Neue Pastaform: Um den Finger gewickelt
Flavia Valentini hat eine neue Pasta erfunden. Jetzt wurde eine Maschine entwickelt, die ihre „Imbutini“ in Serie formen kann. Sie hat große Pläne.
Der erste Prototyp der Pastamaschine stand in der Garage. „Wie Steve Jobs’ erster Apple-Computer“, erzählt Flavia Valentini. Ansonsten ist ihre Geschichte aber ganz anders.
Angefangen hat sie auf einem Flohmarkt in der Nähe von Ozzano dell’Emilia, einem 14.000-Menschen-Ort in der norditalienischen Region Emilia-Romagna. Valentini stöbert gerne auf dem Markt herum, seit sie ihren Beruf als Krankenschwester aufgegeben hat, um daheim ihren Ehemann zu pflegen. Eines Tages entdeckt sie ein ungewöhnliches Küchengerät, eine Art Teigschneider. An dem langen Holzgriff ist eine Metallwalze angebracht, die kleine Kreise aus dem Teig aussticht. Man sagt ihr, dass man damit Orecchiette, eine süditalienische Pasta, herstellt.
Doch Valentini weiß genau, wie man Orecchiette macht und dass der altmodische Teigschneider nichts damit zu tun hat. Sie kauft ihn trotzdem. Als sie das Gerät daheim ausprobiert, weiß sie zuerst nicht, was sie mit den Teigkreisen anfangen soll. Dann wickelt sie sich einen davon um die Spitze ihres Zeigefingers, das kennt sie vom Tortellini-Machen. Sie drückt die Enden des Kreises zusammen, ein kleiner Pastahut sitzt nun auf ihrem Finger. „Und so wurden die Imbutini geboren.“ Eine Nudel, die aussieht wie ein kleiner Hut, mit einer Krempe unten und einer Öffnung an der Spitze.
Wenn Valentini diese Geste in der Küche vormacht, während sie von ihrer Mamma erzählt, wirkt es ganz einfach. Im sommerlichen Blumenkleid stellt sie einen kleinen Hut neben den anderen auf das Holzbrett und prüft ihre Form. „Meine Mutter war Partisanin im Zweiten Weltkrieg, eine starke Frau. Danach hat sie Bücher geschrieben und gemalt“, erzählt Valentini. Das sei wichtig, um ihre Geschichte zu verstehen. Hartnäckigkeit und Kreativität habe auch sie gebraucht, um ihre Imbutini, wörtlich „kleine Trichter“, auf den Markt zu bringen.
„Dafür braucht man sbuzzo“, sagt Luca Tommasi, ihr Geschäftspartner. „Das ist Bologneser Dialekt. Eine Person hat sbuzzo, wenn sie erfinderisch und unvoreingenommen ist, die Ärmel hochkrempelt und die Lösung für ein Problem findet.“
„Ich dachte, ich werde in kürzester Zeit stinkreich“
Valentini jedenfalls erzählte ihrer Nachbarin, die beim Patentamt arbeitet, von der neuen Pastaform. Besonders optimistisch reagierte diese nicht. Barilla habe schon Tausende von Patenten hinterlegt, meinte sie. Doch es stellte sich heraus: keine Imbutini. „Ich dachte, benissimo, ich werde in kürzester Zeit stinkreich.“ Ganz so einfach war es dann doch nicht. Zwar lieben alle die neue Pasta, aber sie hört immer wieder denselben Satz: „Du kannst nicht mit einem Blech Imbutini in die Restaurants gehen. Entweder findest du jemanden, der sie industriell herstellen kann, oder es ist nutzlos.“
Valentini lässt sich das nicht zweimal sagen. „Ich habe bei jedem an die Tür geklopft, von Nudelmaschinenherstellern bis zur Werkstatt um die Ecke.“ Sogar ein Team von Ingenieuren an der Universität von Bologna hat monatelang die Geste ihrer Hände studiert.
