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Naziaufmarsch beim CSD in BrandenburgUnd dann fühle ich etwas, das ich lange nicht fühlte: Angst

Unsere Autorin war mit ihrem Kind auf einem CSD in Brandenburg. Während ihr dort immer mulmiger wird, fragt sie sich, wie es so weit kommen konnte.

CSD in Brandenburg im Jahr 2025 bedeutet nicht bloß Menschen mit bunten Regenschirmen Foto: Emmanuele Contini/imago

W ir stehen uns ratlos gegenüber auf dem nassen Asphalt einer brandenburgischen Stadt in der Nähe meines Wohnortes. Sie, die Polizistin, die von außerhalb angereist ist, um den CSD zu schützen. Und ich, die Demons­trierende, ein durchnässtes siebenjähriges Kind an der Hand, das jetzt gern wieder ins Warme würde, aber nicht kann. „Da würde ich jetzt wirklich nicht durchgehen an Ihrer Stelle“, sagt die Polizistin. Denn „da“, da sind die Nazis.

Weil ein CSD in Brandenburg im Jahr 2025 eben nicht bloß Menschen mit bunten Regenschirmen bedeutet, sondern auch eine Gegendemo von etwa 40 meist jugendlichen Neonazis, die uns mit großem Abstand folgt. Man wolle „den Kinderfickern mal zeigen, wer hier der Herr im Hause ist“, sagt ein Einheizer dort zu Beginn.

Ich bin im Mecklenburg der Neunziger Jahre aufgewachsen und natürlich bin ich nicht überrascht, dass es Nazis gibt. Ich wohne seit mehr als fünf Jahren in einem Landkreis in Brandenburg, in dem die Landtagsabgeordnete im Wahlkampf Stichwaffen mit AfD-Aufdruck verschenkte. Trotzdem stehe ich an diesem Tag im Regen auf der Straße und fühle etwas, das ich schon länger nicht mehr gefühlt habe: Angst. Angst vor dem, was ist. Und Angst vor dem, was noch kommt.

Letztes Jahr, da roch der CSD nach Sonnencreme und Softeis. Wir fuhren gemeinsam mit mehreren Kindern im Zug in die Nachbarstadt, wir waren spät dran. Nie wären wir auf die Idee gekommen, zu beratschlagen, ob der Demo hinterherzulaufen gefährlich werden könnte und mit wem wir im Notfall zusammenbleiben. CSD, das war ein politisches Familienfest und im Anschluss gingen wir auf den Spielplatz.

Fuck, ich hätte mein Kind nicht mitbringen sollen, denke ich. Und dann: Wann ist dieses Fest so gefährlich geworden?

Natürlich waren die neuen queeren Feste in Brandenburg auch Reaktion auf etwas, das sich veränderte – in den Schulklassen, in den Fußballvereinen. Auch damals gab es bei den Feiern schon Vorfälle. Sticker, Rufe, Hitlergrüße. Wahrscheinlich habe ich die Angst verdrängt, solange das noch irgendwie ging – bis zu diesem Tag.

Vorfreude beim Malen des Regenbogenplakats

Den ganzen Vormittag hat mein Kind an seinem Regenbogenplakat gearbeitet, Wasserfarben gemischt, es vorfreudig durch die Wohnung getragen. Wir schnitten dicke Streifen Tesa ab und umwickelten die Pappe, damit der Regen dem Regenbogen nichts anhaben konnte.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Noch bevor wir am Bahnhof Demoteilnehmende entdecken, sehen wir die ersten jungen Männer mit Kurzhaarschnitt und schwarzer Kleidung. „Deutsche Jugend voran“ heißt die Organisation, die zur Gegendemo aufgerufen hat. Ich denke: Fuck, ich hätte mein Kind nicht mitbringen sollen. Und dann: Fuck, wie weit ist es gekommen, wenn man auf einen CSD keine Kinder mehr mitbringen kann?

Wir warten unter der S-Bahnbrücke, der trans Chor singt, muss dann aber abbrechen, denn wir müssen los, damit sich Demo und Gegendemo nicht begegnen. Wir laufen durch den Regen und sind froh über die bunten Schirme, denn ein rechtsextremer Streamer hat seine Kamera auf einen langen Stab montiert, um uns zu filmen.

„Ich dachte, es gibt nur Für-Demos und keine Gegendemos“, sagt mein Kind.

Wie kann innerhalb von wenigen Monaten so viel verrutschen?

Als die Füße nass sind und wir nach Hause wollen, aber nicht können, weil die Nazis die Straße hinter uns blockieren, halten zwei Polizisten den Verkehr an, damit wir auf einen Trampelpfad gelangen. Kein Mensch, nirgends. Mir wird immer mulmiger. Bloß weg hier. In diesem Moment kommt mir ein komisches Wort in den Kopf: Zeitenwende. Wie kann innerhalb von wenigen Monaten so viel verrutschen? Ich lege eine Jacke über das Plakat und schäme mich für den Versuch, mich unsichtbar zu machen.

Als wir dann doch nach Hause kommen und später einkaufen gehen, steht am Supermarkt eine Gruppe Jugendlicher, schwarze Klamotten, lautes Lachen, Bierflaschen in der Hand. Sie reden über den CSD. Ich habe sie hier noch nie gesehen.

Am Abend nimmt mein Kind sein Plakat nochmal in die Hand und läuft damit durch die Küche. „Ge-gen-de-mo“, ruft es. Ich schaue verwirrt genug, um eine Erklärung zu bekommen. „Ich mache eine Gegendemo gegen die Gegendemo.“ Die Schuhe sind schließlich schon fast wieder trocken.

