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Neue Entwicklungen zu #MeTooSchmerz, nicht harmloses Vergnügen

Vom Nobelpreis bis zu Christian Kracht: In kulturellen Bereichen galt es geradezu als notwendig, Demütigungen auszuhalten. Damit ist nun Schluss.

Nicht länger schweigen, nicht länger verstecken Foto: Unsplash/ Steve Harvey

Es ist erschreckend, was im Zeichen von #MeToo derzeit auch im kulturellen Bereich herauskommt. Das Bekenntnis des Schriftstellers Christian Kracht, als Zwölfjähriger von einem Lehrer sexuell missbraucht worden zu sein, vorgetragen während seiner Frankfurter Poetikvorlesung, steht ja weiß Gott nicht allein da.

Man muss sich das einmal vergegenwärtigen. Der Literaturnobelpreis wird dieses Jahr nicht vergeben und womöglich auf lange Zeit noch beschädigt sein, weil die Jury Missbrauchsfälle bis, so ist zu vermuten, hin zur Vergewaltigung systematisch verschleierte. Dass der angeblich so hehre Kreis um den Dichter Stefan George sich in seinem Kern um Missbrauch drehte, legt eine Recherche der FAS nahe.

Der amerikanische Schriftsteller Junot Díaz hat sich erst selbst in einem erschütternden Text als Missbrauchsopfer geoutet – bevor er seinerseits von gleich drei Frauen auch als Täter benannt wurde. Und dann gibt es noch den Fall Dieter Wedel, der, nach allem, was man weiß, seine Machtposition als Filmregisseur für Psychoterror und sexuelle Gewalt benutzt hat.

Allein schon diese Aufzählung zeigt, wie zentral die #MeToo-Bewegung für das gesellschaftliche Selbstverständnis insgesamt längst geworden ist. Was sie ermöglicht hat, ist ein ganz anderes, ein direktes Sprechen. Schweigekartelle; Verschwiemelungen von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen als „pädagogischer Eros“; auch das Schweigen von Menschen, die ihre Missbrauchserfahrung bislang tief in sich begraben hatten – das alles bricht jetzt auf. Zum Glück. Wer Geschichten der Betroffenen oder Artikel über sie liest, stellt schnell fest, dass sie bislang nicht allein aus Scham oder Selbstschutz geschwiegen haben, sondern auch deswegen, weil sie keine Chance sahen, gehört zu werden.

Traurige Berichte über Ich-Panzerungen der Betroffenen

Man muss es im Lichte der aktuellen Fälle so deutlich sagen: Unsere Gesellschaft war, was sexuelle Gewalt betrifft, nicht auf Empfang geschaltet. In manchen kulturellen Bereichen galt die Fähigkeit, Demütigungen auszuhalten, sogar geradezu als notwendige Bedingung dafür, auf diesem angeblich so kreativen und selbstbestimmten Feld mitmachen zu dürfen. Oft genug mit schlimmen Auswirkungen für die Betroffenen.

Angelehnt an den Klassiker „Männerphantasien“ des Kulturtheoretikers Klaus Theweleit bringt Christian Kracht nun die betont kalten, oft psychisch gepanzerten Figuren seiner Romane wie „Faserland“, „Imperium“ oder „Die Toten“ mit seiner Missbrauchserfahrung zusammen. In der Geschichte im letzten Spiegel über die Missbrauchsfälle rund um den Nobelpreis stieß man auf sehr traurig machende Berichte über die Ich-Panzerungen der Betroffenen.

Die #MeToo- Bewegung hat gesellschaftlich ein neues Selbstverständnis und ein anderes, ein direktes Sprechen ermöglicht

Gerade in solchen Abspaltungen und in diesen psychischen Fluchten in die Kälte und in die Härte zeigt sich, wie man nach so einer Erfahrung um sein Selbstbild, manchmal um sein Leben ringen muss. Übrigens kann man am Fall Christian Kracht auch sehen, dass da keineswegs nur die Pädagogen des Eliteinternats, auf das er geschickt worden war, versagt haben, sondern auch die Mitglieder seiner eigenen Familie.

