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Neue CoronamaßnahmenFixpunkt Weihnachten

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Die Fixierung der Coronamaßnahmen auf den 24.12. hängt mit dem Wunsch nach Planbarkeit zusammen, den wir alle haben. Leider ist genau diese utopisch.

Sehr, sehr stille Nacht: Weihnachten maskiert sich dieses Jahr nicht nur der Weihnachtsmann Foto: Michael Weber/IMAGEPOWER/imago

Lieber jetzt einen längeren Lockdown als eine komplette Ausgangsbeschränkung über Weihnachten“, sagte Markus Söder (CSU) am Sonntag, wenige Tage vor dem nächsten Bund-Länder-Treffen zum Pandemiegeschehen. Der bayerische Ministerpräsident ist nicht einzige Politiker, der die Bevölkerung mit Drohungen zur Räson bringen will. Dabei ist schon aus der frühkindlichen Erziehung bekannt, dass solche Versuche, das Verhalten zu lenken, fruchtlos sind und mit Geplärr enden.

Das Abhalten eines geregelten Weihnachtsfests ist zum Fokus politischer Willenskundgebungen geworden. Das ist einerseits seltsam, weil man von ähnlichen Bemühungen zu Chanukka oder dem Zuckerfest noch nie etwas gehört hat. Juden und Muslime scheint es bei der Pandemiebekämpfung nicht zu geben, mindestens sind sie nebensächlich. Andererseits ist es verständlich, weil der Großteil der in Deutschland lebenden Menschen nun einmal eher christlich verwurzelt ist, auch wenn viele von ihnen mit Religion nichts oder nur wenig zu schaffen haben.

Christkinds Geburtstag ist deshalb mehr als nur ein Zieldatum. Das Datum steht für die ersehnte Planbarkeit ritualisierter Feierlichkeiten in einer in Unordnung geratenen Gesellschaft. Wenn schon das Fest als das wichtigste dieser jahreszeitlichen Rituale in Gefahr gerät, dann, so die Imagination, drohen alle Dämme zu brechen, dann, ja dann scheint nichts mehr sicher zu sein. Der Verweis auf ein geregeltes Weihnachtsfest und die verbreitete Furcht vor Ausgangssperren entspringt der Vorstellung, dass die Deutschen mit diesem ultimativen Argument dazu gedrängt werden könnten, ihr Alltagsverhalten so zu verändern, dass die Infektionszahlen endlich sinken. Selig ist, wer dran glaubt.

Zugleich aber hat sich die Politik mit dem Verweis auf Weihnachten selbst eine Falle gestellt. Denn der Wunsch nach Planbarkeit, Sicherheit und Beständigkeit betrifft ja nicht nur die Gestaltung dieser Feiertage. Von Tag zu Tag zu leben, kommt in Abenteurromanen und Aussteigergeschichten gut an. Tatsächlich ist es ein weit verbreitetes menschliches Bedürfnis, das eigene Leben für die künftigen Tage, Wochen und Monate im Voraus zu planen. Nicht umsonst wurden die meisten Sommerurlaube schon im Winter gebucht – bis die Pandemie kam.

Ruf nach Planbarkeit

Schon in den letzten Wochen gewann deshalb der Ruf nach Planbarkeit des Lebens in der Pandemie an Lautstärke. Auf gar keinen Fall ginge es an, der Bevölkerung einen Zickzackkurs aus monatlichen Einschränkungen und kurzen Normalisierungsphasen aufzuerlegen. Und deshalb müsse ein gangbarer Plan her, möglichst bis zum April.

Diese Vorstellung ist verständlich und stößt auf ungeteilte Zustimmung. Aber sie ist zugleich irreal. Denn ein pandemisches Infektionsgeschehen lässt sich nur sehr begrenzt voraussehen. Ein sicherer Plan wäre es, allenfalls anzukündigen, sämtliche Restaurants, Bars und Hotelbetriebe bis zum Frühjahr geschlossen zu halten – nur fände der wohl kaum die erhoffte Zustimmung, sondern schüfe zusätzlichen Frust und Existenzängste.

