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Neue Flüchtlingsunterkunft in KreuzbergSie wollen das schaffen

Bei einer Infoveranstaltung zeigen sich die Kreuzberger grundsätzlich erfreut über eine geplante Flüchtlingsunterkunft – haben aber auch Kritik.

Das ehemalige Gebäude der deutschen Rentenversicherung an der Hasenheide soll ab 2027 eine Erstaufnahme für 760 Geflüchtete werden Foto: Jürgen Held/imago

Normalerweise gibt es Ärger, wenn eine neue Flüchtlingsunterkunft eröffnen soll. Auf Infoveranstaltungen für Anwohner, die das Landesflüchtlingsamt (LAF) seit einigen Jahren vorab anbietet, geht es oft hoch her. Mal werden Ängste vor steigender Kriminalität geäußert, oft geschürt von rechten Politikern. Oder es gibt Sorgen um eine Überlastung der Spielplätze, Kitas und Schulen in der Umgebung. Oder Beschwerden über wegfallende Parkplätze, wie in der vergangenen Woche in Neukölln im Fall einer Containersiedlung, die am Britzer Garten entstehen soll.

In Kreuzberg ist bekanntlich alles anders. Dass der Ruf als weltoffener Multikulti-Stadtteil nicht von ungefähr kommt, zeigte sich am Montagabend in der Aula der Carl-von-Ossietzky-Gemeinschaftsschule, als das LAF über die Erstaufnahmeeinrichtung an der Hasenheide informierte, die Anfang 2027 eröffnen soll.

Gleich am Eingang hatte sich das „Willkommensbündnis Hasenheide“ mit Flyern postiert – im März dieses Jahres gegründet, hat es schon jetzt fast 50 aktive Mitglieder.

Die Stimmung unter den etwa 120 Besuchern war zu Beginn zwar etwas gespannt. Aber grundsätzlich, das wurde im Verlauf des Abends deutlich, stößt das Unterfangen im Kiez auf Zustimmung – zumindest bei jenen, die sich in die Aula bemüht hatten.

Kritik gab es trotzdem, vor allem an der „Lagerschule“ mit zwölf Willkommensklassen, die in dem Gebäudekomplex, in dem früher die Rentenversicherung residierte, geplant ist. Das LAF geht davon aus, dass von den 760 Geflüchteten, die dort unterkommen sollen, etwa ein Drittel Kinder und Jugendliche sein werden.

Man sorge sich um deren „psychische Gesundheit“, wenn die Kinder nicht einmal zum Schulbesuch das Gebäude und die mutmaßlich beengten Wohnverhältnisse verlassen könnten, sagte eine Vertreterin des Willkommensbündnisses gleich zu Beginn der Fragerunde. Eine andere Anwohnerin fragte, wieso die nahe Reinhardswald-Grundschule geschlossen werden soll, wenn es in anderen Schulen keinen Platz für weitere Willkommensklassen gebe.

Friedrichshain-Kreuzbergs Schulstadtrat Andy Hehmke (SPD) erklärte, die Schulschließung sei unumgänglich wegen des „baulich prekären Zustands“. Ansonsten stimmte er – wie auch Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt (SPD) – zu, dass eine Beschulung in dem Flüchtlingsheim schlecht sei. Bozkurt hält das sogar für „grundsätzlich falsch“, dennoch sei eine „Notfall-Schule“ besser als gar keine. Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Einrichtung eine Erstaufnahme werde, sagte Bozkurt. Nach sechs Monaten spätestens sollten die Bewohner in eine Gemeinschaftsunterkunft umziehen.

Einem weiteren Aufreger versuchte Bozkurt den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er erklärte, ob es die ebenfalls im Gebäude geplante Erstaufnahme- und Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) mit 163 Plätzen wirklich geben werde, sei derzeit noch offen. Man habe die Kritik daran zur Kenntnis genommen. Der Flüchtlingsrat, das Berliner Netzwerk für besonders Schutzbedürftige (BNS) und andere hatten die gemeinsame Unterbringung von erwachsenen Flüchtlingen und UMF moniert, überhaupt sei eine „Großunterkunft“ nicht für UMF geeignet.

Auch Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) sprach auf der Veranstaltung in diesem Sinne – und bekam dafür viel Applaus. Den „Rückenwind“ durch die Bürger, den Herrmann nach eigener Aussage verspürt, nutzte sie geschickt, um ihren Forderungen an den Senat Nachdruck zu verleihen. Zum ­einen müssten Bezirk und engagierte Zivilgesellschaft „frühzeitig eingebunden“ werden in die weitere Planung, etwa mit Blick auf genügend Aufenthalts- und Spielflächen in und an der Unterkunft. Und: „Wir brauchen 2 Millionen Euro jährlich für Unterstützungsleistungen.“

Damit meint sie Beratungen aller Art, Sprachkurse, aufsuchende Hilfen, Nachbarschaftsangebote, Geld für die bestehende Jugendsozialarbeit im Kiez, die durch die neuen Nachbarn Mehrarbeit bekommen wird. Man dürfe nicht vergessen, so Herrmann, dass der Kiez, die Werner-Düttmann-Siedlung, ohnehin von Armut geprägt sei. Soziale Träger, die deswegen „jetzt schon da sind“, müssten gestärkt werden. Auch dafür gab es viel Applaus.

Ob das Geld in den aktuellen Haushaltsverhandlungen bereitgestellt wird? Bozkurt verwies lediglich darauf, dass seine Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) eine „Gemeinschaftspauschale“ möchte, mit der die Bezirke für jeden Flüchtling, den sie unterbringen, zusätzliches Geld für soziale Infrastruktur bekommen. „Eine tolle Idee“, findet er. Ob sie verwirklicht wird, sei aber nicht geklärt.

Der Sprecher des LAF, Sascha Langenbach, zeigte sich im Anschluss erfreut über den Verlauf des Abends. Es sei schon etwas besonderes, „dass Geflüchtete grundsätzlich willkommen geheißen werden, dass über Angebote zur Integration gesprochen wird anstelle von pauschaler Ablehnung“, sagte der er taz.

Auch das Willkommensbündnis verbuchte die konstruktive Diskussion als positiv. Man sei aufgrund früherer Erfahrungen des LAF mit solchen Informationsveranstaltungen darauf eingestellt gewesen, eventuell auf rechte Störungen reagieren zu müssen. „Wir finden es sehr erfreulich, dass es dazu nicht gekommen ist“, sagte ein Mitglied des Bündnisses der taz.

Weniger erfreulich sei jedoch das „Gesamtbild“, das sich aus den bisherigen Informationen ergebe. Vor allem „zeichnet für uns leider ein Bild ab, nach dem über die Mindestversorgung hinaus keine Mittel verfügbar sind und eine Integration erschwert wird“. Neben den nicht abgeschlossenen Haushaltsverhandlungen liege dies wohl auch an der Einstufung der Unterkunft als Erstaufnahme.

Die damit verbundene Vorstellung, dass die Menschen jeweils nur wenige Wochen bis zu sechs Monaten an der Hasenheide wohnen werden, entspreche aber nicht den Erfahrungen aus anderen LAF-Standorten, so das Bündnis-Mitglied. Oft blieben die Menschen weit länger.

Umso wichtier seien „deutlich über Mindeststandards hinausgehende Bedingungen“ in der Unterkunft sowie finanzielle und organisatorische Unterstützung „der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure in Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, die sich einbringen wollen“.

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