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Neue Regierung in ÖsterreichÖsterreich stoppt Familiennachzug

Die neue Regierung will den Familiennachzug von Asylberechtigten umgehend einstellen. Menschenrechtsorganisationen sehen keine rechtliche Grundlage.

Ein Syrischer Migrant zeigt ein Foto seines Sohnes, 2015 an der slowenisch-österreichischen Grenze Foto: Srdjan Zivulovic/reuters

Wien taz | Die österreichische Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos ist noch keine zwei Tage im Amt, lässt aber bereits mit einem umstrittenen Vorhaben aufhorchen: Sie will den Familiennachzug für Asylberechtigte unverzüglich aussetzen. Betroffen sind vor allem Kinder, die laut Innenministerium „das Bildungssystem in Österreich belasten“.

Noch liegt kein Zeitplan vor. „Sofort heißt jetzt“, sagte jedoch Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) am Dienstag im ORF. Stocker verweist auf eine EU-Klausel, die bei Überlastung eines Mitgliedstaates solche Schritte ermöglichen soll. Ex­per­t:in­nen und Menschenrechtsorganisationen äußern massive Kritik und sehen keine rechtliche Grundlage dafür.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), bereits in der Vorgängerregierung im Amt, soll dennoch an einer entsprechenden Verordnung arbeiten. Dass die Regierung als eine ihrer allerersten Maßnahmen den Familiennachzug beenden will, wirkt wie ein Zugeständnis an die FPÖ-Wählerschaft. Die rechtsradikale Partei, die beinahe die neue Regierung angeführt hätte, hatte exakt dasselbe gefordert.

Der Familiennachzug ist schon seit Monaten stark rückläufig. Zu den Gründen dafür zählen verpflichtend eingeführte DNA-Tests, die den Prozess verlangsamen. Auch wurden nach dem Sturz des Assad-Regimes zahlreiche Asyl-Aberkennungsverfahren eingeleitet.

„Recht auf Einheit der Familie ist ein Menschenrecht“

Menschenrechtsorganisationen kritisieren den geplanten Stopp des Familiennachzugs. Von einer „unmenschlichen und rechtswidrigen Maßnahme“, spricht Aimée Stuflesser, Asylexpertin bei Amnesty International Österreich. Dieser Schritt nehme Schutzberechtigten die einzige reguläre Möglichkeit, ihre Angehörigen nach Österreich zu holen. Als „besorgniserregend“ bezeichnet auch UNHCR Österreich den Plan.

Kritik äußert auch die Diakonie Österreich: „Das Recht auf Einheit der Familie ist ein Menschenrecht. Anerkannte Flüchtlinge können ihr Familienleben nur in Österreich fortsetzen“, heißt es von der Organisation. Aus integrationspolitischer Sicht erleichtere die Familienzusammenführung die Integration.

Auch Lukas Gahleitner-Gertz, Jurist und Sprecher der NGO Asylkoordination, kritisiert das Vorhaben. Ihm zufolge seien „Druckstellen“ im Wiener Bildungsbereich durch die nachgezogenen Familienmitglieder zwar unbestritten. Der angekündigte Stopp würde jedoch eine gesamtstaatliche Notlage erfordern. „Notstand ist Nicht-Können. Ein Nicht-Wollen ist keine Grundlage“, schreibt Gahleitner-Gertz.

Generell verfolgt die neue Regierung einen strengen Kurs in der Migrationspolitik. Zu den geplanten Vorhaben zählt auch, bei steigenden Asylantragszahlen keine Asylanträge mehr anzunehmen, ebenfalls womöglich rechtswidrig. Die Koalition strebt zudem effektivere Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber an und will Audioaufzeichnungen in Asylverfahren einführen. Das Regierungsprogramm sieht zudem ein verpflichtendes Integrationsjahr vor. Bei Nichtteilnahme drohen Sanktionen.

SPÖ-Vorsitzender und Vizekanzler Andreas Babler, zuvor Bürgermeister in der vom größten Flüchtlingslager Österreichs geprägten Gemeinde Traiskirchen, bezeichnete das Migrationskapitel als „Kompromiss“. Offenbar sind SPÖ und Neos vor den Konservativen eingeknickt, auch wenn sich die Regierung einig gibt. Im SPÖ-Wahlprogramm war von einem Stopp des Familiennachzugs keine Rede.

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