Bundesbürger sind in ihrer Mehrheit keine Kleinkinder. Deshalb sind Drohungen wie Versprechungen fehl am Platz. Deshalb sollte die Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten so ehrlich wir möglich ausfallen. Das heißt: Die Politik weiß so wenig wie die Wissenschaft exakt, wie das Pandemiegeschehen Mitte Februar 2021 ausfallen wird. Und deshalb, so schmerzhaft es auch sein mag, kann der einzige Plan nur darin bestehen, keinen langfristigen Plan zu besitzen, sondern flexibel auf das weitere Infektionsgeschehen zu reagieren.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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7 Kommentare

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  • Ich kann das Problem nur schwer nachvollziehen.

    Weihnachten findet jedes Jahr statt. Ist es echt ein so "unlösbares" problem, einmal "auszusetzen"?

    Kleine Kinder sind eh zuhause bei Ihren Eltern und sollte glücklich sein.

  • Richtig! Die 50-er Jahre "Pädagogik" ist lächerlich und schadet. Aber ganz so unberechenbar ist das Virus ja nicht. Es überträgt sich bei Kontakten. In diesem Fall würde ich sagen von China lernen heißt die Pandemie besiegen lernen. China reagierte nach der Anfangsphase unverantwortlichen Leugnens und Herunterspielens konsequent mit harten lokalen Lockdowns und baute zugleich massiv Gesundheitsversorgung und Testkapazitäten aus. Jetzt sind Massentests ganzer Städte binnen eines Monats möglich sobald es einen neuen Ausbruch gibt. Das Ergebnis: Bei 1,4 Milliarden Menschen gab es offiziell nicht mal 5000 Todesfälle durch oder mit COVID-19. Europa lavierte in erster und zweiten Welle mit Einzelmaßnahmen und Lockdowns herum und reagiert immer erst wenn die Zahlen wieder exponentiell steigen. Ob die Todeszahlen in China beschönigt sind weiß man nicht aber Fakt ist dass die Pandemie in China vollkommen zum Erliegen kam. Gesellschaftlichliches und wirtschaftliches Leben laufen wie vorher. Lockdowns schon bei geringen neuen Infektionszahlen WIRKEN! Geht nur in einem autoritären Regime? Nö. Statt von Weihnachten zu faseln einfach mal über China reden. Im Bevölkerungsreichen und in Städten so dicht besiedelten Land (optimale Voraussetzung für Ansteckung) hat die Methode lokaler Lockdown + anschließende Massentests wo immer es Infektionsgeschehen gibt funktioniert. Keine Pandemie mehr. Leben normal. Kneipen voll. Alle Familienfeste laufen wieder. Wirtschaft sowieso. Überfällig dazu eine demokratische Abstimmung über die grundsätzliche Strategie und zwar nicht über Weihnachten sondern über die Methoden die in der Praxis erfolgreich waren. Wollen wir die übernehmen oder weiter mit "Trial and Error" Freiheit suggerieren und dabei das Virus munter weiter re(a)gieren lassen?

    • @Nina Janovich:

      "Geht nur in einem autoritären Regime? Nö."



      Wenn ich mir anschaue wie viele Maßnahmen die weit unterhalb der Schwelle eines harten Lockdowns chinesischer Art lagen durch Gerichte kassiert wurden hätte ich daran so meine Zweifel. Ebenso mit Blick auf die vielfach aus personellen oder rechtlichen Gründen de-facto fehlenden Kontrollmöglichkeiten. Und auch die im nächsten Jahr anstehende Wahl dürfte die Entscheider ebenfalls nicht gerade übermäßig zu unpopulären Maßnahmen motivieren.



      "Überfällig dazu eine demokratische Abstimmung über die grundsätzliche Strategie"



      Grundsätzlich keine schlechte Idee, allerdings sind Volksentscheide ja nur auf Landesebene möglich und die länderspezifische Ausgestaltung der Maßnahmen scheint ja auch jetzt schon für Viele ein echtes Problem darzustellen. Zudem ist das Verfahren immer dreistufig in Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid gegliedert und entsprechend langwierig.

