Neuauflage der „Männerphantasien“: Angst essen Männer auf
Theweleits Buch ist so aktuell wie vor 40 Jahren. Die sexualisierte Form der Gewalt von Männern gegen Frauen ist Teil des alltäglichen Diskurses.
W enn man Klaus Theweleits Buch „Männerphantasien“ liest, fast 1.300 Seiten, 1977/1978 zum ersten Mal erschienen und in der aktuellen wuchtigen Neuausgabe in einem schönen pinkfarbenen Umschlag, dann ist es, als ob man 100 Jahre in der deutschen Geschichte zurücksteigt, zur Kriegsverherrlichung, zu den Fronterlebnissen und Umsturzfantasien der Freikorps, was ziemlich direkt zum Nationalsozialismus und zum millionenfachen Mord an den Juden Europas führte.
Und man landet auf den Kommentarspalten und auf den Plattformen der digitalen Welt. Denn die Gewalt, von der Theweleit erzählt und dabei den Faschismus erklärt, diese Gewalt ist ja nicht verschwunden; sie hat nur eine andere Form und Gestalt: die Gewalt von Männern gegen Frauen, die sich darin äußert, dass – das sind einige der Beispiele Theweleits – die Namen der eigenen Frauen selbst in intimen männlichen Selbstbeschreibungen, Briefen, Tagebüchern nicht genannt werden.
Dass die Frauen zu Objekten werden, der Begierde oder des Hasses, diese Angst und Aggression von Männern, die Frauen körperlich vernichten wollen, auslöschen, durch ihre Worte und Taten. Und weil Theweleits Buch so präzise ist in der Beschreibung dieser Wut, die sich aus vielen Quellen speiste und speist und im Fall der Freikorps eher eine Form der gebildeten oder sogar höheren Schichten war – deshalb gelingt, leider, ziemlich mühelos der Sprung von den Prägungen und Pathologien der 1920er zu denen der 2020er Jahre.
Theweleit wollte, knapp 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, eine andere Grundlage für die Analyse des Faschismus finden, eine andere Faschismus-Theorie, die den Körper, die Lust und den Ekel zum Anfang dieser Analyse machen – und nun, mehr als 40 Jahre nach Veröffentlichung, ist die sexualisierte Form von Gewalt von Männern gegen Frauen wieder so offensichtlich, so weitreichend bis in bürgerliche Medien hinein.
war lange Kolumnist für „Spiegel Online“ und arbeitet in Zukunft für einen Thinktank, der sich mit Fragen der ökologischen und ökonomischen Transformation beschäftigt. Zuletzt erschien, zusammen mit Emanuel Heisenberg, das Buch „Power to the people. Wie wir mit Technologie die Demokratie neu erfinden“.
Sprung von den 1920er Jahren zu 2020
Sie ist so selbstverständlich eine Waffe in der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung, dass das Faschistische in unserer Zeit, das Faschistische in diesen Mechanismen nackt und bedrohlich vor uns tritt. Theweleit beschreibt diese Mischung aus Verklemmtheit und Enthemmung, die unterdrückte und eskalierende Sexualität, die Vision eines Lebens, das im Kampf und in der Feindschaft geführt wird und letztlich im Heldentod, in der Auslöschung enden muss.
Ernst Jünger etwa, gern heute wieder entpolitisiert rezipiert, der auf der Straße eine Frau anspricht, die Ehefrau eines Arbeiters: „Es ist eine Stunde des Vergessens, die ich dem Kriege stehle. Ich bin ihr Mann, dem Feuerkreis entronnen und sitze mit ihr Hand in Hand, still und friedlich vorm Kamin. Morgen, ja morgen vielleicht wird mir das Hirn in Flammen zerspritzen. Sei’s drum“, schreibt er, und schließlich: „Ich gehe über die Brücke zur Stadt zurück, die Hände in den Manteltaschen, den Kopf gesenkt. Bei jedem Schritt klirren die Sporen.“
Männliche Einsamkeit, männliche Verlorenheit, die zu männlicher Aggression führt: Die Verbindung von Verachtung für die Frau, männerbündische Verbundenheit, Widerstand gegen Demokratie, Pluralismus, Emanzipation bis hin zu einem offen rassistischem Weltbild, das sind einige der Faktoren, die Theweleit anhand von vielen Texten analysiert, geschrieben von Männern, die immer im Kampf sind, so klingt das.
Tagebücher, Briefe, Romane, Quellen des Hasses, manchmal des versteckten Selbsthasses, ausgetragen über den Körper, den Körper der Frau, die als Objekt gesehen wird, entsexualisiert und verklärt oder übersexualisiert und verdammt, als Feind.
Bei der Bewegung der Incels – den „involuntary celibates“, den unfreiwillig Sexlosen also, vor allem in den USA und Kanada, ein „männliches und rassistisches Online-Ökosystem“, wie es das Southern Poverty Law Center nennt – etwa spielt die Dynamik, die auch die Freikorps antrieb, eine zentrale Rolle. Seit 2014 gehen mindestens 44 Tote auf das Konto von Männern, die sich als Mitglieder bezeichnet haben, etwa der Angriff auf einen Massagesalon in Toronto im Februar 2020
Männliche Einsamkeit führt zu männlicher Aggression
Theweleit schildert für die Freikorps der 1920er Jahre, wie aus Sprache Gewalt wird, wie sich ein Denken in diesen „soldatischen Männern“ formt, wie er sie nennt, um nicht immer von Faschisten zu sprechen, ein Denken, das zu Taten führt, individuellen und dann mehr als das, Diktatur, Krieg, Massenmord – Theweleit interessiert die spezifische Gewalt, die in diesen Männern steckt, die aus ihren Ängsten, Frauenbildern, Mütterbildern stammt.
Und eine Form dieser Gewalt ist heute das, was Männer, soldatische Männer im Internet gegen Frauen unternehmen. Gerade hat die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer eine einstweilige Verfügung gegen den Schriftsteller Akif Pirinçci in einem solchen Fall erwirkt, und diese Art der sexualisierten Hate Speech gegen Frauen hat System in der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung.
Eine Form der Menschenverachtung, die eben, und dafür ist die Lektüre von Theweleits wichtigem Buch so erhellend, in vielem nah ist an der Krassheit der Freikorps, in verschiedensten Formen, die Liste ist lang. Da ist Ricarda Lang aus dem Bundesvorstand der Grünen, die von der AfD attackiert wird, nicht über Argumente, sondern über ihren Körper; da ist der digitale Mob, der sich auf Natascha Strobl stürzt, Expertin in Sachen Rechtsextremismus, Hass angefacht auch von Medien.
Theweleit, so beschreibt er es in seinem Nachwort, unternahm „den Versuch zu ergründen und zu beschreiben, warum es Körper gibt, überwiegend männliche Körper, die nicht leben können, d. h., die nicht atmen können, ohne irgendjemand oder irgendwas aus dem Weg zu schaffen; zum Verschwinden zu bringen“. Diese Definition von Faschismus ist gültig und nützlich, um die gegenwärtigen Verhältnisse zu verstehen.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde am 25. August 2020 um 13:27 Uhr geändert. Es handelte sich nicht um einen Prozess, sondern um eine einstweilige Verfügung gegen den Schriftsteller Akif Pirinçci.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag