Nebeneinkünfte beim ORF: Vom Wetterfrosch zur Glücksfee
Ein ORF-Moderator macht Werbung für Glücksspiel. Die Debatte über Nebeneinkünfte im ÖRR ist überfällig, denn das ist kein Einzelfall.
Normalerweise ist das Moderationsduo fest. Vergangenen Freitag wurde die Sendung aber von Marcus Wadsak moderiert. Wadsak ist seit 1995 beim ORF, leitet seit 12 Jahren die Wetterredaktion und ist österreichweit bekannt. Sein wichtigster Wetterbericht, abends nach den Nachrichten, erreicht mehr als eine Million Menschen. Außerdem hat er einen Bestseller über Klimawandel geschrieben.
Einige der größten Tageszeitungen des Landes berichteten nun vorab mit seinem Konterfei unkritisch über die Ziehung. Wadsak selbst bewarb sie auf seinen Social-Media-Kanälen. Warum gibt sich ein etablierter ORF-Mitarbeiter für Glücksspielwerbung her? Das wollte er der taz nicht beantworten.
Das Ganze wirft Fragen auf. Nicht zuletzt, was Glücksspiel im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) zu suchen hat. Aber vor allem auch: Welche Nebenbeschäftigungen sind für Mitarbeiter des ORF zulässig? Immer wieder gab es diesbezüglich Probleme und überschrittene Grenzen.
Fehlende Transparenz
Im November 2022 etwa führte die ORF-Journalistin Claudia Reiterer durch eine Veranstaltung der Wirtschaftskammer. Reiterer moderiert Woche für Woche „Im Zentrum“, die bedeutendste politische Debattensendung des ORF. Immer wieder sitzen dort auch Vertreter der Wirtschaftskammer – die dann von Reiterer interviewt werden sollen.
Letzten November moderierte ORF-Moderatorin Nadja Bernhard den Interpol-Weltkongress in Wien. Sie bespielt mit der „Zeit im Bild“ mehrmals wöchentlich die wichtigste Nachrichtensendung Österreichs. Just diese Sendung berichtete dann auch über den Interpol-Kongress. Auch das gibt kein gutes Bild ab.
Experten wie Heinz Lederer, Berater und früherer Kommunikationschef der SPÖ, kritisieren schon lange die fehlende Transparenz. Nicht ohne Grund gelten im von der Allgemeinheit finanzierten und dem Bildungsauftrag verpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk besonders hohe Standards. Auch ist der ORF das bei weitem umsatz- und reichweitenstärkste Medienhaus des Landes.
Mehr Transparenz
Nachdem der frühere ORF-Landesdirektor Robert Ziegler durch besondere Nähe zur regierenden ÖVP aufgefallen war, verschärfte das Haus Anfang 2023 seine internen Regelungen. Nebentätigkeiten würden fortan „besonders restriktiv geprüft“, hieß es. Aber eben nur intern. Nach welchen Regelungen sie gemeldet und freigegeben werden, ist unklar. Nach außen hin herrscht Intransparenz, Nebentätigkeiten wurden bisher nicht veröffentlicht, wie dies etwa bei Parlamentariern Pflicht ist.
In Zukunft wird das anders, denn seit Jahresbeginn ist der ORF gesetzlich zu mehr Transparenz verpflichtet. Wenn auch mit Einschränkungen: Namentlich gelistet müssen künftig nur Nebenbeschäftigungen von Mitarbeitern mit mehr als 170.000 Euro Jahresgehalt. Selbst beim kolportierten Durchschnittsgehalt von rund 90.000 Euro im ORF betrifft das nicht allzu viele.
Mit freiwilliger Transparenz ist auch weiterhin eher nicht zu rechnen – auch weil der ORF gut daran mitverdienen dürfte. Die Vermarktung seiner Mitarbeiter betreibt er über seine Agentur „ORF Stars“. Dort sind etwa Vorträge des ORF-Wetterexperten Marcus Wadsak „buchbar“. Auch Nadja Bernhard, die für Interpol tätig war, wird dort gelistet, ebenso zahlreiche andere namhafte Hauptmoderatoren, Korrespondenten und Journalisten. Inwiefern kann die kritische Distanz gewahrt werden, wenn man Journalisten per Formular buchen kann?
„Es bräuchte zumindest Transparenz“, sagt der österreichische Ökonom Leonhard Dobusch. Er sitzt im ZDF-Fernsehrat und kennt das Thema auch aus Deutschland. Im Fall Wadsak sieht er zumindest keinen Interessenskonflikt. Schlimmer wäre es, wenn Wadsak, der Bücher über Klimaschutz schreibt, etwa Aufträge von einem Mineralölkonzern entgegennehmen würde. Das grundsätzliche Problem sei aber groß. „Soweit rechtlich möglich, sollte man für bestimmte Positionen oder Tätigkeitsbereiche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch ein Verbot von Nebenbeschäftigungen diskutieren“, sagt Dobusch. Gerade weil es bei der Vielfalt von zu berichtenden Themen immer zu Interessenkonflikten kommen könne.
Glücksspiel würde legitimiert werden
„Die andere Frage ist, warum der ORF überhaupt Lottoziehungen überträgt“, so Dobusch. Neben den regelmäßigen Ziehungen schlagen Glücksspielinhalte regelmäßig auch in redaktionellen Berichten auf. Die Webpräsenz des ORF, Österreichs größte Nachrichtenseite, etwa berichtet immer wieder nachrichtlich von den aktuellen Lottozahlen. Ein „Rekord-Gewinn“ von 72,1 Millionen lief online gar als „Breaking News“.
Der ORF hält eine 18,75-Prozent-Beteiligung an der Lotto-Toto-Holding, zu der wiederum die Österreichischen Lotterien gehören. Der kleine ORF-Anteil wird laut der Tageszeitung Kurier auf mehr als 100 Millionen Euro geschätzt. Allein im Krisenjahr 2001 seien dadurch mindestens 4,5 Millionen an den ORF geflossen. Überdies werben die Lotterien jährlich mit einem „mittleren zweistelligen Millionenbetrag“ im ORF.
Christoph Holubar, der Vorsitzende des Vereins Spielerhilfe, kritisiert diese Praxis: „Durch Lotto-Sendungen kurz vor den Hauptnachrichten wird Glücksspiel legitimiert. Es ist ein Problem, wenn eine prominente Figur wie Wadsak sich dafür hergibt.“ Glücksspiel habe ihm zufolge nichts im ORF verloren. Es fehlt an offiziellen Erhebungen, aber Holubars Schätzungen sind mindestens 400.000 Österreicher spielsüchtig.
Eine Anfrage zum Thema Glücksspiel und Nebenbeschäftigungen beantwortete der ORF nicht. In einem Statement hieß es lediglich, dass Wadsak für seinen Auftritt von den Lotterien kein Geld erhielt. Wie sein Arbeitgeber scheint auch Wadsak kein Problem zu erkennen. Eine taz-Anfrage ließ er unbeantwortet, stattdessen freute er sich am Freitag auf der Plattform X: „Was muss man tun, um zur Topstory auf oe24 zu werden? Heute die Lottozahlen ziehen.“
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