Netzphänomene und Kryptowährungen: Währung auf Speed
Wem Bitcoin nicht spekulativ genug ist, kann in Sad Hamster, Dogelon Mars oder Luigi investieren. Herzlich willkommen in der Welt der Memecoins!
Alles begann mit einem Schnappschuss. Eine japanische Kindergärtnerin fotografierte 2010 ihren Hund Kobasu, einen Shiba Inu, den sie zwei Jahre zuvor aus dem Tierheim adoptiert hatte. Das Foto stellte sie ins Internet. Als Meme wurde das knuffige Tier zur Internetberühmtheit.
„Meme“ geht auf „nachahmen“ im Altgriechischen zurück. Der Begriff steht für humorvolle oder ironische Inhalte, meistens Bilder, die online geteilt werden. Wie eben das Bild des Shiba Inus mit mehrfarbigem Comic-Sans-Text, der in Denkblasen um den Hund herum erscheint.
In einem anderen Eck des Internets ging es Ende der 2000er mit Kryptowährungen los. Im Januar 2009 wurde der erste Block auf der Bitcoin-Blockchain erstellt. Die Idee zu Bitcoin veröffentlichte Satoshi Nakamoto, ein Pseudonym für eine unbekannte Person oder Gruppe. Die Vision: eine dezentrale Währung ohne staatliche Einwirkung, ohne Bank zwischen den Transaktionen. Mit der Blockchain als einer Art digitales Buchhaltungssystem, das sicherstellt, dass Transaktionen transparent und unveränderlich gespeichert werden und alles mit rechten Dingen zugeht.
Damals war Bitcoin noch wenig bekannt. Auch war noch nicht daran zu denken, dass es mal mehr als 2,4 Millionen Kryptowährungen geben würde. Im Jahr 2013 fanden zwei Softwareentwickler aus den USA die Kryptowelt zu dröge und wollten einen Gegenpol schaffen. Sie programmierten Dogecoin – den bekanntesten und ältesten Memecoin in Anlehnung an das berühmte Doge-Meme. Memecoins sind also Kryptowährungen, die auf Internet-Memes oder populären Kulturphänomenen basieren. Zur Überraschung der beiden fand die Internetspaßwährung einen tatsächlichen Nutzen: als Trinkgeld für lustige oder schlaue Beiträge im Forum Reddit.
Ein Memecoin ist schnell erstellt
Über die Jahre kamen Blockchains und Kryptowährungen dazu. Und nicht nur die Kurse verschiedener digitaler Werte explodierten, sondern auch die Zahl der verschiedenen Coins. Mit unzähligen neuen Kryptowährungen ging es ab 2015 los, dem Geburtsjahr von Ethereum und der zugehörigen Kryptowährung Ether, die heute nach Marktkapitalisierung auf Platz 2 nach Bitcoin ist. Denn die Ethereum-Blockchain machte es möglich, automatisierte Verträge und Programme auf der Blockchain anzulegen. Heute gibt es weitere Blockchains, auf denen sich Coins, Apps und NFTs leichter erstellen lassen, beispielsweise Solana.
Jahre später stieg mit der Pandemie das Interesse für Kryptowährungen erneut und ermöglichte den Boom der Memecoins. Eine direkte Antwort auf Dogecoin folgte im August 2020 mit Shiba Inu Coin, einer weiteren Spaßwährung, die dem OG (Internet-Slang für „Original Gangster“) den Platz streitig machen wollte und durch geschicktes Marketing auf Twitter und einen glücklichen Zeitpunkt (Lockdowns) bis heute seit Einführung um 1,7 Millionen Prozent im Kurs gestiegen ist.
Das Marketing für Memecoins findet auf X statt. Statt des Hashtags („#“) kommt ein Dollar-Zeichen („$“) vor das Akronym der Währung und dann heißt es: Aufmerksamkeit erregen. Posten, teilen, kommentieren. Auf X gibt es nämlich eine Parallelwelt, die sich nicht Politik und Verschwörungstheorien widmet, sondern dem Profit und dem Traum, über Nacht zum Millionär zu werden. Nur dass selten diejenigen profitieren, die meinen, den nächsten Doge oder Shiba Inu gefunden zu haben, sondern öfter diejenigen, die ein Memecoin erstellen und genug andere davon überzeugen, dass ihr Coin „to the moon“ geht: parabolisch ansteigt.