      • @Ingo Bernable:

        Ich kann Ihre Einwände nachvollziehen. Vielleicht hätte auch die klare Ansage von Anfang an nicht funktioniert. Aber es gab leider nie die klare Ansage dass es sehr wohl im Praxistest erfolgreiche Modelle gibt. Das "asiatische" Modell stand gar nicht zur Debatte. Das übrigens auch in Taiwan und Südkorea sowie in Australien, Neuseeland und Finnland erfolgreich angewandt wurde. Die Strategie: die Pandemie komplett unterdrücken. Sofort auch auf kleine Ausbrüche reagieren. Mit lokalen Lockdowns bis man Kontaktverfolgung oder Massentests Bedarfsgerecht ausgebaut hat. Ich erinnere mich noch gut an die Anfangszeit als Masken als in Asien kulturell akzeptierte aber wissenschaftlich nicht erwiesene Methode abgetan wurden. Dass diese in der Epidemieieerfahrung (SARS 2003) funktionierten und wissenschaftliche Expertise dazu halt in Asien nur nicht in Europa vorhanden war - irrelevant. Oder: funktioniert bei uns nicht will eh keiner tragen. Ja wenn Maßnahmen so eingeführt werden ist die spätere Ablehnung vorprogrammiert. Genau wie bei der ersten Welle nährte man auch vor der zweiten die Hoffnung dass der Kelch an uns vorübergeht. Dann überrascht uns die 2. Welle und fehlt erneut die Zeit für demokratische Abstimmung zur prinzipiellen Strategie. Ich dachte zunächst mal ans Parlament aber ich hätte auch nix gegen Einführung von Bürgerräten auf Bundesebene - für letzteres hat die Zeit aber tatsächlich nicht gereicht. Dass das Virus sich ohne Unterdrückung jedes auch kleinsten Infektionsherdes immer wieder exponentiell verbreitet - erneute Überraschung. Beziehungsweisel ist halt "unberechenbar". Daher ist ist auch die Strategie darauf unberechenbar. Weil es keine gibt (USA) oder die Vorstellung dass die Erfolge in Asien, Australien, Finnland auf Insellage, Diktatur oder Glück basierten. Wir müssen das Rad neu erfinden Trial and Error in jedem EU Land noch mal anders. Erfahrung und Expertise von anderen übernehmen fällt Europäern (außer Finnland) schwer. Tödliche Arroganz!

  • Es ist schon eine seltsame Sache mit diesem Weihnachten. Es war immer schwer, dieser unausgesprochenen Familienerwartung der Eltern zu auszuweichen. Und ich schätze, ich bin nicht die einzige, die es emotional nicht wagte, sich dem entziehen, obwohl es doch völlig egal ist, wann man sich sieht, Hauptsache es geschieht (im besten Fall öfter als einmal im Jahr). Als Kind wunderte ich mich, warum dem „Frieden auf Erden“ kurz vor dem Heiligen Abend meistens unfriedliche Augenblicke vorausgingen. Erst später begriff ich, dass der selbstgeschaffene Stress nicht nur in der eigenen Familie solche Auswirkungen hatte. Mich überfällt deshalb heutzutage keinerlei Einsamkeitsgefühl. Für die anderen denke ich, es ließe sich virusarm schaffen (Geschenke diesmal kein Kopfzerbrechen - gute Masken), es gibt ja auch mehrere Tage für kleine Gruppen. Viel ansteckungslastiger dürfte Sylvester sein (die Feuerwerksdiskussion hatten wir hier ja schon). Das ist doch die eigentliche Massenveranstaltung.

  • RS
    Ria Sauter

    An diesem blöden Weihnachtsfest so festzuhalten, sagt alles aus über den politischen Horizont .



    Sie stochern im Nebel und wollen nur, wie sie vermuten, ihrer Wählerschaft nicht vergraulen.



    Natürlich wäre es sinnvoll nur für einige Wochen zu planen, alles andere ist völlig unverständlich.

  • Weihnachten ist eh überschätzt.