piwik no script img

Neben Erdoğan und EurovisionWoran erinnern Sie sich, wenn Sie „Naddel“ hören?

Die tragische Würde der Würdelosigkeit, 15 Minuten mehr „Tagesschau“ und kein Spitzname für Friedrich Merz. Dafür zwölf Punkte von den Waffenkunden.

Nadja „Naddel“ Abd el Farrag im Januar 2008 Foto: Foto: United Archives/kpa/picture alliance

t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?

Friedrich Küppersbusch: Kein Friedensgipfel für die Ukraine.

taz: Und was wird besser in dieser?

Küppersbusch: Keine Kapitulation.

taz: Die PKK hat ihre Waffen niedergelegt. Ist die Türkei jetzt eine freiheitliche Demokratie?

Küppersbusch: Erdoğan ließ seinen aktuellen Hauptgegner İmamoğlu einsperren und will ihm seine kurdischen Sympathisanten abjagen. Er braucht die prokurdische DEM-Partei, um İma­moğlus CHP-Partei zu schwächen. Vielleicht gewährt er Erleichterungen für den weggesperrten Ausgleichspolitiker Demirel oder einen bitteren Hauch Gnade für den Kurdenführer Öcalan. Kurz, er hat genug Geiseln genommen, um mit ihnen jonglieren zu können. Ziel ist sein Machterhalt – also das Gegenteil von Befriedung.

taz: Am Dienstag wurde bekannt, dass Nadja Abd el Farrag gestorben ist. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie „Naddel“ hören?

Küppersbusch: Die tragische Würde der Würdelosigkeit. Ein bisschen Geld verdienen müssen mit der Entblößung der eigenen Person. Von anderen zum personifizierten Unfall auf der Gegenfahrbahn gestempelt, wo alle mal langsamer fahren und mit Schaudern rübergucken. Am Unfallort ist großflächig Alkohol ausgetreten.

taz: Die „Tagesschau“ könnte bald 15 Minuten länger werden. Ist es das, was Deutschland fehlt?

Küppersbusch: Das alte Problem: Die „Tagesschau“ behandelt in 15 Minuten rund 13 Themen, von denen das Publikum kurz drauf noch ein oder zwei erinnern kann. Das neue Pro­blem: Von vielen Themen haben die Leute in der digitalisierten Welt längst übern Tag gehört und brauchen die Zusammenfassung kaum mehr. Die trotzdem Mörderquote errechnet die ARD aus der Summe aller Ausstrahlungen auch in den Dritten, sonst bröckelte das Denkmal. Im Mutterland der TV-Nachrichten haben sich die Spätausgaben – „BBC Newsnight“, bei uns „heute journal“, „Tagesthemen“ – längst zu Interviewsendungen entwickelt. Das hat die ARD nur viertelherzig gewagt, indem regelmäßig ein „TT“-Gesicht einen Polittalk bekommt: Christiansen, Will, ­Miosga. Ein zeitgemäßes Line-up wäre also: zur gelernten Zeit um 20 Uhr die „Tagesthemen“ mit Meldung, Hintergrund, Analyse und ab 22 Uhr ein straffes Interviewmagazin mit Gästen von der Entscheidungsebene, weniger Meinungs- und Expertenhuberei. Wenn die halbe Stunde um 20 Uhr diese Tür öffnet, kotzt die Konkurrenz zu Recht: Der Schritt ist nämlich richtig.

taz: Unterdessen piesacken sich Armin Laschet und Markus Söder gegenseitig in Interviews. Gibt es dafür Einträge ins Klassenbuch?

Küppersbusch: Söder wäre eher der ehrgeizige Studienrat, der den Direktor mobbt und nur noch unterrichtet, weil er sich gern reden hört. Laschet der Typ Verbindungslehrer, der mit der Schülervertretung redet und in Reli allen eine Zwei gibt, weil Gott uns alle liebt. Sie bilden auch den Kampf ab der rechtsoffenen Union gegen die letzten standhaften Merkelianer. Ohne Laschets Rekordfahrt hätte man sich einen anderen Grund ausdenken müssen, damit er nicht Außenminister wird. Söder geht also inzwischen auf Schwächere los, das ist nicht schön für Direktor Merz, aber für seine Macht.

taz: Robert De Niro wurde bei den Filmfestspielen in Cannes für sein Lebenswerk geehrt und bezeichnete Trump in seiner Rede als „Amerikas philisterhaften Präsidenten“. Was wird Merz’ Spitzname?

Küppersbusch: Spitznamen drücken die Beliebtheit einer Person aus. Wollt ihr die Frage noch mal überdenken?

taz: Adriana Smith aus Atlanta im US-Bundesstaat Georgia ist seit über 90 Tagen hirntot. Weil sie schwanger ist und Abtreibung in ihrem Bundesstaat illegal, müssen die Ärzte sie am Leben erhalten, bis das Kind geboren ist. Typisch Trump-USA – oder machen wir es uns damit zu einfach?

Küppersbusch: Entscheidend ist, wenn ermittelbar oder bekannt, der Wunsch der Mutter. Rest basta.

taz: Viel Drama um den diesjährigen Eurovision Song Contest. Haben Sie zugesehen?

Küppersbusch: Ja, ich kam von einer Feier und schaute erst ab dem Moment zu, an dem die Musik vorbei war. Perfektes Timing. Deutschland bekam je zwölf Punkte von seinen wichtigsten Waffenkunden, Australien und Israel zählen zu Europa, Belarus und Russland nicht. Co-Moderatorin Hazel ­Brugger hatte sich entschlossen ent­sexualisierend gekleidet und brachte so einen Funken verstörender Schleimlosigkeit in das Inferno der Zuckerkrusten. Die rumänische Schraddelband, an der ich auf dem Weg ins Büro in der Fußgängerzone vorbeigehe, bekommt morgen zwölf Euro. Schön war’s.

taz: Und was macht der RWE?

Küppersbusch: RWE beendet die Saison mit einem auch in dieser Höhe verdienten 20.000-Euro-Strafbefehl wegen sexistischen Gepöbels gegen eine Schiedsrichterin. Irgendwas mit Fußball war auch, interessiert die verantwortlichen Fans aber nicht.

Fragen: Marie Gogoll, waam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Friedrich Küppersbusch
Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Der Taz-Artikel über Nadja Abd el Farrag war am Tag seines Erscheinens Nr. 1 unter den Meistgelesenen. Sind wir Taz-Lesende so anders?

  • Kein Friedensgipfel ohne Kapitulation.



    Grosses Däumchendrück für die Ukraine und Selenski.



    Ungeachtet der Umstände,



    oder deswegen - Selenski entwickelt sich in meinen Augen zu einem großen Diplomaten und Staatenlenker!



    Good luck, stay strong.

  • "Spitznamen drücken die Beliebtheit einer Person aus. Wollt ihr die Frage noch mal überdenken?"

    Ausnahmen bestätigen Regeln:

    Calamity James



    Professor Chaos

    www.spiegel.de/spo...fft-a-1096757.html

    Auch mit Humor zu tragen:



    "Der Spitzname – Es geht um mehr als nur einen Namen



    Die Komödie „Der Spitzname“



    Bei kinofans.com

    Ein Vorschlag zur Vorlage von spiegel.de aus 2000



    "POLITIKER



    Easy Rider in Brilon



    Lange Haare, wilde Jagden mit dem Motorrad - Friedrich Merz verklärt seine Jugendjahre, die so wild nicht waren. Aber warum tut er das?"