Neue Doppelspitze der Berliner SPD: Ins Ziel geschleppt
Die Hauptstadt-SPD wählt die Parteirechten Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini mit magerer Zustimmung zu ihren neuen Landesvorsitzenden.
Ihre Wahl auf einem SPD-Landesparteitag am Samstag galt zwar eher als Formsache. Schließlich hatte sich zuvor schon die SPD-Basis per Mitgliederbefragung zum künftigen Landesvorsitz mehrheitlich für das Duo entschieden, das dem rechten Parteiflügel zugerechnet wird.
Das Problem: Die Delegierten auf Berliner SPD-Parteitagen ticken zu überwiegenden Teilen linker als die Basis und damit auch linker als ihre neuen Chef:innen. Sie hätten es in der Hand, „ob von diesem Parteitag ein Signal des Zusammenhalts oder ein Signal der Spaltung ausgeht“, hatte Böcker-Giannini in dem Tagungshotel im Bezirk Lichtenberg vor ihrer Wahl um Zustimmung geworben. Tatsächlich folgte ein Weder-noch. Kein Triumph, aber auch keine Klatsche.
Hikel schleppte sich mit 66 Prozent ins Ziel, Böcker-Giannini kam auf 68 Prozent, rund ein Drittel der über 260 Delegierten stimmten gegen die beiden. Einige hatten sogar mit einem schlechteren Ausgang gerechnet. Es sei „ein ehrliches Ergebnis“, kommentierte Böcker-Giannini das Votum im Anschluss. Hikel dankte für die „kritische Diskussion“. Der Funke wollte nicht richtig überspringen.
„Inhaltlich ziemlich tot“
Besagte Diskussion kam dabei immer wieder auf einen Punkt: ein Interview, das die promovierte Sportwissenschaftlerin und der ausgebildete Mathematiklehrer kurz vor dem Parteitag der Boulevardzeitung B.Z. gegeben hatten. Besonders auf die Palme brachte etliche Delegierte die Aussage Hikels, die Partei sei „inhaltlich ziemlich tot“. Verstanden wurde es als Missachtung der Arbeit der Ehrenamtler:innen in den Kreis- und Ortsverbänden.
Basisbefragung hin oder her, Teile der Parteilinken machten in ihren Reden dann auch keinen Hehl daraus, dass sie Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini nur bedingt zutrauen, den Laden adäquat zu führen. Eine Delegierte aus Neukölln sagte: „Uns zu unterstellen, dass wir abgekoppelt sind von der Realität der Berliner:innen, das verletzt mich, das macht mir keinen Spaß.“
Das neue Führungsduo löst Franziska Giffey und Raed Saleh ab, die seit 2020 an der Spitze der Landespartei standen. Die einstige Bundesfamilienministerin, spätere Berliner Regierungschefin und heutige Wirtschaftssenatorin Giffey hatte Anfang des Jahres bekannt gegeben, sich vom Parteivorsitz zurückzuziehen.
Bei Saleh, seit über 12 Jahren zudem SPD-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, ging der Abschied vom Parteiamt nicht ganz so elegant über die Bühne. Er flog in der ersten Runde der Mitgliederbefragung mit unter 16 Prozent der abgegebenen Stimmen raus.
Absturz einer Regierungspartei
Sowohl Franziska Giffey als auch Raed Saleh wird das miserable Abschneiden der SPD bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2023 angelastet. Die Partei, die über 20 Jahre die Regierenden Bürgermeister:innen gestellt hatte, rauschte auf gut 18 Prozent ab. Anschließend wechselte die Partei nach über 6 Jahren Koalition mit Grünen und Linken als Juniorpartner in ein Bündnis mit dem Wahlgewinner CDU.
„Die Stimmung ist schlecht bei uns, der SPD geht es nicht gut“, fasste am Samstag Michael Biel die Lage zusammen. Zusammen mit Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe leitet er ein Gremium mit dem SPD-typischen Übererklär-Namen „Wahlen-wieder-gewinnen-und-Parteiorganisation-Kommission“.
Die Kommission hatte eine Analyse der letzten Wahlschlappen in Auftrag gegeben. Der Bericht zeigt insbesondere eines: Der Frust in der Landes-SPD sitzt tief. Giffey und Saleh hätten aus der SPD eine Top-down-Veranstaltung gemacht, es gebe keine Räume für Debatten, die Partei sei tief zerrissen, die Außenwirkung katastrophal. „Wir gelten immer als die Irren. Das war schon immer so“, wird ein Parteimitglied mit Blick auf die Wahrnehmung der Berliner:innen durch die Bundespartei zitiert.
Umso größer war am Samstag eben eigentlich der Aufruf zur Einigkeit und Geschlossenheit. „Wenn die Strömungen in der Partei weiter das Trennende betonen und nicht das Verbindende in den Vordergrund stellen, dann wird die SPD nicht mehr stärkste Kraft“, sagte etwa Franziska Giffey. Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warf sich in die Bresche und beschwor den „gemeinsamen Willen, sich aus dem Keller herauszuarbeiten“. Das gelang leidlich.
Offene Rechnungen
Wie im Vorfeld des Parteitags wurden die Parteirechten Hikel und Böcker-Giannini auch am Samstag scharf dafür kritisiert, dass sie im Kampf um die Stimmen der SPD-Mitglieder die generelle Gebührenfreiheit von Kita und Schule infrage gestellt haben. Insbesondere Raed Saleh schreibt es sich als Verdienst zu, diese Politik in Berlin durchgesetzt zu haben. Böcker-Giannini versicherte jetzt zwar: „Wir wollen die kostenfreie Bildung nicht abschaffen.“ Hikel stellte zugleich klar: „Wir müssen aber auch Glaubenssätze hinterfragen.“
Spannend wird nun, wie die neuen Parteichef:innen mit der weiterhin von Saleh geführten SPD-Abgeordnetenhausfraktion und den sozialdemokratischen Senator:innen in der schwarz-roten Landesregierung zusammenarbeiten. In dem umstrittenen B.Z.-Interview erklärten die beiden sinngemäß, die eigenen Regierungsmitglieder müssten jetzt mal liefern, anderenfalls könnten sie sich schon mal Gedanken um ihre Zukunft machen.
Nicht ganz irrelevant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die ehemalige Sportstaatsekretärin Nicola Böcker-Giannini im Oktober vergangenen Jahres von ihrer Dienstherrin, Innen- und Sportsenatorin Iris Spranger, auf recht unhöfliche Weise gefeuert wurde. Die Beziehung der beiden SPD-Frauen galt seit längerem als belastet. Böcker-Giannini reichte gegen ihre Zwangsversetzung in den Ruhestand Klage ein. Und wohlgemerkt: Die Klage gegen Spranger und ihre Verwaltung ist immer noch anhängig.
Auf taz-Nachfrage erklärte Böcker-Giannini, dass es gegenüber der Innen- und Sportsenatorin „von unserer Seite keine Vorbehalte“ gebe. Sie und Hikel bauten auf eine „gute“, eine „sachliche“, eine „professionelle“ Zusammenarbeit. „Persönliche Animositäten“ spielten für sie keine Rolle, ergänzte Hikel. Kein Wort glaube er davon, sagte ein mit den Vorgängen vertrauter Delegierter am Rande des Parteitags zur taz.
„Wir beide haben richtig Lust, die SPD in die Zukunft zu führen“, rief Böcker-Giannini den Delegierten in ihrer Rede zu. Dazu noch die Warnung: Sollten die Sozialdemokrat:innen in den kommenden Jahren nicht „solidarisch sein“, drohe der Landesverband „für lange Zeit ins Abseits zu geraten“. In Umfragen dümpelt die Partei derzeit bei trostlosen 15 Prozent vor sich hin, weit abgeschlagen hinter CDU und Grünen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind