hassen oder versuchen, mit ihr klarzukommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich