Neue Regierung in Montenegro: Unser Autokrat
Milo Đukanović setzte auf Versöhnung und schubste Montenegro in die Nato. Es bleibt offen, ob die von serbischen Parteien dominierte Regierung das beibehält.
D er Westbalkan ist ein Sammelsurium von kleinen Staaten mit mangelhaften Demokratien, tief gespaltenen Gesellschaften, schwachen Wirtschaften und unbeglichenen historischen Rechnungen. Alle wollen Mitglieder der Europäischen Union werden, tun jedoch recht wenig, um sich den europäischen Normen anzupassen. Solange Frieden in der Region herrscht, ist das aus Sicht der erweiterungsmüden EU ein akzeptabler Zustand. Da nimmt man gern hier und dort auch einen Autokraten hin, wenn er für regionale Stabilität sorgt und vom prowestlichen Kurs nicht allzu sehr abweicht.
Für die dort lebenden Menschen jedoch ist das Dasein in autokratischen Gesellschaften samt der ewigen „europäischen“ Perspektive frustrierend. Irgendwann treibt die Frustration alle Gegner eines autoritären Regimes zusammen, die den Autokraten friedlich oder mit Gewalt loswerden.
Und genau das ist bei den Parlamentswahlen in Montenegro am 30. August passiert. Bürgerliche und prowestliche Kräfte haben sich mit serbisch-orthodoxen und prorussischen Parteien zusammengetan, nur um die Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) von Staatspräsident Milo Đukanović nach über dreißig Jahren zu entmachten. Obwohl sie im Parlament nur einen Abgeordneten weniger als die vereinigte Opposition hatte, gab die DPS ihre Niederlage zu.
Während sich die Mehrheit der Montenegriner nach dem „historischen“ Sieg und wegen der demokratischen Perspektive freut, ist man in der Region besorgt. Auch aus Brüssel und Washington schaut man bekümmert auf den kleinen Adriastaat. Denn Milo Đukanović ist zwar ein Autokrat, aber erwiesenermaßen „unser“ Autokrat.
Kosovos Unabhängigkeit anerkannt
In den 29 Jahren, in denen Đukanović mal als Regierungschef, mal als Staatspräsident in Montenegro herrschte, brach er rechtzeitig mit der großserbischen Expansionspolitik, entschuldigte sich bei den Kroaten wegen der Teilnahme montenegrinischer Reservisten bei den Angriffen auf Dubrovnik, brach trotz heftiger Proteste der montenegrinischen Serben mit der Staatengemeinschaft mit Serbien und führte Montenegro in die Unabhängigkeit; Đukanović eröffnete Beitrittsverhandlungen mit der EU, löste sich von der Umarmung des brüderlichen, slawisch-orthodoxen Russland und schubste das Land ohne Referendum in die Nato, erkannte die Unabhängigkeit des Kosovo an und setzte sich so der Wut Belgrads und der in Montenegro lebenden Serben aus, die knapp unter 30 Prozent der Bevölkerung stellen. Wegen all dieser „Leistungen“ nahm man in Brüssel die Korruption, die jahrzehntelange Alleinherrschaft des montenegrinischen Capo di tutti i capi in Kauf.
Die siegreiche Koalition beeilte sich zu verkünden, nicht an außenpolitischen Verträgen und Verpflichtungen Montenegros rütteln zu wollen. Man wollte sofort die „Partner“ in Brüssel und Washington beruhigen, vor allem was die Mitgliedschaft in der Nato und das Kosovo angeht, dem größten ungelösten Brocken der Region.
Doch Zweifel an der Verbundenheit der zukünftigen Regierung an dem Kurs, den Đukanović in der regionalen und Außenpolitik eingeschlagen hatte, bleiben. In Belgrad feierte man den Sieg der proserbischen montenegrinischen Opposition fast lauter als in Podgorica. Ein anderer Autokrat, Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić, stellte den Sieg serbischer Parteien in Montenegro als seinen eigenen dar. Zu erwarten ist ein größerer Einfluss Belgrads auf Montenegro, wie zum Beispiel auf Bosnien und Herzegowina über die bosnischen Serben.
Die Rolle des Metropoliten
Der erzkonservative serbisch-orthodoxe Metropolit von Montenegro, Amfilohije, der sich aktiv in der Wahlkampagne für serbische Parteien starkmachte, wird von Wählern des serbischen Seniorpartners in der zukünftigen Regierung, der Allianz für die Zukunft Montenegros, vergöttlicht. Der Auslöser für monatelange Massenproteste in Montenegro, die Amfilohije koordinierte, war der Versuch von Đukanović gewesen, Eigentum der Serbisch-orthodoxen Kirche in Montenegro zu verstaatlichen. Die zukünftige Regierung will als Erstes ein entsprechendes, schon verabschiedetes Gesetz wieder nichtig machen.
Amfilohije ist, wie die gesamte serbisch-orthodoxe Kirche, entschieden gegen die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo oder etwa die Gleichberechtigung von Homosexuellen. Der eigensinnige 82-jährige Metropolit ermunterte persönlich montenegrinische Reservisten im Kriegszug auf Dubrovnik Ende 1991. Nun ist die Herde des einst kriegslüsternen Hirten an die Macht gekommen.
Obwohl sich die ideologisch grundverschiedenen Koalitionspartner auf eine „Expertenregierung“ geeinigt haben, die nach zwei Jahren die „ersten fairen und demokratischen Wahlen“ ausschreiben möchte, werden serbische Parteien die Erwartungen ihrer serbisch-orthodoxen Wähler nicht ganz ignorieren können. Während die Đukanović ergebene Regierung relativ schlechte Beziehungen nur mit Serbien hatte, hat das Mutterland der montenegrinischen Serben wegen unbeglichener Kriegsrechnungen problematische bilaterale Beziehungen mit fast allen postjugoslawischen Staaten.
In Montenegro und der Region vermischen sich so Freude wegen der demokratischen Wende in Montenegro und Sorge wegen des Misstrauens zu den Kräften in Aufmarsch.
Außerdem ist Đukanović noch längst nicht entmachtet. Sein Präsidentschaftsmandat dauert noch zwei Jahre, das Land ist gespalten, und es ist schwierig, ein jahrzehntelang aufgebautes autokratisches System abzubauen.
Sollte die zukünftige, der Demokratie verpflichtete Regierung einen einzigen Schritt in die falsche, von serbischer Auffassung der Region und der Welt geprägte Richtung tun, wird sich der Westen wieder hinter Đukanović stellen. Was heißt schon Autokrat, wenn er unser Autokrat ist. Und wenn sich eventuelle Krawalle in Grenzen halten.
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