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Neuer Chef der britischen Labour PartyKeir Starmer löst Corbyn ab

Großbritannien hat einen neuen Oppositionsführer: Der ehemalige Menschenrechtsanwalt Keir Starmer steht für eine Abkehr vom linksgerichteten Kurs Corbyns.

Der 57-Jährige setzte sich gegen seine Konkurrentinnen Rebecca Long-Bailey und Lisa Nandy durch Foto: reuters

London dpa | Keir Starmer ist zum neuen Chef der Labour-Partei und damit zum Oppositionsführer in Großbritannien gewählt worden. Das teilten die britischen Sozialdemokraten am Samstagvormittag mit.

Der 57-Jährige tritt die Nachfolge von Jeremy Corbyn an. Unter dessen Führung hatte Labour bei der Parlamentswahl im vergangenen Dezember die schwerste Niederlage seit 1935 eingefahren. Zur Vizechefin wurde die bisherige bildungspolitische Sprecherin Angela Rayner gewählt.

Der ehemalige Menschenrechtsanwalt Starmer setzte sich gegen seine Konkurrentinnen Rebecca Long-Bailey und Lisa Nandy durch. Seine Wahl gilt als klare Abkehr von dem stramm linksgerichteten Kurs der britischen Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren.

Der 70-Jährige Altlinke Corbyn und seine Mitstreiter standen immer wieder in der Kritik, antisemitische Tendenzen in ihrer Partei zu dulden. Auch hier dürfte Starmer auf einen Neustart hinarbeiten.

Starmer fungierte im Schattenkabinett Corbyns als Brexit-Experte und gilt als Gegner des EU-Austritts. Doch er wird sich hüten, allzu laut nach einer Verlängerung der Brexit-Übergangsphase zu rufen. „Der Streit um Verbleib oder Austritt ist vorbei“, sagte er bei einer Podiumsdebatte mit seinen Konkurrentinnen im Februar.

Auch mit Kritik an der Reaktion der Regierung auf die Coronavirus-Pandemie dürfte er sich zunächst zurückhalten, um nicht den Eindruck zu erwecken, politisches Kapital aus der Krise schlagen zu wollen. In den vergangenen Tagen hatte seine Haltung allerdings parteiintern für Unmut gesorgt.

Premierminister Boris Johnson rief die Chefs aller Oppositionsparteien am Samstag zur Zusammenarbeit im Kampf gegen die Corona-Krise auf. „Wir haben die Pflicht, in dieser Zeit des nationalen Notstands zusammenzuarbeiten“, schrieb Johnson. Er lud die Parteichefs zu einem gemeinsamen Briefing mit Regierungsexperten in der kommenden Woche ein. Mit Spannung wird erwartet, wie Starmer auf diesen Aufruf reagiert.

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11 Kommentare

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  • Bei einer solchen Ultrakurzmeldung gilt es, Prioritäten zu setzen.



    Der Ein- oder Ausschluss bestimmter Informationen lässt eine Bewertung entstehen.

    Hier wird Corbyns Nachfolge durch einen eher-zentristischen Politiker als begrüßenswert dargestellt.

    Die antisemitischen Strukturen, deren Nähe zu Corbyn begrenzt aber nennenswert ist, wurden erwähnt.

    Für eine linke Zeitung müsste der sozial- und umweltpolitische Kurs der Partei mindestens ebenso relevant sein.



    Nach Jahrzehnten des Sozialabbaus durch Tories und Blairismus herrschen inhumane Verhältnisse in Großbritannien. Die Zustände aufzulösen, die zum Tod von 72 Menschen im Grenfell Tower geführt haben, hängt vom Fortbestehen der Labour-Partei als real linker Kraft ab.

    Desweiteren ist Corbyn das Ziel einer gewaltigen Verleumdungskampagne durch v. a. die Murdoch-Presse, die in diesem Zusammenhang auch noch interessant wäre. Jede Kleinstmeldung über Corbyn wurde zurechtgebogen, um aufgebauschte oder komplett ausgedachte Narrative über ihn zu füttern.

    Teilweise gab es schwer antisemitisches Verhalten in der Labour-Partei, aber damit hatte Corbyn so viel zu tun wie Sigmar Gabriel mit Thilo Sarrazin.



    Die Vorwürfe gegenüber Corbyn selbst sind so fadenscheinig wie "Nicht-Erkennen des Antisemitismus in einem Wandgemälde" (2012) oder "Europäische Aussprache des Namens 'Epstein'" (2019).



    Solche Bösgläubigkeit ist meist anti-neoliberalen Politiker*innen wie Jeremy Corbyn oder Bernie Sanders vorberhalten, normalerweise wird nicht so verkrampft nach Zusammenhängen gesucht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

  • Vor allem ist er kein Antisemit wie sein Vorgänger! www.timesofisrael....rty-anti-semitism/

    • @conny costa:

      Magst du Netanjahu nit, bist du schnell Antisemit...

