Neue Musik aus Berlin: Komponieren unter Stalin
Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker spielen drei Symphonien von Dmitri Schostakowitsch. Sie klingen zerissen und manchmal federnd leicht.
D mitri Schostakowitsch gilt als tragische Figur unter den russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seine eigenen Werke schrieb er, insbesondere während der Diktatur Stalins, mit dem Wissen um die drohende Zensur. Als Kompositionslehrer ließ er zu, dass seine Lieblingsschülerin Galina Ustwolskaja künstlerisch isoliert wurde, gab diese später zu Protokoll. Wie er genau zu den herrschenden Verhältnissen stand, ist umstritten, in seiner Musik versteckte „Botschaften“ deuten darauf hin, dass er mit der Diktatur zumindest haderte.
Schostakowitsch komponierte unter Stalin nicht bloß Hymnen für diesen, sondern auch seine 8. und 9. Symphonie, die der Dirigent Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern, zusammen mit der 10. Symphonie, neu eingespielt hat. Die 8. entstand 1943 unter dem Eindruck der Schlacht um Stalingrad, von martialischen Gesten jedoch keine Spur. Seine Melodien in c-Moll bringen eher Nachdenklichkeit und Trauer zum Ausdruck, hier und da mischt sich Wut darunter. Nach Kriegsende wurde sie verboten.
Tänzerisch, fast klassisch die 9. Symphonie von 1945, dramatisch zerrissen die 10., die nach Stalins Tod 1953 uraufgeführt wurde. Petrenko und die Berliner Philharmoniker wählen den Ausdruck stets angemessen, ob federnd leicht oder aufwühlend.
Dmitri Schostakowitsch: „Symphonies 8-10“; Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko (Berliner Philharmoniker Recordings)
Petrenko spricht sich im Booklet der in der Pandemie gemachten Aufnahme vor dem Hintergrund des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine zudem für die Freiheit aus. Auch das angemessen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen