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Neue AfD-JugendorganisationChaos, Kosten, Konfusion

Kommentar von

Claus Leggewie

Die neue Jugendorganisation der AfD gibt sich weniger völkisch-national als ihr Vorgängerclub. Doch das kann sich schnell ändern.

Hoffentlich bald ausgelutscht Foto: Revierfoto/imago

I n Gießen konnte man am vergangenen Wochenende studieren, was eine Heimsuchung durch die AfD verursacht: Chaos, Kosten, Konfusion. Die rund 850 GründerInnen der parteinäheren, jetzt „Generation Deutschland“ (GD) getauften Jugendorganisation sahen das natürlich anders: Schuld am mittelhessischen Ausnahmezustand waren in ihren Augen die GegendemonstrantInnen. Die Frage ist nun, wie die AfD-Jugend bei ihren AdressatInnen ankommt. Gibt es einen Rechtsruck der Jugend, der die AfD – eine Ansammlung mittelalter Reaktionäre, die Deutschland permanent herunterreden – verjüngen und verweiblichen könnte? Ein Blick in die sich nur spärlich füllende Gießener Messehalle zeigte einen auch für die AfD unüblichen Überschuss an Männern und viele alte Herren.

Die alljährliche Shell-Studie zu Einstellungen und Befindlichkeiten von Menschen zwischen 15 und 30 Jahren warnt zu Recht davor, „Jugend“ als einheitliche Kohorte oder gar Generation zu definieren, sie spiegeln das sozio-kulturelle und politische Spektrum in der ganzen Breite. Politisch gelten sie als überwiegend pragmatisch, der rechtsstaatlichen Demokratie verpflichtet und partizipationsbereit, aber auch zunehmend besorgt, dass die demografisch ins Hintertreffen geratenen Jüngeren durch Ansprüche der „Boomer“-Mehrheit vernachlässigt werden.

Claus Leggewie

ist Ludwig Börne-Professor an der Universität Gießen. Im März erscheint von ihm und Daniel Cohn-Bendit „Zurück zur Wirklichkeit. Eine politische Freundschaft“ im Wagenbach Verlag, Berlin.

Die Jugendorganisation „Generation Deutschland“ zu nennen, reklamiert eine Sprecherfunktion für die gesamte Alterskohorte: Aus einer seit den 1960er und 1980er Jahren meist links-verdächtigen Generation soll eine patriotische werden, und zwar so stramm, wie der neue Vorsitzende Jean-Pascal Hohm (Jahrgang 1997) das versteht: völkisch-autoritär und exklusiv. So übersetzt AfD-Jugend Sorgen über Corona, Krieg und Klimawandel nach dem Muster der amerikanischen MAGA-Bewegung in ein aggressives Narrativ der „Remigration“, die den herbeifantasierten „Bevölkerungsaustausch“ aufhalten und Deutschland wieder groß machen soll.

Die auch in Gießen wieder umjubelte Forderung nach „millionenfacher Remigration“ ist das Echo auf die Ansage des (als brauner Großvater zugeschalteten) AfD-Gründervaters und Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland von 2015: „Etwas Besseres als die Flüchtlinge konnte uns gar nicht passieren!“ Mit dieser Operation wurde die anfangs neoliberale, nationalistisch gegen den Euro angetretene Professorenpartei zur völkischen Bewegung, die mit der Migrationslitanei „Altparteien“ und „linksgrüne Eliten“ am Nasenring hat. Denn was auch immer die Etablierten tun: rechtsstaatlich Kurs halten oder taktisch klein beigeben – es nützt einzig der radikalen Rechten.

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Es hat sich weniger die JA zur AfD bekannt als umgekehrt die AfD zur GD. Sie sieht sich als provokante Vorfeldbewegung und als Kaderschmiede einer in Bälde regierungsfähigen Partei und will zweigleisig fahren: parlamentarisch koalitionsfähig und nach dem französischen Muster „entdiabolisiert“, außerparlamentarisch im engen Schulterschluss mit dem zum Teil offen neonationalsozialistischen „Vorfeld“ von Ein Prozent über Ketzer der Neuzeit und Freie Sachsen bis zur Letzten Verteidigungswelle. Man darf nach diesem Gründungsparteitag bezweifeln, ob die Parteiführung ihre Jugend, wie mit der Auflösung der JA angeblich beabsichtigt, unter Kontrolle halten kann – umgekehrt könnte der Schwanz mit dem Hund wedeln.

Sie sieht sich als provokante Vorfeldbewegung und als Kaderschmiede einer in Bälde regierungsfähigen Partei

Wie viele jugendliche WählerInnen werden diese Parallelaktion mitmachen? Das stärkste Reservoir bilden junge Männer ohne Abitur, die sich großenteils aus einschlägigen Social-Media-Kanälen „informieren“. Ganz im Gegensatz zu den von ihnen gefürchteten jungen Frauen mit Abitur, die noch Qualitätsmedien konsultieren. Diesen „Gender Gap“ zeigen die schmierigen Sprüche eines Maximilian Krah („Echte Männer sind rechts, dann klappt’s auch mit der Freundin“). Beide Geschlechter sind seit der Jahrhundertwende eher geneigt als früher, sich auf einer Rechts-links-Achse zu positionieren, wobei sich junge Männer häufiger eher oder ganz rechts einordnen als junge Frauen, die seit den 2000ern nach links gerückt sind. Korrigiert werden soll das nun mit einer gezielten Ansprache an junge Frauen, die der Traditionsfamilie anhängen, gegen Abtreibungen opponieren, religiös ausgerichtet sind und nach dem Muster einer Ellen Kositza (Institut für Staatspolitik in Schnellroda) völkischen (Anti-)Feminismus verkörpern.

Die AfD-Jugend hofft, dass die Flatterhaftigkeit der Erst- und JungwählerInnen sich zu ihren Gunsten verändert. Waren bei der Bundestagswahl 2021 noch Liberale und Grüne die Favoriten, traten bei der Europawahl Kleinstparteien und die AfD auf den Plan und bei der Bundestagswahl 2025 dann auch die Linke, die den Tiktok-Schnellkurs erfolgreicher absolvierte als die demokratische Mitte. Mit Christ- und SozialdemokratInnen, neuerdings auch mit den Grünen können sich Jüngere immer weniger identifizieren, ihnen gelten pauschale Affekte gegen politische Eliten. Damit deutet sich eine generationsbezogene Spaltungs- und Konfliktlinie an, die freilich auch die AfD zerreißen könnte, wenn sie wirtschafts- und sozialpolitisch am Neoliberalismus und umweltpolitisch am Nichtstun festhält, womit sie künftigen Generationen immense Lasten auflädt.

Der demokratische Mainstream der Jugend ist weit von der völkischen Propaganda entfernt. Das kann sich ändern, wenn die aktuelle Regierungskoalition Wortmeldungen der Jüngeren weiter ignoriert und sich der Eindruck verstärkt, parlamentarische Demokratien seien den allfälligen Problemen der Gegenwart und Zukunft nicht mehr gewachsen. Es war gut, dass sich in Gießen Zigtausende von nah und fern einfanden, um dem Etikettenschwindel der „Generation Deutschland“ eine Absage zu erteilen. Es reicht aber nicht aus, einer antidemokratischen Partei zu „widerstehen“. Am Ende zählt die demokratische Alltagspraxis und das attraktive Bild einer freiheitlichen Zukunft, das die Völkischen auf den Müllhaufen der Geschichte verweist.

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