Nazi-Szeneanwalt vor Gericht: Neue Qualität der Kriminalität

In der rechtsextremen Szene tummeln sich auch Anwälte. Dirk Waldschmidt ist einer von ihnen. Er steht wegen Geldwäschevorwürfen vor Gericht.

Dirk Waldschmidt

Szeneanwalt Dirk Waldschmidt beim NSU-Prozess 2013 Foto: Sebastian Widmann/ddp images

BERLIN taz | Am Montag wird Dirk Waldschmidt wieder den Saal in der Erfurter Messe betreten, den das Landgericht eigens für die Großverhandlung gegen die rechtsextremen Turonen angemietet hat. In Handschellen werden Justizbeamte den Anwalt zur Anklagebank führen, direkt aus der U-Haft.

So wie vor anderthalb Wochen, zum Prozessauftakt. Damals humpelte Waldschmidt in Jogginghose zu seinem Platz, blickte blass und verloren drein. Dabei ist klar: Von den neun Angeklagten ist er hier der schillerndste.

Denn Waldschmidt ist seit Jahren ein prominenter Anwalt der rechtsextremen Szene – und selbst Teil davon. Der 57-Jährige aus dem kleinen hessischen Schöffengrund war mal Vize-Chef der Hessen-NPD, trat zuletzt bei der rechtsextremen Splitterpartei „III. Weg“ auf. Immer wieder vertrat Waldschmidt Neonazis vor Gericht, kurzzeitig auch den Lübcke-Mörder Stephan Ernst. Damit gehört er zu den bekanntesten Szeneanwälten bundesweit.

Aber Waldschmidt beließ es offenbar nicht dabei. Denn nun steht er selbst vor Gericht: Vorgeworfen wird ihm Geldwäsche, die er zusammen mit den Turonen begangen haben soll.

Die Thüringer Neonazis gründeten sich 2015 als rockergleiche Bruderschaft, organisierten zunächst Rechtsrockkonzerte. Laut Anklage stiegen sie spätestens im Herbst 2019 dann auch ins Drogengeschäft ein, handelten in großem Stil mit Kokain, Crystal, Marihuana. Bis acht von ihnen im Februar 2021 festgenommen wurden – darunter Waldschmidt, bei dem damals ein verbotener Elektroschocker gefunden wurde.

Enger Kontakt zu neonazistischer Rockerbruderschaft

Waldschmidt hält seit Jahren Kontakt zu den Turonen, die Anklage attestiert ihm ein „enges freundschaftliches Verhältnis“, vor allem zum Anführer Thomas W., einem verurteilten Schläger. Zwei mit W. befreundete Thüringer Neonazis vertrat der Anwalt vor Gericht. Der Bund ist so eng, dass Waldschmidt laut Anklage zum „Ehrenturonen“ ernannt wurde.

Und der Hesse brachte sich in der Truppe offenbar tatkräftig ein. Im „Clubhaus“ der Turonen in Gotha soll er Geräte für den Sportraum gestellt und geplant haben, dort eine Zweigstelle seiner Kanzlei einzurichten – um so Durchsuchungen zu erschweren. Für die Gruppe erwarb er im Januar 2020 zudem ein zweites Gebäude für 65.000 Euro, das als Bordell vorgesehen war. Den Preis soll Turonen-Anführer Thomas W. vorgegeben haben.

Auch wirft ihm die Anklage die „Abschottung der Bandenstruktur“ vor. So soll es Waldschmidts Auftrag gewesen sein, Mitglieder juristisch zu vertreten und dafür zu sorgen, dass diese bei der Polizei schweigen. In einem Fall habe er sogar einem Inhaftierten Schweigegeld angeboten.

Auch der Lübcke-Mörder Ernst hatte ausgesagt, Waldschmidt habe ihm geraten, nichts zu Mittätern zu sagen – im Gegenzug werde die rechtsextreme Szene seine Familie finanziell unterstützen. Waldschmidt bestritt das. Die Turonen aber druckten für den Hessen sogar eigene T-Shirts: „Freiheit sponsored by RA Waldschmidt“ prangte darauf.