Was tun? Institutionell müssen, wo noch nicht geschehen, checks and balances in die kulturellen Institutionen eingebaut werden, so dass Schweigekartelle nicht weiterbestehen können. Darüber hinaus gehört so manche weiterhin gängige Vorstellung von Kultur auf den Müllhaufen. Wer sie nur als harmloses Vergnügen nimmt – wie viele der aktuellen auf Wellness und Unterhaltung ausgerichteten Marketingkampagnen rund ums Lesen –, der liest über den Schmerz, der als Glutkern manchmal in ihr steckt, allzu schnell hinweg.

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Und mit auf diesen Müllhaufen gehören die Ideen, nach denen sich Künstlergenies mehr herausnehmen dürfen als andere Menschen oder nach denen man erst Opfer zu bringen hat, bevor man im Kreis der erlauchten Kulturschaffenden aufgenommen wird. Gerade durch solche Ideen wurde allzu oft Missbrauch verbrämt.

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11 Kommentare

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  • Unsere Gesellschaft ermuntert indirekt zum Schweigen, wenn sexuelle Belästigungen, Nötigungen oder Vergewaltigungen stattfinden.

    Eine Leistungsgesellschaft fördert Leistungsbringer und vernachlässigt Schwache und Opfer!

     

    Ein Politiker sagte in Deutschland, dass wer nichts leistet, soll nichts Essen oder so. Dabei hat er den Kommunismus und Kapitalismus mit unserer sozialen Marktwirtschaft fälschlicherweise gleich gesetzt.

     

    HARTZ IV Empfänger, Penner oder Prostituierte/Hure sind Schimpfworte hierzulande. Schon deswegen outen sich viele Menschen nicht, die zum Beispiel Opfer von sexueller Belästigung oder Vergewaltigung wurden.

     

    Vermutlich nutzen viele Verbrecher z.B. Vergewaltiger das aus. Was bedeutet das für eine Frau, die vergewaltigt wurde und das öffentlich zugibt? Meidet man sie dann? Wird sie im Job anders behandelt? Glaubt man ihr? Behandelt man sie wie eine Lügnerin? Bedeutet sie eine Gefahr für eine geschlossene Gemeinschaft bspw. ein Unternehmen?

     

    Geld und Macht machen in unserem Land viel kaputt. Eine vergewaltigte Frau wird oft unfair als Schlampe bezeichnet. Prostituierte soll hierzulande ein Beruf sein.

     

    Wenn die Gesellschaft in der Evolutionsentwicklung zurück bleibt, heißt das noch lange nicht, dass nicht zu ändern ist. Denn „… zuerst war das Wort…“ Betroffene Menschen mit Hilfe von Journalisten können die Gerechtigkeit erzwingen!

  • Oft spielt eine Rolle die Macht oder das ungleiche Machtverhältnis.

     

    So gibt es beispielsweise sexuelle Belästigungen – sowohl gegen Frauen als auch Gegen Männer – bei Jobcentern. Das Vorgehen der Frauen beschränkt sich allerdings auf wörtliche Anmache, die mehrdeutig und auch eindeutig ausgelegt werden kann.

     

    So gab es eine Studentin, die ein Dozent öffentlich geduzt hat und man merkte offensichtlich, dass sie ihm als Frau sehr gefällt. Sie bekam dann für ihre Klausur in dem Fach eine 1,0 und räumte ein, dass der Termin beim Dozenten, der wohl ohne sexuelle Handlungen gelaufen ist, ihr sehr geholfen hat.

     

    So gab es eine Frau in einem Medizinunternehmen, die ohne Abitur ein Medizinstudium angefangen hat. Die hat es zugegeben, dass sie für das Studium mit ihrem Vorgesetzten geschlafen hat. Ihr Vorgesetzter, Jens xy allerdings war immer zu gut zu der Mitarbeiterin und war gar stark eifersüchtig, wenn jemand mit seiner Mitarbeiterin im Zimmer allein war und die Tür im Zimmer zu war. Der Vorgesetzte ist verheiratet. Die Mitarbeiterin hat eine Tochter zu ernähren, ist nicht verheiratet und wollte mehr Geld verdienen.

  • der schönste Widerspruch den der Autor nicht auflöst:

    Kultur verarbeitet Qual. Die Qual findet er aber unerträglich. Einen Kulturbegriff der sie nicht sieht und allzu seicht und süsslich ist sei aber zu verurteilen. Aber in Zukunft solle der "Glutkern" der erfahrenen und ausgeübten Verletzungen auf keinen Fall mehr nötig sein um diesem dann unseichten Kulturbegriff entsprechen zu können.

