Neue Vertriebswege für Filme: Breitband statt Leinwand
Unabhängigen Filmemachern bieten Streaming und Video-on-Demand günstige Vertriebswege. Filmverleiher und Kinobetreiber finden das nicht lustig.
Der Film „Computer Chess“ von Andrew Bujalski ist eine absurde Komödie über ein amerikanisches Schachcomputer-Turnier Anfang der 80er Jahre – nicht unbedingt ein Mainstream-verdächtiges Thema. In den USA und Kanada war der Film nur in neun Kinos zu sehen und hat dabei 101.519 Dollar eingespielt, obwohl er hervorragende Kritiken in der New York Times und anderen wichtigen Publikationen bekommen hat. Für die Macher des Films sind die Kinoerlöse nur ein Teil der gesamten Einnahmen.
Wer auf der Website des Films auf „Watch this movie“ klickt, kann „Computer Chess“ in Nordamerika ohne Kopierschutz direkt in DVD-Qualität herunterladen oder ihn sich via iTunes, Google Play, Amazon Instant Video und Vudu ansehen – und das schon, als der Film gerade in die Kinos gekommen war. Einmaliges Anschauen kostet je nach Bildqualität zwischen vier und sechs Dollar; um ihn auf der Festplatte speichern zu können, muss man zwischen neun und vierzehn Dollar bezahlen – das entspricht etwa den Ticketpreisen in amerikanischen Kinos.
US-amerikanische Independent-Regisseure experimentieren seit einiger Zeit mit den Möglichkeiten, die Video-on-Demand und Streaming – also die Verbreitung über das Internet – ihnen bieten. Diese Versuche liefern wichtige Erkenntnisse darüber, wie der digitale Vertrieb von Filmen die Kinobranche als Ganzes verändern könnte. Denn der wird für das Publikum dank der Zunahme von Breitband-Internet-Anschlüssen zu einer immer wichtigeren Art, sich Filme anzusehen. Das Geschäftsmodell der Musikindustrie ist durch das Internet in den letzten Jahren grundlegend umstrukturiert worden. Steht dem Filmgeschäft nun eine ähnliche Umschichtung bevor?
Genaue Zahlen gibt es wegen der Vielzahl der Anbieter noch nicht. Doch in den USA waren nach einer Studie der Marktforschungsfirma NPD Group 2012 bereits 38 Prozent aller ausgeliehenen Filme „digital movie rentals“ bei Onlineanbietern wie Netflix, iTunes oder Amazon – also Filme, die nicht mehr in der Videothek abgeholt wurden, sondern via Internet auf PC, Tablet oder Smart TV gesehen wurden. In Deutschland muss man sich in Sachen Streaming noch weitgehend mit dem Mainstream zufrieden geben, den Sites wie Watchever oder Maxdome anbieten. In den USA nehmen Onlinevideo-Anbieter wie Netflix oder Amazon zunehmend auch Art-House-Filme ins Programm.
Fern vom Businessplan
Profitieren könnten von dieser Entwicklung Filmemacher, die von dem traditionellen Vertriebsmodell bisher sowieso wenig gehabt haben: unabhängige Regisseure, die ihre Filme für einen gut definierten Nischenmarkt produzieren. Einige von ihnen machen in den USA ihre Filme inzwischen tatsächlich ausschließlich für den Internetvertrieb per Streaming – mit vollkommener künstlerischer Freiheit und ohne den Businessplänen der Filmindustrie entsprechen zu müssen.
So ist eine Infrastruktur entstanden, durch die manche Regisseure von ihren Filmen leben und fern von Hollywood in Städten wie Austin oder Chicago arbeiten können, ohne auf die Industrie oder institutionelle Förderung angewiesen zu sein. Und bei einer Handvoll von ihnen haben die sehr persönlichen Filme, die so entstanden sind, dann doch wieder den Weg ins Kino gefunden.
Um sich durch Streaming zu finanzieren, müssen die Filme freilich zunächst einmal eins sein: billig. Besonders die lose Gruppe von Regisseuren, die in den vergangenen zehn Jahren unter dem Label Mumblecore kleine, unabhängige Low-Budget-Filme fern von Hollywood produziert hat, hat es gelernt, sich finanziell zu beschränken: Um Geld zu sparen, produziert man sich gegenseitig die Filme, übernimmt Gastrollen oder stellt Laiendarsteller vor die Kamera.
Damit haben Regisseure wie Andrew Bujalski, Lynn Shelton, Joe Swanberg oder die Brüder Duplass nicht nur Festivalerfolge gefeiert, sondern sind auch im Kino angekommen: Filme wie „Cyrus“ von den Duplass-Brüdern oder „Computer Chess“ von Andrew Bujalski wurden auch in Deutschland verliehen. Doch inzwischen können Regisseure im besten Fall ihre selbst produzierten Filme durch den digitalen Vertrieb selbst refinanzieren, ohne dass diese Filme jemals in einem Kino gezeigt werden. Da hier kein Vertrieb und kein Filmtheater mehr an den Einnahmen beteiligt ist, verdient man pro Zuschauer mehr Geld, muss allerdings auf das Marketing verzichten, das ein Verleih und die Kinoauswertung bieten.