Nach einem Dreivierteljahr sagten sie, Signora, wir können nicht helfen. Dafür schrieben sie ihr einen Bericht, in dem sie die Eigenschaften der Imbutini wissenschaftlich analysierten. „Noch jedes Mal, wenn ich ihn lese, habe ich Tränen in den Augen“, sagt Valentini, so positiv sei er ausgefallen.
Die Trichterform füllt sich mit der Soße
In dem Bericht heißt es: Die Pasta kocht in jedem Eck perfekt durch, die Trichterform füllt sich mit den schmackhaften Zutaten der Soße, aber durch das Loch an der Spitze kann das Kochwasser beim Abgießen problemlos abfließen, sodass man sich nicht die Zunge verbrennt.
Über Zufall erfährt Luca Tommasi von den Imbutini. Eigentlich baut seine Firma Verpackungsautomaten und maßgefertigte Fließbandmaschinen. Als er mit Valentini einen Termin ausmacht, glaubt er, mit der Besitzerin eines Unternehmens zu sprechen. Dann steigt er ins Auto und merkt, dass er in ein Wohnviertel gelotst wird. „Wir arbeiten eigentlich nicht mit Privatpersonen“, sagt er fast entschuldigend. „Ich habe mir gesagt, was soll’s, ich habe den Termin schon ausgemacht, wir plaudern ein bisschen, trinken einen Espresso und dann gehe ich wieder.“ Angesichts ihres Enthusiasmus und Tatendrangs kann der Ingenieur jedoch nicht Nein sagen. Außerdem gefällt Tommasi die Herausforderung.
Die war dann ziemlich groß: Tommasi hat noch nie mit Teig gearbeitet, und im Gegensatz zu stabilem Metall verändert sich Pastateig schon bei einem Wetterumschwung. Der Ingenieur erklärt, was ihn am Nudelteig wahnsinnig machte: Er ist feucht, klebrig und elastisch. Zum Glück hat auch Tommasi sbuzzo. Zwei Jahre nach dem ersten Prototyp in der Garage hat er eine voll funktionsfähige Pastamaschine in zwei Größen entwickelt, die 45 beziehungsweise 70 Kilo Pasta pro Stunde herstellen kann. Er ist in das Geschäft mit den Imbutini eingestiegen.
Als die Pastamaschinen 2019 serienreif sind, sind Valentinis Imbutini bereits fünf Jahre alt, sie selbst ist inzwischen 60. Nun spricht sie mit Restaurantbetreibern und Spezialitätengeschäften in Bologna. Die Stadt in der Emilia-Romagna hat eine jahrhundertealte Tradition der Pasta fresca, frischen Nudeln aus Mehl und Ei. Tortellini und Lasagne wurden hier geboren, ebenso wie die Tagliatelle al ragù, die als „Spaghetti Bolognese“ den Siegeszug antrat. Sie beherrschen die Speisekarten.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Valentini sagt, Denkfaulheit habe sich unter den Köchinnen und Köchen der Stadt verbreitet. „Wenn ich ihnen die Imbutini zeige, fragen sie: Wie bereitet man sie zu? Welche Soße passt?“ Es sei zum Verzweifeln. Sie hat sogar ein Instagram-Profil aufgemacht, teilt dort Fotos der Imbutini mit verschiedenen Soßen. „Mit 60 Jahren bin ich zur Bloggerin geworden“, sagt sie.
Anfang 2020 waren sie und Tommasi in den Startlöchern. Und dann kam die Pandemie und mit ihr der Lockdown. „Der komplette Gastrobereich ist erstarrt.“ Erst jetzt beginnen sie wieder, auf Messen zu gehen und sich in Restaurants vorzustellen. Aufgeben? Das würde nicht zu Valentini passen. „Der Durchbruch wird kommen. Wie und wann, das weiß ich nicht.“
Bald wird der Feinkostladen Ceccarelli in der Altstadt Bolognas die Imbutini in der Theke haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag