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Neue Keime aus dem KuhstallDie Antibiotika-Falle

Aus wirtschaftlicher Not setzen immer mehr Bauern auf den massiven Einsatz von Medikamenten – und züchten so immer neue multiresistente Keime heran.

Prachtexemplare der Milchproduktion: Kühe mit gefüllten Eutern in der Verdener Niedersachsenhalle Foto: dpa

Hannover taz | Der ruinöse Preiskampf auf dem Milchmarkt zwingt immer mehr Bauern zum massiven Einsatz von Antibiotika im Kuhstall. Nach Informationen der Umweltschutzorganisation Germanwatch werden aktuell 80 Prozent aller Milchkühe regelmäßig mit Antibiotika behandelt. In zehn Prozent der Fälle werden sogar Reserveantibiotika verwandt, die eigentlich für den Menschen reserviert sein sollten. „Das ist ein enormes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung“, warnt Reinhild Benning, bei Germanwatch Referentin für Landwirtschaft und Tierhaltung.

Zwar gelangten kaum Antibiotika über den Milchverzehr in menschliche Körper, sagt Benning: „Dazu sind die Kontrollen der Molkereien zu streng.“ Allerdings verwandele die Medikamentengabe die Ställe in Brutstätten multiresistenter Keime. Durch Mutationen entstehen dort Erreger, gegen die kaum noch ein Wirkstoff hilf. Sie sind in rohem Fleisch ebenso zu finden wie in Gülle, die auf Feldern ausgebracht wird – auch Tierhalter und -ärzte tragen sie aus den Ställen. „Schon heute sind über 80 Prozent der Schweinehalter Träger multiresistenter Keime, transportieren diese auch in Krankenhäuser“, sagt Umweltschützerin Benning.

Alarmiert ist auch Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister Christian Meyer – in Deutschlands Agrarland Nummer eins werden nicht nur 860.000 Milchkühe, sondern auch neun Millionen Schweine und 90 Millionen Hühner gehalten. Sorge bereitet Meyer der auch hier verbreitete massive Antibiotika-Einsatz: So wird etwa jede sechste Pute in Niedersachsen täglich mit Antibiotika behandelt.

Immer wieder warnt Meyer deshalb vor einer „Post-Antibiotika-Ära“ – also einer Zeit, in der es gegen viele Krankheitserreger kaum noch Medikamente geben könnte. „Ich halte die Gefahren des hohen Einsatzes von Antibiotika, vor allem in der industriellen Tierhaltung, für enorm“, so Meyer zur taz: „Sorge machen mir besonders Warnungen britischer Forscher. Demnach ist mit Millionen Toten zu rechnen, wenn nichts passiert.“

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) müsse deshalb endlich eine Negativliste für Antibiotika vorlegen, fordert der Grüne – also verbindlich vorschreiben, welche dieser Medikamente für den Menschen reserviert sein sollen und deshalb nicht in der Tierhaltung verwandt werden dürften.

Einen solchen „politischen Eingriff“ fordert auch Elisabeth Böse vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter: Allein aus wirtschaftlicher Not griffen immer mehr Landwirte zur Antibiotika-Gabe. „Die Bauern stehen tierisch unter Druck, verlieren gerade ihre Höfe“, sagt die Tierärztin aus Thedinghausen bei Bremen. Aktuell liegt der Milchpreis bei 22 bis 25 Cent pro Liter – als existenzsichernd gelten 44 Cent.

Um überleben zu können, versuchen die Landwirte deshalb, möglichst viel Milch aus ihren Kühen herauszupressen. So sind die Tiere etwa so gezüchtet, dass aus den Zitzen ihrer Euter viel Milch fließt. Allerdings schließen sie auch nicht mehr fest, was das Eindringen von Krankheitserregern begünstigt – die wiederum mit Antibiotika bekämpft werden.

Das exportfixierte System des liberalisierten Milchmarkts, das traditionelle Bauernverbände wie das niedersächsische Landvolk noch immer bewerben, sei gescheitert, sagt deshalb die Umweltschützerin Benning. „Auf dem Weltmarkt gelten Weltmarktpreise“ – allerdings könnten Deutschlands Bauern über den Preis niemals mit ihren Kollegen etwa aus Neuseeland konkurrieren.

„Dort gibt es keine strengen Winter“ – die Tiere könnten ganzjährig auf der Weide gehalten werden, Kosten für Stallbau oder teures Winter-Kraftfutter entfielen.

Stattdessen sollten die Landwirte versuchen, mit Qualität zu punkten, meint Benning – etwa mit einem „Weidemilch“-Label, das garantieren solle, dass Kühe mindestens 120 Tage im Jahr nicht im engen Stall, sondern naturnah auf der Wiese gehalten werden. „Das wäre gut für die Tiere – und die Verbraucher.“

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5 Kommentare

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  • Herr S. Pitt hat vollkommen recht. Der Milchpreis und die Antibiotikagaben an Milchrinder korrelieren nicht. Antibiotika im Kuhstall wird aus anderen Gründen als zur Steigerung der Milchleistung verabreicht. Die Schlussfolgerungen die der Autor aus der Häufigkeit der Medikamentenverabreichung zieht, sind schlicht falsch, da er über die Haltung von Rindern (die er in Beziehung zur Antibiotikagabe bei Puten setzt oder zur Keimresistenz von Schweinehaltern) offenbar keine Kenntnis hat. Der Artikel versucht, die Haltung völlig verschiedener Nutztierarten unter einem einzigen Gesichtspunkt zu betrachten (ohne überhaupt etwas über verschiedene Praktiken der Nutztierhaltung zu referieren). Und ist ein klassisches Beispiel für vermeintlich engagierten, tatsächlich aber schlechten, zu kurz greifenden, Journalismus.