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Keir Starmer neuer Chef der Labour-Partei""

    ==

    Endlich - leider einige Monate zu spät - denn Starmer hätte den Total-Ausfall von Labour unter Corbyn verhindert. Starmer wurde übrigens mit mehr Stimmen gewählt als Corbyn im Jahr 2015.

    Angesichts der Tatsache, dass selbst Tory - Minister wie Hancock zugegeben haben, dass der Umgang der Tory - Regierung mit der Coronakrise Kritik verdient, wird Amanda Millings politisches Statement wie ein Versuch aussehen, Labour in die reichlich merkwürdige Strategie von Downing Street Nr. 10 einzubeziehen, um künftige politische Rückschläge zu neutralisieren.

    Die konservative Amanda Milling, Ko-Vorsitzenden der Tories, hat in Anlehnung an Johnson Statement erklärt, das sie Starmer auffordert, mit der Regierung bei der Bekämpfung des Coronavirus zusammenzuarbeiten: ""Das Coronavirus ist die größte Bedrohung, der dieses Land seit Jahrzehnten ausgesetzt war. Deshalb fordere ich Keir Starmer auf, die Spaltung und die Kämpfe, die die Spitze der Labour-Partei in den letzten fünf Jahren geplagt haben, beiseite zu legen und mit der Regierung zusammenzuarbeiten.""

    Klartext:

    Boris Johnson und die Tories reiten nach den eklatanten Fehlern im Umgang mit der Corona Krise die "darkest hour" Rhetorik von Winston Churchill aus dem Jahr 1940. Dazu gehört die Opposition einzubinden. Das passiert in UK nicht um Regierungshandeln auf eine breite Basis zu stellen - sondern es nist der Versuch der allzu berechtigten Kritik am Regierungshandeln die Spitze zubrechen.

    Wie Keir Starmer damit umgehen wird -- wird darüber entscheiden, ob Labour an die Erfolge von Tony Blair anknüpfen kann. Das Regierungsversagen der extrem rechtsgerichteten Regierung im Bereich Brexit und während der Corona Krise sollten ausreichen Starmer den Antrieb zu verschaffen den Labour benötigt um künftig wieder Wahlen für sich entscheiden zu können.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Für einen "Totalausfall" hat Corbyn aber recht gute Resultate geliefert (2017 mit 40 Prozent, aber auch 2019 noch mehr Stimmen als die beiden blairistischen Vorgänger Brown und Miliband).



      Nun ist es wieder egal, wer in London regiert - wie unter Irak-Krieger Blair...

      • 0G
        06438 (Profil gelöscht)
        @Linksman:

        Das Wahlergebnis von Labour von 40% im Jahr 2017 ist darauf zurück zu führen das Corbyn die jüngeren Wähler - aber vor allem die Anti-Brexit Wähler für sich mobilisieren konnte. Beispiel: Schauen sie sich ex - ante die Auftritte von Corbyn 2017 bei den Festivals an - diese ""2017 Labour 40%"" sind einzig und allein darauf zurück zu führen das Corbyn vorgauckelte die Tür nach Europa offen halten zu wollen.

        Corbyns Totalausfall begann Ende 2017 und vor allem 2018 - als er verhinderte ein breites Bündnis mit der SNP, Libdems und Greens einzugehen.

        Das führte dazu das die Minderheit der Tories die Wahlen gewonnen haben - und die Mehrheit der oppositionellen Parteien und die real existierende Mehrheit der Anti-Brexit Wähler die Wahlen verloren haben.

        Ansonsten: Tony Blairs Politik war beispielhaft für eine fortschrittliche Sozialpolitik in UK - die Corbyn 2019 verhinderte weil er unfähig war und ist -- Kompromisse mit anderen Oppositionsparteien einzugehen.

        Sektierertum zerstört und macht handlungsunfähig - hoffen wir mal das der 70jährige Corbyn diese Lektion gelernt hat.

  • Bitter.



    Nun könnte aber links von Labour wieder mehr Platz frei werden. Die Momentum-Bewegung könnte sich als eigenständige Partei formieren und den Blair-Adepten Starmer so recht alt aussehen lassen. In ein paar Jahren könnte die Starmer-Clique dann von den verhältnismäßig guten Corbyn-Ergebnissen nur noch träumen...

    • @Linksman:

      Und eine Spaltung führt dazu, das man die nächsten 20 Jahre weiter in der Opposition sitzt, während die Tories regieren, aber Hauptsache keinen Millimeter von den eigenen Überzeugungen abgerückt...

    • @Linksman:

      LOL, Starmer hat nun wirklich mit Blair nichts zu tun, der gehoert zur soft left, wie Ed Miliband

    • @Linksman:

      "Blair-Adept" - möglich, aber unter Corbyn was KS loyal und jetzt wahrscheinlich weder in der Lage noch willens, die linke Programmatik Corbyns komplett aus den Forderungen Labours zu tilgen. Spaltung ist unter den Bedingungen des Mehtheitswahlrechtes auch keine gute Idee.

  • Alles besser als dieser peinliche Trump für Arme (TFA). Aber andererseits warum sollte man ein Amt wollen in dem man die Fehler der anderen Ausbaden muss (TFA, Brexit,...)