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Netanjahu trifft Biden in den USATrotz Differenzen unerschüttert

Nach langem Warten hat Netanjahu am Rande der UN-Generalversammlung US-Präsident Biden getroffen. Die Staatschefs brauchen einander politisch.

US-Präsident Biden und Israels Premierminister Netanjahu am Mittwoch am Rande der UN-Vollversammlung in New York Foto: Susan Walsh/ap

Jerusalem taz | Seit Jahrzehnten hat kein US-Staatschef einen israelischen Regierungschef so lange warten lassen: Gut neun Monate nach dessen Amtsantritt hat US-Präsident Joe Biden sich am Mittwoch mit Benjamin Netanjahu in New York getroffen. Biden betonte, er wolle die „demokratischen Werte, die unserer Partnerschaft zugrunde liegen, einschließlich der Gewaltenteilung“ ansprechen. Es waren vor allem die von Israels teils rechtsextremer Regierung forcierte Schwächung der Justiz sowie die Ausweitung israelischer Siedlungen im Westjordanland, die Biden Anfang des Jahres auf Distanz gehen ließen.

Schon im März hatte dieser sich angesichts der Pläne für den Justizumbau ungewöhnlich deutlich geäußert: „Sie können so nicht weitermachen.“ Im Juli schob er hinterher, das israelische Kabinett sei „eines der extremsten, das ich je gesehen habe.“ Dass das Treffen nun so spät und nicht im Weißen Haus, sondern am Rande der UN-Vollversammlung stattfand: ein Hinweis darauf, dass die Beziehungen zu Israels wichtigstem Partner angeschlagen sind.

Dessen war sich offenbar auch Netanjahu klar und stellte zu Beginn des Gesprächs fest: „Israels Verpflichtung für die Demokratie wird sich niemals ändern.“ Unabhängig davon betonte er ebenso wie Biden die Bedeutung einer möglichen Annäherung an Saudi-Arabien. „Ich glaube, unter Ihrer Führung, Herr Präsident, können wir ein historisches Abkommen zwischen Israel und Saudi-Arabien schmieden“, sagte Netanjahu.

Den seit neun Monaten anhaltenden Massenprotesten gegen die Reformpläne seiner Regierung konnte Netanjahu aber auch in New York nicht entkommen. Während des Gesprächs mit Biden demonstrierten vor dem Hotel hunderte Menschen. „Rettet Israels Demokratie“, war auf ihren Schildern zu lesen. Angesichts der innenpolitischen Krise, die die israelische Gesellschaft auf eine Zerreißprobe stellt, wünschen sich mittlerweile rund 70 Prozent der Israelis einen Kompromiss.

Biden braucht einen Erfolg

Denn auch außenpolitisch steht viel auf dem Spiel. Für Netanjahu war die ausbleibende Einladung aus Washington eine Schmach. Für Israel ist das gute Verhältnis zu den USA fundamental wichtig. Das kleine Land erhält jährlich Finanzhilfen in Milliardenhöhe für seine Verteidigung. Davon wird unter anderem das Abwehrsystem „Iron Dome“ mitfinanziert, das Raketenangriffe aus dem Gazastreifen oder dem Libanon abfängt. Mit Blick auf die Beziehungen beider Länder stellte Biden klar, sein Bekenntnis zu Israel sei trotz „einiger Differenzen“ unerschütterlich.

Für einige seiner außenpolitischen Vorhaben ist der US-Präsident auf die israelische Regierung angewiesen, etwa um die Normalisierung zwischen Israel und Saudi-Arabien voranzutreiben. Im kommenden Jahr stehen in den USA Präsidentschaftswahlen an und bisher habe Bidens Regierung kaum etwas vorzuweisen, sagt Yonatan Freeman, Experte für internationale Beziehungen an der Hebräischen Universität Jerusalem. „Biden braucht einen Erfolg. Und eine Normalisierung zwischen Israel und Saudi-Arabien steht dabei ganz oben auf der Liste.“ Unter Vermittlung von Bidens Vorgänger Donald Trump hatte Israel im Rahmen der sogenannten Abraham-Abkommen seine Beziehungen zu mehreren arabischen Staaten normalisiert.

Aber dafür möchte die saudische Regierung in Riad wohl Zusagen Israels an die Palästinenser. Wie Netanjahu diese von seinen palästinenserfeindlichen Koalitionspartnern wie Finanzminister Bezalel Smotrich oder dem Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir bekommen möchte, ist bisher unklar. Die lehnen jedes Entgegenkommen in dieser Frage weitgehend ab.

Und auch aus seiner eigenen Partei, dem Likud, hatten kurz vor dem Treffen zwölf Parlamentsabgeordnete in einem offenen Brief vor Zugeständnissen an Riad gewarnt. Dass Biden und Netanjahu sich nun ein Stück weit entgegengekommen sind, ist eine Sache. Was Israels Regierungschef mit nach Hause nehmen will – und was er davon durchsetzen kann – steht auf einem anderen Blatt.

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1 Kommentar

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  • Theokratische Demokratie?

    Zitat Netanjahu: „Israels Verpflichtung für die Demokratie wird sich niemals ändern.“

    Bliebe die Frage, wie er das anstellen will mit solchen rechts-religiösen Parteien als Koalitionspartner wie etwa Otzma Yehudit, einem Abkömmling der theokratische Kach-Partei. Letztere steht in der programmatischen Tradition der dereinst von Rabbi Meir Kahane („ein jüdischer Nazi“ - SPON) gegründeten Jewish Defense League, einer rassistischen, religiös-fundamentalistischen, ultra-nationalistischen vulgo rechtsextremen Bewegung. Zu deren ideologischen Essentials gehören u. a. die Vorstellung einer gottgewollten Superiorität des auserwählten jüdischen Volkes vor allen anderen, das Verbot sexueller Vermischung von Juden und Nicht-Juden als „Rassenschande“, die Expansion Israels auf das gesamte historische „Heilige Land“ und ethnische Vertreibung aller Nicht-Juden aus diesem Gebiet, die Ablehnung des westlichen Liberalismus und der Demokratie als „unjüdisch“, „gottlos“ und „hellenistisch“ usw.

    Der ehemalige Direktor des Geheimdienstes Mossad Tamir Pardo hat im ÖR-TV Sender Kan Premierminister Benjamin Netanjahu diesbezüglich scharf angegriffen mit der Anschuldigung, er koaliere mit Parteien, die in ihrem Rassismus „schlimmer als der Ku Klux Klan“ seien. Ausdrücklich nannte er dabei Otzma Yehudit des Ministers für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, und HaTzionout HaDatit, die Partei des Finanzministers Bezalel Smotrich. Unmittelbarer Auslöser dieser drastischen Gleichsetzung der rechtsextremistisch-ultratheokratischen Parteien Israels mit dem Ku Klux Klan sind die Aufrufe von Abgeordneten, Israel solle die palästinensische Stadt Huwara im Westjordanland als Rache und Abschreckung „auslöschen“.

    Von einem früheren Chef des Mossad, des wohl weltweit fähigsten Geheimdienstes, darf man eine hinreichend qualifizierte Expertise in solchen Fragen erwarten: Er weiß also, wovon er spricht. (Quelle: Times of Israel, 27. 7.2023)