  • Der Idealzustand rückt in greifbare Nähe: alle Milchbauern sind konkurs gegangen und die Bevölkerung hat aufgehört, wie kleine Babies die Muttermilch artfremder Mütter zu saufen, die ihren eigenen Babies, nämlich den Kälbern gehört. Das wäre gleichzeitig das Ende der brutalen Ausbeutung und das Ende der massenhaften Ermordung ungebrauchter männlicher Kuhkinder und unrentabel gewordener junger Milchkühe.

  • Meine Güte! Der "ruinöse Preiskampf auf dem Milchmarkt" ist ja schlimmer als die Nazis waren! Vermutlich stellt er alle Bauern, die nicht freiwillig "zum massiven Einsatz von Antibiotika im Kuhstall [greifen]", zur Strafe dafür eigenhändig an die Wand, sobald er sie erwischt. Ohne Gerichtsurteil und Einspruchsfrist.

     

    Vielleicht sollten wir die Russen zu Hilfe rufen. Am besten die Amerikaner, die Engländer und die Franzosen gleich mit. Dass diese Leute 1945 wussten, wie man die Nazis schlägt, ist ja belegt. Allerdings könnte es sein, dass sie gerade mit sich selbst zu kämpfen haben. Sie dopen ihre Kühe schließlich auch. Vermutlich mit den selben Folgen. Schließlich haben ja auch Amis, Russen, Engländer und Franzosen einen "ruinösen Preiskampf" innerhalb der nationalen Grenzen, der sie zu Sachen zwingt, die sie nicht wirklich machen wollen. Sie können also vielleicht nicht viel tun für uns und unsre Bauern.

     

    Ob es da wirklich trösten kann, dass man ja immerhin das selbe Sprachproblem besitzt? Auch andere können nicht "NEIN!" sagen, nicht bloß die deutschen Bauern. Man fragt sich fast schon, wozu es zum Beispiel eine Grundsicherung gibt in der sozialen Marktwirtschaft, wenn sie niemanden und nichts sichern kann.

     

    Wäre die Fähigkeit zum "Nein!"-Sagen schon 1933 ausgeprägt gewesen, wäre Deutschland und der Welt so einiges erspart geblieben, denke ich. So aber, wie die Dinge nun mal stehen, wird die Welt wohl bald wieder ihr braun-weiß-schwarzes bzw. lila Wunder erleben. Nun ja, ihr multiresistentes Wunder halt.

  • Dieses Problem ist seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt, und geändert hat sich nur insoweit etwas, als das die Menge der verfütterten Antibiotika stetig zugenommen hat. Tatsächlich liegt die Problemkette aber woanders: Habgier macht skrupellos und Skrupellosigkeit macht noch habgieriger. Doch beides zusammen macht offensichtlich auch dumm, denn anders ist es nicht erklärbar, daß die Lobby der Nutztierzüchter trotz der Gewißheit, auf den Abgrund zuzusteuern, ihre Lemming-Strategie nicht aufgibt.

  • Sehr geehrte Taz,

     

    leider muss Ihr Artikel - so wie er geschrieben ist, sowie auch argumentatorisch - unter der Kategorie Panikmache sowie Konvi-Bauern-Basching abheften.

    Wieso?

     

    Ihr Argument: gerade jetzt zur Zeit sehr niedriger Milchpreise, versuchten Landwirte mit Hilfe von Antibiotika den letzten Tropfen Milch "herrauszupressen".

    Selbst, wenn das so möglich wäre, würde es wirtschaftlich keinen Sinn ergeben. Warum sollte der Landwirt mit teuren Antibiotika Milch bezahlen, für die so gut wie nichts bekommt?

    Einfachste Betriebswirtschaftslehre: Sinkt der Preis meines Produktionsgutes, muss ich Produktionskosten sparen.

     

    Davon abgesehen ist es auch ganz unmöglich kurzfristig mit dem Einsatz von Antibiotika die Milchmenge zu erhöhen. Darüber entscheiden in erster Linie Zucht und Futter. Die Relation in der Zucht zwischen Leistung und Krankheitsanfälligkeit existiert absolut, und das ist nicht in Ordnung. Und dass in der Tiermedizin zuviel und dann auch noch Reserveantibiotika eingesetzt werden, ist in der Tat besorgniserregend.

    Aber als Ursache ist vielleicht der Tierarzt zu sehen, der ja in Deutschland gleichzeitig als Arzt und Apotheke fungiert, oder oft auch die individuelle Haltung und Management auf dem Betrieb.

    Aber Ihr Argument, dass die wirtschaftliche Situation, dazu führt, dass noch mehr Antibiotika gegeben wird und somit ein weiteres Indiz dafür ist, dass dieses System gescheitert ist, ist schlicht falsch.