„Netzwerk der Wärme“ in Berlin: „Jeder soll sich wohlfühlen“
Als Teil des „Netzwerks der Wärme“ öffnet die Heinrich-Böll-Bibliothek in Pankow auch an den Wochenenden. Leiter Tim Schumann erklärt, wie das geht.
taz: Herr Schumann, die Heinrich-Böll-Bibliothek am S-Bahnhof Greifswalder Straße beteiligt sich seit Anfang November an dem vom Senat organisierten „Netzwerk der Wärme“. Wie sieht das aus?
Tim Schumann: Unsere Bibliothek schließt am Samstag nicht mehr wie früher um 13 Uhr, sondern hat bis 19 Uhr auf. Sonntags hatten wir immer zu, jetzt haben wir von 10 bis 19 Uhr auf. Das heißt, der Raum ist für die Menschen deutlich länger da.
Von den 60 öffentlichen Bibliotheken, die am Netzwerk teilnehmen, beteiligen 19 so wie Ihre an den verlängerten Öffnungszeiten. Wie gut wird das Angebot in Pankow angenommen?
Die Statistik zeigt, dass die Benutzung hoch ist. Der Samstag ist inzwischen unser stärkster Tag in der Woche mit 350 bis 400 Besucherinnen und Besuchern. Der Sonntag muss sich noch entwickeln, viele Menschen wissen noch nichts von dem Angebot, das es erst seit Anfang November gibt. Wer kommt, können wir nur ganz schwer sagen. Wir müssten die Leute dazu direkt fragen, das haben wir bisher aber nicht gemacht. Wir als Fachpersonal sind am Wochenende ja nicht vor Ort, wir verlassen am Samstag um 13 Uhr die Bibliothek. Studentische Hilfskräfte und ein Sicherheitsdienst sorgen dann dafür, das der Betrieb weiterläuft.
Tim Schumann, 40, ist seit 2018 Leiter der Heinrich-Böll-Bibliothek im Berliner Bezirk Pankow. Die Bezirkszentralbibliothek befindet sich am S-Bahnhof Greifswalder Straße.
Die Forderung, die Bibliotheken am Wochenende aufzumachen, ist alt. Nur die Zentral- und Landesbibliothek ist in Berlin am Sonntag mit Hilfe von Kooperationspartnern geöffnet. Warum ist das so schwierig?
Die Sonntagsöffnungszeit scheitert an der aktuellen Gesetzgebung. Das Fachpersonal darf da nicht in der Bibliothek arbeiten. Nordrhein-Westfalen ist hier weiter als Berlin. Dort gibt es ein Pilotprojekt, der gesetzliche Rahmen wurde geändert. Das ist so ein Erfolg, dass dort immer mehr Bibliotheken sonntags öffnen.
Das heißt, es bedarf dringend einer Gesetzesänderung?
Unser Wunsch als Stadtbibliothek Pankow wäre es, den Raum für die Menschen und den Kiez auf Dauer an Wochenenden zugänglich zu machen. Ob wir immer als Fachpersonal vor Ort sein müssen, ist eine gesonderte Frage. Zumindest, was den Samstag betrifft, werden wir versuchen, die Zeiten im nächsten Jahr ein bisschen anzupassen. Bisher scheiterte das vor allem an der personellen Ausstattung.
Das „Netzwerk der Wärme“ ist ein Projekt des Sozialsenats, um Menschen warme Angebote gegen Einsamkeit in diesem Winter anzubieten. Rund anderthalb Monate nach Beginn des Netzwerks haben sich über 200 Mitglieder in der App des Netzwerks registriert, in der man den nächstgelegenen Ort auf einer Karte angezeigt bekommt. Rund 60 Bibliotheken in Berlin haben sich dem Bündnis angeschlossen. Das Angebot umfasst nicht nur Orte, um sich aufzuwärmen, sondern beispielsweise auch kostenloses Essen und Getränke, Beratungsangebote, Vorträge oder gemeinsame Veranstaltungen.Studenten, Senioren, Touristen, Familien, Bedürftige – das Angebot richtet sich an alle Mitglieder der Stadtgesellschaft.
Im Nachtragshaushalt für das Jahr 2023 hat sich die rot-grün-rote Regierungskoalition auf 25,8 Millionen Euro geeinigt, um das „Netzwerk der Wärme“ zu unterstützen. Ursprünglich waren 10,8 Millionen für das Bündnis vorgesehen. Jeder der zwölf Berliner Bezirke erhält daraus eine Million Euro, die sie frei für das Netzwerk verwenden sollen.
