Netanjahu in Deutschland: Berlin-Besuch begleitet von Protest
Kanzler Scholz empfängt Israels Regierungschef. Neben Iran dürfte es um den möglichen Kauf eines hochmodernen israelischen Raketensystems gehen.
![Ein Mann hält eine Israelflagge in der Hand und ein Schild, worauf steht "Don't come back!" Ein Mann hält eine Israelflagge in der Hand und ein Schild, worauf steht "Don't come back!"](https://taz.de/picture/6153765/14/32399403-1.jpeg)
Vor seiner Abreise hatten 1.000 israelische Künstler*innen und Akademiker*innen in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung eine Absage des Besuchs gefordert. Israel befinde sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und sei „auf dem Weg von einer lebendigen Demokratie zu einer theokratischen Diktatur“, hieß es nach Angaben der Tageszeitung Haaretz. Auch in Deutschland protestierten etliche jüdische und israelische Intellektuelle in einem Schreiben gegen den Besuch, ohne aber eine Absage zu fordern.
Am Donnerstagvormittag besucht Netanjahu die Holocaust-Gedenkstätte Gleis 17 in Berlin-Grunewald. Von dem Bahnhof wurden tausende jüdische Bürger*innen in Konzentrationslager deportiert. Später wollen ihn Scholz sowie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen.
Am Abend wird Netanjahu, anders als ursprünglich geplant, bereits wieder abreisen. Hintergrund der Planänderung ist ein Vorfall in Israel. Sicherheitsbehörden erklärten am Mittwoch, dass Soldaten bereits am Montag einen Verdächtigen mit Sprengstoffgürtel im Norden Israels erschossen und damit möglicherweise ein Selbstmordattentat vereitelt hatten. Eine Verbindung des Mannes zur libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah wird geprüft. Der Mann könnte über die Grenze eingeschleust worden sein.
Netanjahus Besuch in Deutschland kommt zu einer Zeit, da der Regierungschef in seinem Heimatland wie auch vonseiten seiner Verbündeten unter Druck steht. US-Präsident Joe Biden hat ihn seit seinem Amtsantritt im vergangenen Dezember nicht in Washington empfangen.
Als Chef einer teils offen rassistischen und rechtsradikalen Regierung steht Netanjahu in der Kritik – zum einen, weil er den Konflikt mit den Palästinenser*innen verschärft. So hat die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag einen exklusiven Anspruch auf das besetzte Westjordanland angemeldet.
In erster Linie aber richten sich die Proteste gegen eine im Eiltempo vorangetriebene Justizreform. Diese sieht eine Schwächung des obersten Gerichts und eine Machtkonzentration in den Händen von Regierung und Parlamentsmehrheit vor. Die Regierung argumentiert, die Reform sei nötig, um den Einfluss von nicht demokratisch legitimierten Richter*innen auf die Politik einzudämmen.
Berlin will Raketensystem kaufen
Berlin hat die Pläne kritisiert. „Ich will nicht verhehlen, dass wir uns Sorgen machen über einige gesetzgeberische Vorhaben in Israel“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im Februar bei einer Pressekonferenz mit ihrem israelischen Amtskollegen in Berlin. „Zu den Werten, die uns verbinden, gehört der Schutz rechtsstaatlicher Prinzipien wie die Unabhängigkeit der Justiz.“
Doch neben den speziellen Beziehungen zu Israel dürften auch sicherheitspolitische Interessen die Bundesregierung davon abhalten, Israel allzu offen zu kritisieren und einen Bruch mit Netanjahu zu riskieren: Berlin will das hochmoderne israelische Raketenabwehrsystem Arrow 3 kaufen, um Deutschlands Verteidigungskapazitäten zu erhöhen, etwa im Falle eines russischen Vergeltungsangriffs für die Unterstützung der Ukraine.
Die Installation des Raketenschutzschilds würde im Rahmen der von Scholz angekündigten milliardenschweren Aufrüstung der Bundeswehr erfolgen. Arrow 3 kann Langstreckenraketen bereits in einer Höhe von 100 Kilometern abfangen, also im beginnenden Weltraum. Dies ist relevant für das Ziel, Sprengköpfe von Raketen zu zerstören, ohne dass sie Schaden am Boden anrichten.
Der mögliche Kauf von Arrow 3 war bereits Thema, als Scholz im September Netanjahus Vorgänger Jair Lapid empfing. Mittlerweile scheinen die Verhandlungen fortgeschritten zu sein. „Ein paar kleine letzte Handgriffe fehlen noch“, zitierte Haaretz am Mittwoch einen israelischen Offiziellen. Steht der Deal zwischen Berlin und Jerusalem, braucht es noch eine Genehmigung der USA, die Teile des Systems produzieren.
Israel braucht Verbündete gegen Iran
Israel seinerseits versucht, die Bundesregierung zu einem härteren Kurs gegen Iran zu bewegen. Deutschland ist, anders als Israel, Vertragspartner des Atomabkommens mit Iran, das zwar auf Eis liegt, aber nicht offiziell aufgekündigt wurde – offenbar in der vagen Hoffnung, den Atomkonflikt doch noch diplomatisch lösen zu können. Israel kritisiert das Abkommen, da es Irans aggressive Regionalpolitik nicht adressiert, und setzt auf Militärschläge gegen Atomanlagen.
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