Neue Koalition in Belgien: „Vivaldi“ macht nicht glücklich

Belgiens neue, bunte Regierung steht schon eine Woche nach ihrem Start unter Hochdruck. Die Coronakrise hat das Land fest im Griff.

eine geschlossene Bar, mit heruntergelassenen Rollläden

Kein guter Anfang: Die neue Regierung musste erst mal Cafés und Bars schließen Foto: Yves Herman/reuters

BRÜSSEL taz | Endlich raus aus der Krise! Das versprach Alexander De Croo, der neue liberale Premierminister Belgiens, als er die Amtsgeschäfte in der Brüsseler Rue de la Loi übernahm. Doch knapp eine Woche nach dem Start seiner bunten „Vivaldi“-Koalition kann von Entspannung keine Rede sein.

Die Coronakrise ist zurück, schlimmer noch als im Frühjahr. Und die sieben an der neuen Föderalregierung beteiligten Parteien, deren Farben Grün, Rot, Orange und Blau an die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi erinnern, präsentieren sich gar nicht harmonisch.

Für Ärger sorgt vor allem Georges-Louis Bouchez, der Chef der französischsprachigen Liberalen. Bouchez hatte versucht, eigenmächtig Ministerposten zu „verschieben“ – und war auf energischen Widerstand gestoßen. Nun wurde ihm ein Maulkorb umgehängt.

Frustriert wirkt auch Paul Magnette. Der machtbewusste Präsident der wallonischen Sozialisten wäre selbst gern Premier geworden. Doch am Ende musste er weichen, um Platz für De Croo zu machen. Nur ein Flame, so mußte Magnette einsehen, kann eine Koalition führen, die in Flandern gegen die größte Partei regiert.

Grüne Akzente

Das ist der Geburtsfehler der neuen Koalition: Obwohl sie mit 87 von 150 Sitzen über eine komfortable Mehrheit im Föderalparlament verfügt, sieht es in den Regionen nicht gut aus. Flandern fühlt sich übergangen, weil die größte Partei, die N-VA, nicht an der neuen Regierung beteiligt wurde. Das könnte den flämischen Nationalismus anheizen; die N-VA ist auf strammen Oppositionskurs gegangen.

Aber auch die Wallonie ist unzufrieden. Die französischsprachige Region ist bei der Wahl im Mai 2019 nach links gerückt und hat Mühe, sich mit dem neuen liberalen Premier zu identifizieren. Belgien werde schon viel zu lange von wirtschaftsliberalen Flamen regiert, heißt es nicht nur bei der linksradikalen „Partei der Arbeit“ (PTB).

Dabei konnten die Sozialisten und die Grünen im neuen Regierungsprogramm einige soziale und grüne Akzente setzen. Die Mindestrente soll auf 1.500 Euro angehoben werden, es soll eine Steuer auf große Vermögen geben, und ein Investitionsprogramm nach dem Vorbild des europäischen „Green Deal“ soll die Wirtschaft ankurbeln.

Die Grünen konnten auch personalpolitisch Zeichen setzen: Mit Petra de Sutter, der neuen Ministerin für den öffentlichen Dienst, ergatterte erstmals eine Transsexuelle ein hohes Amt. Sie wurde sogar Vize-Premierministerin und steht für Vielfalt im traditionell toleranten Belgien.

Knapp die Hälfte hat kein Vertrauen in die Regierung

Doch die meisten Bürger interessiert das herzlich wenig. Nach einer Umfrage, die kurz nach der Regierungsbildung veröffentlicht wurde, sind nur 38 Prozent der Belgier mit „Vivaldi“ glücklich. 47 Prozent haben kein Vertrauen – und 16 Prozent zeigen sich völlig desinteressiert.

Die Menschen haben offenbar andere Sorgen. Vor allem die „zweite Welle“ der Corona-Pandemie macht vielen Belgiern zu schaffen. Die Lage ist so ernst, dass De Croo seinen ersten öffentlichen Auftritt als Regierungschef der Coronakrise widmen musste.

Die Schutzmaßnahmen wurden erneut verschärft. Cafés und Kneipen müssen um 23 Uhr schließen, außer Haus darf man nur noch enge Sozialkontakte zu drei Personen pflegen. Es ist wohl die letzte Stufe vor dem Lockdown – die Krise hat Belgien fest im Griff.

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