Beschränkt auf auf Blogs und Fan-Magazine
Solange wichtige Medien wie die New York Times keine Filme besprechen, die nicht im Kino starten, ist die Berichterstattung auf Blogs und Fan-Magazine beschränkt. Die fehlende Öffentlichkeitsarbeit wird aber unter Umständen durch die Filmempfehlungen wettgemacht, die Internetfilmplattformen meist gleich mitliefern. Möglicherweise ist so eine algorithmisch erzeugte Mundpropaganda unter sowieso Gleichgesinnten effektiver als die Werbung in den Massenmedien.
Gerade im Segment des Mumblegore – das sind billige, doch künstlerisch durchaus ambitionierte Horrorfilme – entwickelten sich so schon Karrieren, die es andernfalls vielleicht nie gegeben hätte. Der Independent-Regisseur Adam Wingard zum Beispiel drehte 2007 für 2.000 Dollar den Film „Pop Skull“ über einen verwirrten Teenager, der im Hustensaft-Rausch Geister sieht. Der Film wurde und wird über verschiedene Streamingplattformen angeboten, unter anderem von Amazon. Sein neues Werk „You’re Next“ – ein klassischer Slasherfilm in der Tradition von „Halloween“ und „Texas Chainsaw Massacre“ – kam in den USA und in Deutschland in die Kinos.
Obwohl der Film mit einem Budget von einer Million Dollar kein Low-Budget-Film war (eine Summe, die im Vergleich mit gängigen Hollywoodproduktionen gleichwohl einem Griff in die Portokasse gleichkommt), setzt Wingard auf die bewährte Kumpel-Formel: Das smarte Drehbuch kam von dem befreundeten Regisseur Simon Barrett, der den Film auch mitproduzierte. Gleichgesinnte Low-Budget-Filmemacher wie Joe Swanberg, Ti West und Larry Fassenden spielen mit. In gewisser Weise ist „You’re Next“ ein Klassentreffen der Mumblecore-Szene. Und trotzdem hat er international bis Oktober schon 25 Millionen Dollar eingespielt – bevor er überhaupt in die neuen digitalen Vertriebskanäle eingespeist wurde.
Wer in den Archiven von amerikanischen Streaming-Sites und Pay-Per-View-Anbietern sucht, findet dort neben Blockbustern auch Mumblecore-Produktionen und andere Art-House-Filme. Der US-Regisseur Joe Swanberg sagt zum Beispiel, dass seine Werke beim Pay-Per-View-Anbieter ICF durchschnittlich von 20.000 Zuschauer angesehen werden. Seit Steven Sonderberg 2005 seinen Film „Bubble“ gleichzeitig im Kino, auf DVD und als Video-on-Demand-Angebot herausbrachte, werden immer mehr Filme – wie „Computer Chess“ – in den USA gleichzeitig im Kino und online gestartet. „Day and Date“ heißt diese Veröffentlichungsmethode in der Branche.
Museale Angelegenheit
Bei den Kinos und den Filmvertrieben in Deutschland ist man wenig begeistert von dieser Entwicklung. „Wir werden Filme boykottieren, die in Form eines Day-and-Date-Release ausgewertet werden“, droht zum Beispiel Christian Bräuer, der Vorsitzende der AG Kino-Gilde, einem Zusammenschluss der deutschen Programmkinos. Und Detlef Rossmann, Vorsitzender des europäischen Programmkino-Verbandes CICAE, ist überzeugt: „Wenn europäische Filme zeitgleich auf VoD gestartet werden, schadet das den Kinos, die europäische Filme zeigen, und nicht den Kinos, die Hollywoodfilme zeigen.“
„Für die Kinos ist das nicht gut“, findet auch Barbara Suhren, die in Berlin das Programmkino fsk betreibt und außerdem über den Verleih Peripher Filme von Regisseuren wie Thomas Arslan und Gus Van Sant in Deutschland vertreibt. „Der digitale Vertrieb erweckt den Eindruck, als ob Filme nichts mehr wert sind.“ Im Augenblick sei Video-on-Demand in Deutschland zwar noch ein kleiner Markt, aber trotzdem eine Bedrohung für die Kinos, die anspruchsvolle Filme zeigen, ohne damit viel Geld zu verdienen.
„Die Besucherzahlen in unsrem Kino gehen zurück“, sagt Suhren. Doch nach wie vor würde nur das Kino eine vollkommen ungestörte Art des Filmsehens möglich machen, in der man durch nichts abgelenkt sei. Nicht nur, dass die Bildqualität im Kino immer noch höher sei als bei einem High-Definition-Stream aus dem Internet. „Im Kino sieht man auch intensiver zu als vor dem Computermonitor.“ Trotzdem befürchtet sie: „Langfristig ist die Vorführung von Filmen vor Publikum eine museale Angelegenheit“.
Auch Horst Peters vom Kölner Filmverleih Rapid Eye Movies, der „Computer Chess“ in die Kinos in Deutschland gebracht hat, sieht die Entwicklung kritisch: „Dadurch entwertet man das Kino als Ort, an dem man Filme entdecken kann.“ Seine eigene Firma sichert sich aber bei vielen Filmen, die sie vertreibt, neben den Kino-, DVD- und BluRay- auch die Streamingrechte, um die deutschen Versionen bei Diensten wie iTunes anzubieten: „Es wächst gerade eine Generation heran, die nicht mehr mit dem Kino groß geworden ist.“ Und um die zu erreichen, müsse man Streaming einfach als einen „Baustein der Vertriebsstrategie“ nutzen.
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