So ein Memecoin ist heute schnell erstellt. Dafür gibt es Baukästen, wie für Websites. Man muss kein Technikexperte sein, um das hinzubekommen. Online-Tools helfen dabei, den Namen, Wert und die Rahmenbedingungen seiner Coin festzulegen. Und schon hat man nach ein paar Stunden seine eigene Währung. Mittlerweile gibt es sogar Apps, die jeden, der möchte, zum Creator seiner eigenen Währung machen.
Wie Casino – nur nicht reguliert
Und viele versuchen sich daran. Kurz nachdem Elon Musk den Namen seines Welpen bekannt gegeben hatte, bastelte jemand einen „Floki“-Token. Wem das nicht absurd genug ist, kann „Dogelon Mars“ kaufen. Auch das Meme des traurigen Hamsters mit übergroßen Kulleraugen kann man als „Sad Hamster“ als Kryptowährung handeln. Der in der Alt-Right-Bewegung beliebte grüne Comic-Frosch Pepe ist das Gesicht eines weiteren Memecoins, ebenso wie Luigi Mangione, der Angeklagte im Mordfall des United Healthcare CEO Brian Thompson.
Schaut man sich die Kurssprünge beim Bitcoin an, ist dieser ungefähr so volatil wie Aktien auf Speed. In Sachen Volatilität wären Memecoins hingegen wie Bitcoin auf Speed. Denn bei den meisten der abertausenden Memecoins ist das Handelsvolumen, also die Menge, die gehandelt wird, so gering, dass ein großer Kauf oder Verkauf den Kurs mehrere Prozent nach oben oder unten drücken kann.
Klingt nach Casino und Glücksspiel? Ist fast wie Casino und Glücksspiel – mit dem Unterschied, dass das Ganze in der Kryptowelt nicht reguliert ist. Und manchmal schlicht Abzocke. Casinos müssen einen bestimmten Anteil der Zuflüsse wieder ausschütten. Memecoins nicht. Die könnten sogar so von ihren Machern programmiert werden, dass zwar der Kauf möglich, aber eine Auszahlung unmöglich ist. Und der Wert binnen Sekunden drastisch sinkt.
Auch Hailey Welch, die im Sommer 2024 als „Hawk Tuah Girl“ berühmt und zum Meme wurde, führte eine Kryptowährung ein, die ein Betrug gewesen sein soll. Ihr und ihrem Team wird vorgeworfen, die Gelder der Investoren abgezwackt zu haben. Die Influencerin muss deswegen nun vor Gericht.
Musk und der Dogecoin
Die meisten Memecoins schießen kurz nach oben, sinken rapide ab und verschwinden dann in der Versenkung des Internets so schnell, wie sie gekommen sind. Manche bleiben, wie Dogecoin, und bilden eine solide Community. Doge hat Fans weltweit, einige davon milliardenschwer wie Techmilliardär Elon Musk. Schon in der Vergangenheit beeinflusste Musk den Dogecoin-Kurs mit Tweets, ermöglichte zeitweise den Kauf seiner E-Autos mit der Kryptowährung.
Seine Effizienzabteilung im Weißen Haus taufte er ebenso „Doge“ (Department of Government Efficiency). Kein Wunder, dass Dogecoin in diesem Jahr um über 250 Prozent im Wert gestiegen ist. Bedeutet: Hätte man vor einem Jahr Doge für 1.000 Euro gekauft, könnte man jetzt seine „Anlage“ für 3.500 Euro verkaufen. Der Grund? Hype. Wer hingegen im Juli 2021 Doge für 1.000 Euro gekauft und ein Jahr später verkauft hätte, hätte knapp über 100 Euro rausbekommen.
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