Neue Bundestagspräsidentin Bärbel Bas: Repräsentation ist noch keine Macht
Fast nur Frauen sind künftig im Bundestagspräsidium. Doch die Sonne der Gleichberechtigung geht deshalb nicht auf überm Regierungsviertel.
E ntschuldigen Sie die Störung, ich komme von der Abteilung „Wasser in den Wein“. Steht er noch vor Ihnen, der Kelch mit der Freude über das Feuerwerk des modernen Parlamentarismus, das wir mit der ersten Sitzung des neuen Bundestags diese Woche erleben durften?
Einen „Festtag der Demokratie“ machte der Deutschlandfunk daraus. Das Echo in den Zeitungen tags drauf klang ebenso: Es tritt ein nigelnagelneues Parlament zusammen, es ist jünger, es ist diverser – und das Präsidium ist rein weiblich! Plus Wolfgang Kubicki, ja. Dessen Witze der kommenden vier Jahre darüber, wie er sich freut, bei der Arbeit stets von Frauen umgeben zu sein, haben wir alle jetzt schon im Ohr.
Chefin des Bundestagspräsidiums aber, also Bundestagspräsidentin, ist Bärbel Bas von der SPD. Sie wurde diese Woche gehandelt als Zeugnis der gewandelten Kultur im Bundestag – weg vom wolfgangschäublischen Griesgramgrau der Großkoalitionäre. Und so diente Bärbel Bas als Beweis dafür, dass in der mutmaßlich anbrechenden rotgrüngelben Zeit eben nicht alle herausragenden Posten der Republik mit Männern besetzt werden, dass die SPD also diesen Fehler eben gerade nicht macht, sondern eine Frau fürs „zweithöchste deutsche Staatsamt“ präsentieren kann. Fortschritt ist möglich, hurra!
Aber ich hatte ja Wasser in den Wein versprochen, hier kommt es: Das Bundestagspräsidium, so leid mir das tut, hat nichts zu sagen. Es ist eben nicht so, dass mit Bärbel Bas als Bundestagspräsidentin die Sonne der Gleichberechtigung überm Regierungsviertel aufgeht. Vielmehr hat die SPD auf den letzten Drücker eine Frau gefunden, die sie auf den unwichtigsten der Posten schieben kann, die sie nun zu vergeben hat.
Punktgewinn statt Macht
Bärbel Bas wird künftig bei Phoenix viel im Bild sein. In Sachen Repräsentativität ist das natürlich dann ein Punktgewinn – den übrigens die CDU mit der Vize-Bundestagspräsidentin Yvonne Magwas ebenfalls verbuchen darf (wie Kollegin Sabine am Orde diese Woche kommentierte). Nur ist Repräsentation eben noch keine Macht. Bärbel Bas’ Job ist es, nach striktem Plan das Wort zu erteilen und Ermahnungen wegen überzogener Redezeit auszusprechen.
An diesem Wochenende startet der Klimagipfel in Glasgow. Das 1,5-Grad-Ziel scheint utopisch – oder kann aus Glasgow doch Paris werden? Außerdem in der taz am wochenende vom 30./31. Oktober: 10 Jahre nachdem der rechtsterroristische NSU aufgeflogen ist, sind noch immer viele Fragen offen. Und: Eine 85-jährige Akrobatin, eine Konditorin und viele schöne Kolumnen. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die ganzen Rückbezüge auf Rita Süssmuth, die neben Annemarie Renger eine von zwei Vorfahrinnen auf dem Sessel war, waren deshalb auch unfreiwillig zwiespältig. Zur Erinnerung: Süssmuth wurde 1988 gegen ihren Willen Bundestagspräsidentin, und zwar weil Helmut Kohl sie nicht mehr im Kabinett haben wollte.
Dass Süssmuth in dem Amt dennoch wirkte, einfach, weil sie da saß, ging auf ihre zuvor erworbenen Meriten als Frauenministerin und -rechtlerin zurück – ebenso wie Wolfgang Schäubles Einfluss bis diese Woche ein Restbestand seiner Zeit als CDU-Lenker und Minister war.
Bärbel Bas mag sich in ihrer neuen Rolle natürlich entwickeln. Dann werden wir in vier Jahren bestimmt eine gute Rede über die Qualitäten des Parlamentarismus von ihr hören. Da geht den Hauptstadt-Analyst:innen ja immer das Herz auf.
Bis dahin und zur Stunde aber ist Bas’ Funktion, weibliche Beteiligung darzustellen, ohne dass der Machtbetrieb gestört wird. Sie ist ein Aushängeschild im engeren Sinne: Hier sitzt eine Frau, damit auf allen wirklich interessanten Posten ein Mann sitzen kann.
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