piwik no script img

Netflix testet lineares AngebotAuswahl macht müde

In Frankreich testet Netflix ein lineares Angebot mit fester Abfolge wie im Fernsehen. Nichts entscheiden zu müssen liegt auch bei Streaming im Trend.

Entscheidungsfreiheit? Lieber einfach chillen Foto: Xavier Lorenzo/Imago

„Stranger Things“, die dritte Staffel von „Fargo“ oder doch lieber einen der tausend anderen Filme? Decision Fatigue, das Ermüden an Entscheidungen, nennt sich in der Psychologie das Phänomen, wenn sich Menschen einfach nicht mehr entscheiden können, weil die Auswahl zu groß ist. Für Streamingunternehmen heißt das dann schlimmstenfalls, dass Kund*innen seltener reinschauen, frustriert abschalten oder gleich ihr Abonnement kündigen.

Womöglich deshalb hat der Streamingdienst Netflix in Frankreich nun einen Testlauf mit einem linearen Programm gestartet. Auf dem Kanal namens Direct wolle man Abonnent*innen und klassische TV-Zuschauer*innen abholen, die sich beim Fernsehen „einfach zurücklehnen“ wollen. Besonders in Frankreich gebe es sehr viele solcher Nutzer*innen. Laut Netflix soll Direct über 24 Stunden hinweg ein festes Programm aus französischen und US-amerikanischen Filmen und Serien abspielen, das alle fünf Tage ausgetauscht wird.

Nun klingt es absurd, dass sich ausgerechnet ein Streamingdienst wie Netflix der Methoden des klassischen Fernsehens bedient, um einerseits überforderte Abonnent*innen auf der Plattform zu halten und andererseits neue Nutzer*innen zu gewinnen. Die Streamingrevolution der 2010er Jahre ist doch gerade dadurch definiert, dass sie die Fesseln des linearen Angebotes hinter sich und Nut­zer*in­nen selbst entscheiden ließ, was sie sehen wollen.

Womöglich stellt das Unternehmen jetzt erst fest, dass Entscheidungsfreiheit nicht alles ist – dass viele User*innen sich gern von einem festen Programm berieseln lassen. So versucht Netflix in seinem Wachstum während der Coronapandemie nun dem klassischen Fernsehen die Zuschauer*innen abzugraben.

Neuerdings handverlesen

Womöglich folgt nach Frankreich bald Deutschland, wo der Altersdurchschnitt bei den Zuschauer*innen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens jenseits der 60 liegt. Diese Altersgruppe ist bei Netflix bislang wenig vertreten.

Was der Streamingdienst mit seiner Entscheidung indirekt auch verrät: Er verzichtet für Direct auf seinen Algorithmus. Dieser bedient im On-Demand-Programm normal die Vorlieben einzelner Nutzer*innen. Bei Direct aber kuratieren Mit­ar­bei­ter*in­nen händisch. Das scheint dann doch besser als ausgefeilte Mathematik.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ist klar, so ein "Fernsehprogramm" wäre ungleich billiger als Streaming. Dann noch etwas Werbung und es wird noch wirtschaftlicher. Danach wirft die "guten" Firme raus und Gameshows rein.

    Braucht man für TV nicht eine Sendelizenz in D

    Es war immer die größe Kunst, nachdem man einem Markt zerstört hat, die Gründerkohle weg ist, ein funktionierndes Geschäft aufzubauen