Nazi-Plakat in Lichtenberg: Im Schutz der Zweideutigkeit
In Lichtenberg taucht ein problematisches Plakat der rechtsextremen Partei Der III. Weg auf. Was lässt sich dagegen tun?
Im Europawahlkampf werben rechte Splitterparteien mit fragwürdigen Plakaten. „Reserviert für Volksverräter“ steht auf einem Plakat der Partei Der III. Weg, das seit der Nacht zu Mittwoch am Bahnhof Lichtenberg ganz oben an einer Laterne hängt. Es liest sich wie ein Aufruf, „Volksverräter“ – ein im Dritten Reich gängiger Begriff – an Laternenmasten aufzuhängen.
Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst (Linke), dessen Behörde durch Anfrage der taz auf das Plakat aufmerksam wurde, sagt: „Wir prüfen, ob wir – wie in Sachsen – ordnungsbehördlich gegen diese Plakate vorgehen können. Und ob ich als Bezirksbürgermeister Strafanzeige wegen dieser Plakate bei der Staatsanwaltschaft erstatten kann.“ Bei der Berliner Polizei sind bisher noch keine diesbezüglichen Strafanzeigen eingegangen. Sprecherin Mareike Rottig sagt: „Bisher haben wir noch keine strafrechtliche Relevanz gesehen. Das prüfen wir aber weiter zusammen mit der Staatsanwaltschaft.“
In verschiedenen sächsischen und bayerischen Kommunen tauchten die Plakate schon früher auf. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen des Verdachts der Volksverhetzung. In Chemnitz wurden diese Ermittlungen eingestellt. Die Stadtverwaltung Chemnitz hat nach Bürgerbeschwerden ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen des Verdachts der Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung eingeleitet und die Plakate abhängen und als Beweismittel einlagern lassen.
So etwas kann aber auch schiefgehen, wie der Umgang der hessischen Gemeinde Neukirchen mit einem umstrittenen Plakat der Splitterpartei Die Rechte zeigt. Vor einem Judenstern steht dort „Israel ist unser Unglück“ – eine Abwandlung des Zitats „Die Juden sind unser Unglück“ des Historikers Heinrich von Treitschke (1834–1896), das ab 1927 meist auf den Titelseiten des NS-Hetzblattes Der Stürmer stand. In Berlin ist dieses Plakat sehr wahrscheinlich bisher noch nicht aufgetaucht.
Neukirchens Ortsbürgermeister Klemens Olbrich (CDU) ließ die Plakate diesen Monat auf Bürgerbeschwerden hin abhängen. Die Splitterpartei drohte mit juristischen Schritten, danach hingen die Plakate wieder. Kommunale Ordnungsämter haben wenig Möglichkeiten, gegen Wahlplakate vorzugehen. Sie dürfen diese entfernen, wenn sie an Orten hängen, an die Wahlplakate nicht hingehören, oder wenn sie im Auftrag der Staatsanwaltschaft handeln, weil diese strafbare Inhalte erkennt.
2011 warb die NPD mit „Gas geben“
Aber auch das ist schwierig. So scheiterte die Berliner Justiz 2011 mit ihrem Vorgehen gegen das NPD-Plakat „Gas geben“. Auf diesem ist der NPD-Politiker Udo Voigt zu sehen, der sich damals um ein Mandat für das Abgeordnetenhaus bewarb, auf einem Motorrad, die Hand am Gaspedal. Das Plakat weckte Assoziationen mit den Gaskammern in den Vernichtungslagern der Nazis. Die NPD bestritt diesen Zusammenhang. Im aktuellen Europawahlkampf hängt das Plakat erneut zahlreich im Pankower Ortsteil Buch. Voigt sitzt im Europaparlament.
Michael Grunst, Lichtenbergs Bürgermeister (Linke)
Anne Helm, die Rechtsextremismusexpertin der Linken, sieht in solchen Wahlplakaten den Versuch rechter Parteien, „die Grenze des Machbaren nach rechts zu verschieben. Gerichte müssen entscheiden, ob hier der Tatbestand der Volksverhetzung gegeben ist.“
Dies ist ihrer Meinung nach aber kein Selbstläufer, wenn die Aussagen der Wahlplakate mehrdeutig sind. Nach Helms Überzeugung gehört die Partei Der III. Weg verboten. „Es muss geprüft werden, ob diese Splitterpartei tatsächlich Wahlkampf macht oder ob da Akteure aus der Kameradschaftsszene nur die Organisationsform einer Partei gewählt haben, weil die schwerer zu verbieten ist als ein Verein.“ Experten sehen die Partei als Nachfolgeorganisation des mittlerweile verbotenen Neonazinetzwerks „Freies Netz Süd“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“