Neue Regierung in Österreich: Gewissensfrage Big Mac
Die Koalition startet mit Hetze gegen die Justizministerin und Gerede um einen Fast Food essenden Grünen-Chef. Es gibt aber Lob für die Kommunikation.
Grosz, der im Gratisblatt Österreich rechtslastige Kolumnen schreibt, sieht sich als Tugendwächer: „Es ist das elende Pharisäertum der Heuchler. Gegen Müllberge kämpfen und selbst dazu beitragen. Fleischsteuern fordern und das Hochamt der Fleischeslust feiern.“
Seit die Grünen mit der konservativen ÖVP in der Regierung sitzen, stehen sie verstärkt unter Beobachtung. Von linker Seite wirft man ihnen vor, durch Kompromisse in Migrations- und Asylfragen ihre Prinzipien verraten zu haben, die Rechten stechen geifernd in jede offene Flanke, auch wenn sie erfunden werden muss.
In seinen Echokammern löste das Posting von Grosz denn auch den beabsichtigten Shitstorm aus – während Kogler unerwarteten Flankenschutz ausgerechnet vom Boulevard erhielt. Der Journalist Klaus Pándi von der Kronen Zeitung, bisher nicht als Freund der Grünen bekannt, sieht den Skandal nicht im Verzehr von Fast Food durch einen Öko-Kämpfer, sondern im Versuch, Kogler „in perfider Weise“ bloßzustellen.
Solidaritätsbekundungen in den sozialen Medien
Er findet das Foto in seiner Kolumne vom Mittwoch „auf ganz besondere Weise berührend“. Man sehe nämlich „in einem traurigen Winkel eines Fast-Food-Lokals die Einsamkeit eines Mannes, einen prominenten Politiker, in seiner Verletzlichkeit und letztlich den Verzicht auf Lebensqualität als Preis der Macht“.
Schnell machten Solidaritätsbekundungen in den sozialen Medien die Runde. Und viele fragen sich, was denn der Skandal sei. Schließlich setze McDonald's auf österreichische Produkte und hat bei den Verpackungen Styropor durch Maisstärke-Behälter ersetzt. „Die Big-Mac-Geschichte mag vom Grosz als übliche Bösartigkeit gedacht sein. Tatsächlich ist sie beste PR für den @Wkogler“, twittert Albert Steinhauser, der ehemalige Justizsprecher der Grünen, „weil übrig bleibt: er ist einer wie du und ich. Nicht perfekt, aber sicher nicht abgehoben.“
Kogler selbst bekannte in der Kronen Zeitung, er sei „der Letzte, der ein lasterfeies Leben propagiert, ganz im Gegenteil“. Und statt bei McDonald's habe er ursprünglich „zu später Stunde bei einem Würstelstand speisen“ wollen. „Junge Selfie-Jäger haben mich aber zu einem McDonald's gegenüber geschleppt, wo wir uns schließlich eine Runde Burger bestellt haben.“
Ist die medial aufgeblasene Burger-Anekdote eher Anlass zum Schmunzeln, so hat die Welle von Hass, die Justizministerin Alma Zadić entgegenschlägt, ernste Konsequenzen. „Eine kriminelle Muslima wird Justizministerin. Da kommt dann bald die Scharia“, postete ein erregter User auf die Warnung eines FPÖ-Politikers. Die in Bosnien geborene Spitzenjuristin ist zwar weder kriminell noch religiös, doch allein ihre Herkunft provoziert Mordgelüste.
Justizministerin bekommt seit Vereidigung Personenschutz
Ein User postete gar mit Klarnamen: „A Kugel is dera reserviert.“ Die Welle eindeutiger Drohungen wird von den Behörden so ernst genommen, dass Zadić seit der Vereidigung am 7. Januar Personenschutz der Spezialtruppe Cobra bekommt. Dieses zweifelhafte Privileg genießen sonst nur Kanzler und Vizekanzler.
Anders als die Hassposter, die über die grüne Ministerin wegen ihrer Herkunft herfallen, beobachtet der bekannte Politikwissenschaftler Hubert Sickinger dank der grünen Regierungsbeteiligung einen Qualitätsschub bei TV-Interviews: „Heute im #Report und in der #zib2 konnte man übrigens bei @Alma_Zadic und @rudi_anschober sehen, dass es überhaupt nicht schadet, Fragen zu beantworten. Und bei Fragen, die man (noch) nicht beantworten kann oder will: zu erklären, was man vorhat“.
Das ist tatsächlich ein Bruch mit den vom politischen Personal gewohnten Gepflogenheiten, so dass sich ein Christoph Papst in einem Tweet bereits Sorgen um die Medienpolitik von Bundeskanzler Sebastian Kurz macht: „Ich denke, Basti wird früher oder später das Problem bekommen, dass seine Sprechpuppen-MinisterInnen im Vergleich zu den grünen MinisterInnen ziemlich alt und unpopulär aussehen. Das wird er sich nicht lange mit ansehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül