Neue EU-Sanktionen gegen Russland: Von der Leyens Resterampe
Das neunte Sanktionspaket der EU enttäuscht. Sinnvoller wäre eine kritische Bestandsaufnahme der bisherigen Maßnahmen gewesen.
V or einem Jahr hat die EU damit begonnen, Sanktionen gegen Russland auszuarbeiten. Damals ging es noch darum, Moskau von einem Angriff auf die Ukraine abzuhalten. Dieses Ziel wurde verfehlt. Danach erließ die EU acht Sanktionspakete, die Russland schwächen und den Krieg verkürzen sollten. Auch dieses Ziel wurde nur teilweise erreicht. Die russische Wirtschaft schwächelt, doch der Krieg geht weiter.
Vor diesem Hintergrund sollte man erwarten, dass die EU Bilanz zieht und die Wirkung ihrer Sanktionen überprüft. Welche Ziele wurden erreicht, welche nicht? Welche Nebenwirkungen haben die Strafen auf Europa und die Welt? Ist der Preis der Strafen womöglich höher als ihr Nutzen? – Doch dies ist nicht geschehen. Die EU-Kommission hat es nicht einmal für nötig gehalten, eine Folgenabschätzung vorzulegen und sich kritischen Fragen zu stellen.
Stattdessen wählt Behördenchefin Ursula von der Leyen die Flucht nach vorn. Wenige Tage nachdem ein umstrittenes Ölembargo und ein löchriger Preisdeckel in Kraft getreten sind – wieder ohne durchschlagenden Erfolg –, präsentiert sie stolz das neunte Sanktionspaket. Die bisherigen Strafmaßnahmen hätten Russland schon sehr hart getroffen, behauptet sie, doch nun werde der Druck noch erhöht. Es klingt noch hohler als beim letzten Mal.
Die Vorschläge, die von der Leyen vorgelegt hat, wirken wie eine traurige Sammlung von der Resterampe. Mit den rücksichtslosen russischen Attacken auf die Energieversorgung in der Ukraine haben sie wenig zu tun. Zwar sollen diesmal Schlüsselfiguren des russischen Militärs abgestraft werden. Doch warum erst jetzt – warum nicht gleich zu Beginn des Kriegs?
Und was sollen weitere Handelsbeschränkungen für zivile Güter bringen, die auch militärisch genutzt werden können? Dual-Use-Produkte standen schon auf früheren Listen. Sie erneut anzuführen ist ein Eingeständnis, dass die bisherigen Strafen nicht das gewünschte Ergebnis gebracht haben – wie so viele andere Beschlüsse. Die Sanktionen erweisen sich immer mehr als Symbolpolitik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?