Bandenmitglieder pro forma als „Facility Manager“ eingestellt

Noch zentraler soll aber Waldschmidts Rolle bei der Geldwäsche der Drogengelder gewesen sein. Dafür soll der Hesse eigens eine Immobilien GmbH gegründet und eine weitere über seine Frau laufen gelassen haben. Dort und in seiner Kanzlei stellte er auf dem Papier vier Bandenmitglieder als „Facility Manager“ oder Büromitarbeiter ein, darunter die Lebensgefährtin von Anführer Thomas W., und zahlte ihnen monatlich zwischen 900 und 1.600 Euro. Insgesamt summierten sich die Gehälter über die Zeit auf mehrere Zehntausend Euro. Tatsächlich gearbeitet aber hatte laut Anklage niemand der „Angestellten“.

Das Geld für die „Löhne“ soll Waldschmidt zuvor in bar von der Gruppe bekommen haben und auf Konten seiner Frau oder seines minderjährigen Sohnes Martin (Name von Redaktion geändert) eingezahlt haben, mit Betreff „Darlehen“ oder „diverse Geldgeschenke für Martin“. Waldschmidt selbst soll sich davon mehrere Tausend Euro als „Entlohnung“ abgezweigt haben. Zudem soll er in einem anderen Fall von einem Mann 35.000 Euro für angebliche Drogenschulden erpresst haben. Dafür ließ er sich in einem Erbschaftsstreit des Mannes als sein Anwalt mandatieren und das gewonnene Geld auf sein Konto überweisen.

Und es ging den Turonen nicht ums reine Geschäftemachen: Laut Anklage diente das Drogengeld auch dazu, die Existenz der Gruppe „dauerhaft zu sichern“. Zudem wurde damit ebenso ein Szeneheld unterstützt: der Thüringer NSU-Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben. Auch ihn soll Waldschmidt zum Schein als IT-Mitarbeiter angestellt und ihm über zehn Monate lang je 450 Euro überwiesen haben – ohne dass der Neonazi je Dienste geliefert haben soll. Auch Wohlleben wurde im Februar 2021 bei den Turonenrazzien durchsucht, gilt aber bisher nicht als Beschuldigter.

Fall Waldschmidt „eine neue Qualität“

Waldschmidt selbst schweigt bisher im Prozess zu den Vorwürfen gegen sich. Verteidigt wird er dabei ebenfalls von zwei Szeneanwälten: Nicole Schneiders, einst bei der NPD aktiv, und Steffen Hammer, früher Sänger der Rechtsrockband Noie Werte, die etwa dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess ein Lied widmete.

Und den Turonen-Anführer Thomas W. vertritt wiederum Olaf Klemke, den der Verfassungsschutz gleichfalls also Szeneanwalt bezeichnet und der im NSU-Prozess Ralf Wohlleben vertrat. Es sind sie und andere, die bundesweit ein Netzwerk bilden und immer wieder Gesinnungskameraden vor Gericht vertreten.

Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer hat dieses Netzwerk im Blick. „Dass Anwälte mit rechtsextremem Gedankengut die Szene stützen, ist nicht neu“, sagt er der taz. Der Fall Waldschmidt aber sei „eine neue Qualität“. „Dass ein Szeneanwalt derart ungeniert in der Organisierten Kriminalität mitzumischen scheint, ist neu. Hier gerät etwas ins Rutschen und das werden wir weiter sehr genau beobachten.“

Dirk Waldschmidt mischt vorerst nicht mehr mit. Er sitzt nun schon seit anderthalb Jahren in U-Haft – seine Haftbeschwerden wurden abgewiesen. Das Urteil gegen ihn und die Turonen soll im Dezember fallen. Dem 57-Jährigen könnten dann mehrere weitere Jahre Haft drohen – und ein lebenslanges Berufsverbot als Anwalt.

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