     

    Die Welt ist doch zum Glück zu komplex, als dass die Formeln Sinn ergäben

    • @relation:

      schlauer Beitrag...im diesem Sinne ist meines Erachtens auch das "verdienen" am Ende gemeint. Man sollte als Künstler anders sein, anderes erzählen können als grauen Durchschnitt.

  • Vielen Dank für diesen Artikel. Geschrieben von einem Mann. Es gibt darin keine einzige Relativierung von der zerstörenden Wirkung von sexualisierter Gewalt. Und die metoo-Debatte wird als wertvoll und wichtig für die Gesellschaft beschrieben. Kein: ja, aber Frauen sind doch auch böse und Männer arm dran, und überhaupt, was darf man jetzt noch?

    Jürgen Dehmers (Pseudonym) hat ein Buch über die Odenwaldschule mit dem Titel "Wie laut soll ich denn noch schreien?" geschrieben. Und Anthony Kiedis, der Sänger der Red Hot Chily Peppers, hat in seiner Biographie ein Erlebnis beschrieben, von ihm selbst als Jungen. Er nennt es nicht so, in diesem Text, aber dieses Erlebnis kommt einer Vergewaltigung gleich.

    • @Unmund:

      "keine einzige Relativierung von der zerstörenden Wirkung von sexualisierter Gewalt. Und die metoo-Debatte wird als wertvoll und wichtig für die Gesellschaft beschrieben" (UNMUND)

      Ja. Seh ich auch so.

      Was durch die Debatte nach außen dringt, saget außerdem so manches über die Mechanismen (Macht u. Umgang damit etc.) einer sich selbst als zivilisiert und kultiviert bezeichnenden Gesellschaft aus...

      • @HopeDrone:

        sagt

    • @Unmund:

      Das Internet ergreift vom Leben Besitz. Sind wir schon in einer Simulation wenn wir de PC einschalten?

      Alles wird anders. Der Blick verengt sich, die Tänzer drehen sich schneller und streben dem Rausch der Empörung zu.

      Ich schalte den PC aus und gehe in ein Cafe.

      Die Frauen hinter der Theke scheren sich nicht um metoo, wohl aber darum endlich Feierabend zu haben.

      Das Kind ist krank, erzählt die eine, und das ihr Mann dauernd auf den Handy anruft. Es ist Samstag und er will den Bereitschaftsarzt holen.

      Die Frau hinter der Theke kann nicht weg, sie ist blass und tut mir leid.

      So ein Cafe ist eine kleine Welt, ich mag keine großen mehr.

      So eine große Welt wie das Internet degradiert Menschen zu Simulationen.

      Dieser ganze Empörungsrausch ...

      Die Kolleginen wollen die Frau nach Hause schicken, eine ruft den Chef an.

      Das ist das gute an so einer kleinen Welt. Mann kann dort helfen, beim virtuellen empören ist das nicht möglich.

      Ich schalter morgen früh den PC erst gar nicht ein. ich geh mal ins Cafe, mal schauen ob man was über das Kind weiß.

  • Was alle tun, wird Normalität. Wenn Missbrauch überall gesehen wird, verliert er das besondere und verurteilenswürdige. Dann ist Missbrsuch irgendwann normal.

     

    Es muss schärfer definiert werden, was „echter“ Missbrauch ist, auch wenn das einigen nicht gefällt.

    • @TazTiz:

      Im Faschismus wird aus politischer Gewalt Normalität, das macht sie kein Stück weniger verurteilungswürdig. Und in der Vergewaltigungskultur ist der sexuelle Missbrauch Normalität, wenn auch nur informell, denn natürlich ist das Selbstverständnis ein anderes. Auch hier muss der gleiche Maßstab gelten. Gerade die Selbstverständlichkeit und Normalität der Übergriffe gilt es zu verurteilen und, so vorhanden, zu bekämpfen. Dass zwischen anzüglichen Bemerkungen und Vergewaltigungen unterschieden werden muss, ist dabei selbstverständlich und steht auch gar nicht zur Debatte.

  • Die Debatte hat sich von der Idee der Integration der einen, zugunsten der Ausgrenzung der anderen entwickelt. Auszubaden werden das wieder die Frauen haben.