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Luise Strothmann
Leitung wochentaz
Kam 2009 als Volontärin zur taz, war dann Redakteurin der Wochenendausgabe und seit 2016 deren Vize-Ressortleiterin. Sie bekam den Medienpreis der Deutschen Aids-Stiftung, war für den Reporter*innenpreis in der Kategorie Wissenschaftsjournalismus nominiert und wurde zweimal vom Medium Magazin ausgezeichnet. Knapp zwei Jahre war sie verantwortlich für die Weiterentwicklung der taz im Netz und ein Jahr lang Entwicklungsredakteurin der Chefredaktion für Reportage und Recherche im taz-Investigativteam. Seit 2022 leitet sie das Zukunftsteam der wochentaz zu Klima, Wissen und Utopien und ist Mitautorin des Newsletters TEAM ZUKUNFT. Seit 2023 ist sie Leiterin der wochentaz.
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11 Kommentare

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  • Seltsam, welche harmlosen Menschen immer wieder von Chaoten ins Visier genommen werden. Schlimm aber, dass diese „Seltsamkeit“ so gefährlich ist und unter dem Deckmantel der Demokratie ausgetobt wird.

  • Mir widerstrebt es, einen larmoyanten Angst-Kommentar zu einer rechten Gegendemo zum CSD zu lesen. Als ich in den 70ern in Heidelberg studierte, hatten die Rechten Angst vor den Linken. Glaube ich ...

  • Meiner Meinung nach liegt das Problem hier:

    100000 Menschen gegen Rechts auf der Straße . Aber nirgendwo anders . Nicht in den Flüchtlingsheimen, nicht in den Kitas , nicht in den Schulen. Überall Notstand da, wo man wirken könnte . Der Zustand der meisten ist noch eine Reflexion, kein handeln außer Protest an sich . Zweimal im Jahr Flagge zeigen reicht halt schon lange nicht mehr .

  • Vielleicht sollte man sich bewaffnen. Wenigstens mit Pfefferspray.

    Traurig, aber irgendwann muss man sich auch mal wehren.

    • @Suryo:

      Ein Laie mit Pfefferspray (oder jeder anderen Waffe/Hilfsmittel) verletzt in der Regel eher sich selbst oder Unbeteiligte. Das schadet meist mehr, als dass es hilft. Fragen Sie jeden Selbstverteidigungsexperten.

      Zum „sich wehren“ gibt es den passenden Spruch: „Antifa heißt Angriff“. Das ist aber auch unter sich noch irgendwo als Links verstehenden Menschen zunehmend degoutiert worden, auch hier in der taz-Community. Und jetzt, wo sich - oh Wunder oh Staunen! - zeigt, dass die Union, dass der organisierte Konservatismus keine Brandmauer sein will und kann, ist die Ratlosigkeit wieder groß.

      Und nun 3, 2, 1 bis wieder eines von drei Random-Popper-Zitaten kommt :rolleyes:

      • @Kawabunga:

        Es ist bezeichnend, dass der Historiker Thomas Rödder (CDU) jüngst verlautbarte, dass ein Verbot der AfD zum Bürgerkrieg führen würde, aber niemals jemand davor warnt, dass ein Wahlsieg der AfD zum Bürgerkrieg führen würde.

        In Berlin hält man es derweil für links, einen lachhaften Zaun um einen Park zu verhindern.

  • Ja, traurig, dass es in diesem Land Leute gibt, die andere nicht einfach leben lassen können, wie sie möchten. Aber die CDU hilft ja auch kräftig dabei, ein solches Klima zu schaffen. Aber seit ich Familienvater bin, habe ich auch zu viel Schiss, dass mir einer dieser Vögel aus ner Laune was antut.

    • @Klaus Klabuster:

      Konservative haben andere noch nie leben lassen wie sie möchten. Der erhobene Zeigefinger ist allerdings zur Faust geworden, die nicht mehr nur droht zuzuschlagen.

  • Ich bin im Moment dabei aus den USA zurueck nach Deutschland zu ziehen. Zu meinen Freunden hier sage ich oft, wie viel sicherer ich mich als queerer Mensch in Europa fuehlen werde. Und obwohl das schon stimmt, ist es wirklich erschreckend wie dieser Rechtsruck fast ueberall passiert.



    Und Merz' Sprueche a la "Zirkuszelt" machen das alles nur noch salonfaehiger.

  • Leider ist Angst auch angebracht.



    Ich hab bei sehr sehr vielen Leuten immer das Gefühl bei Gesprächen, das eigentlich nicht viel fehlt damit die politisch zu ner anderen Seite wechseln. Sie regen sich immer mehr über grundlegende Dinge auf, die allgemeine Unzufriedenheit (Themenübergreifend) wächst und wächst. Und der einzige Grund warum die noch weiterhin "normal" wählen und nicht extrem, ist die Sorge davor was für wirtschaftliche Folgen damit einhergehen könnten, insbesondere für sie selbst.



    So ist leider mein Eindruck.



    Was mag wohl passieren wenn der einzige Grund für sie noch "normal" zu wählen, weg fällt?



    Und bei der aktuell weg brechenden Wirtschaft, könnte daraus sehr schnell ein sehr ernstes Problem entstehen...

    (Auch hier im Westen haben die ja längst Wahlergebnisse die vor kurzem noch unvorstellbar waren)

    • @Rikard Dobos:

      Sie beschreiben einen wichtigen Punkt. Dass sich rechtsextreme und AFD nahe Positionen immer mehr auf dem Land schleichend durchsetzen.



      Dass die Grünen jetzt einen Ostbeauftragten bestimmen, ist ein hilfloser Versuch, denn die AFD ist mittlerweile flächendeckend auf dem Land aktiv, mit ihr wachsen rechtsextreme gewalttätige Umtriebe von Jugendlichen auf dem Land. Die Parteien schauen dem mehr oder wenig hilflos zu.