Im März solle geprüft werden, ob die Angebote auch über den Winter hinaus finanziert werden können, sagte Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Freitag bei einer Pressekonferenz in der Heinrich-Böll-Bibliothek in Berlin-Pankow. „Keine Kultureinrichtung werde in Berlin so gut angenommen wie das lokale Bibliotheksnetz“, sagte Kultursenator Klaus Lederer (Linke). (taz/dpa)
Das Ziel des „Netzwerks der Wärme“ ist, mittellose Leute anzusprechen, auch Obdachlose. Inwieweit gelingt Ihnen das?
Wir können nur auf die Statistik gucken und sagen: Die Menschen nehmen das Angebot an. Wir fragen die Leute nicht, bist du obdachlos oder bist du hier, weil du zu Hause nicht heizen kannst? Manche Leute ziehen sich extra gut an, um nicht in dieses Klischee zu fallen, das ist ja schambesetzt. Aber das ist bei uns mittlerweile ohnehin total normal, dass die Leute in die Bücherei kommen, um sich hier aufzuhalten. Wir gestalten unsere Räume ja auch dementsprechend.
Wie verhalten sich Ihre Angestellten, wenn Menschen kommen, die angetrunken sind, möglicherweise auch nicht so gut riechen, weil sie keine feste Bleibe haben?
Es gibt bei uns eine Hausordnung. Dazu gehört ein definitives Alkoholverbot. Wir hatten früher immer wieder Probleme, dass wir Menschen des Raumes verweisen mussten, die schon stark betrunken waren und sich aufwärmen wollten. Das passiert aber außerhalb des Netzwerks von Wärme sowieso in öffentlichen Bibliotheken. Bei uns ist das in letzter Zeit zurückgegangen, darüber bin ich froh. Beim Körpergeruch eine Grenze zu ziehen, ist schwieriger, aber auch da gibt es Trennlinien.
Wie sehen die aus?
Bei uns kam das bisher noch nicht vor. Aus anderen Bibliotheken kenne ich es das. Da wird wirklich gesagt: Tut mir leid, Sie müssen jetzt den Raum verlassen, kommen Sie wieder, wenn Sie Ihre Wäsche gewaschen haben, wenn Sie sich gewaschen haben. Das passiert aber zum Glück nur selten. Im Netzwerk der Wärme ist das nie passiert, ich habe nachgefragt bei den Studenten und bei den Sicherheitsleuten, die bei uns am Wochenende in den letzten sieben Wochen gearbeitet haben.
Die Toilettenbenutzung ist für alle zugänglich, auch ohne einen Bibliotheksausweis zu haben?
Unser Auftrag geht weit über die Nutzung der Toilette hinaus. Alle Menschen sind willkommen, den Raum zu nutzen, die Infrastruktur zu nutzen, ob sie einen Ausweis haben oder nicht. Erst wenn es um Ausleihe von Büchern geht, wird die Bibliothekskarte wichtig. Die Bücher hier lesen kann man auch so.
Gibt es bei Ihnen Interessenskonflikte zwischen den unterschiedlichen Nutzergruppen? Es gibt ja auch nur eine begrenzte Fläche.
Na klar gibt es die Konflikte, weil sich der Raum „Öffentliche Bibliothek“ auch in seiner Nutzung total ändert. Zu uns kommen immer mehr Familien, und dann ist es natürlich nicht leise. Wir entfernen uns immer mehr von dem alten Image, dass wir Orte der totalen Ruhe sind. Das sind Uni-Bibliotheken. Zu uns kommen natürlich auch Studierende. Wir empfehlen ihnen immer, nehmt euch Kopfhörer mit und hört Musik oder Radio. Die Leute sollen sich hier aufhalten können und wohlfühlen. Und wohlfühlen ist für jede Person etwas ganz anderes.
Wie lange geht das jetzt mit den verlängerten Öffnungszeiten?
Solange wir die Unterstützung vom Land Berlin kriegen für das Netzwerk Wärme. Mein letzter Stand ist, dass das Ganze bis März laufen soll.
Wie sieht es zu Weihnachten aus – haben Sie auch die Feiertage über auf?
Weihnachten ist komplett zu. Soweit ich weiß, gilt die Schließungszeit während der Feiertage für alle Bibliotheken in Berlin. Aber zwischen den Jahren sind wir wieder da. Und dann machen wir am 2.Januar wieder auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!