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Naturschutz im KoalitionsvertragSie wissen nicht, was sie tun

Kommentar von Ulrike Fokken

Naturschutz kommt im Koalitionsvertrag mit 29 Zeilen aus. Es ist eine Vernachlässigung, die sich rächen wird. Eine zerstörte Natur wird teuer werden.

Ausgetrockneter Seitenarm des Rheins bei Duisburg: Auch die Schifffahrt und damit die Wirtschaft leidet unter dem Niedrigwasser Foto: Jochen Tack/imago

G anze 29 Zeilen widmen CDU, CSU und SPD unter der Überschrift „Naturschutz“ einem Thema, das über das soziale, gesundheitliche und wirtschaftliche Wohlergehen Deutschlands ebenso entscheiden wird wie die Steuerpolitik oder die Energieversorgung. 29 von 4.588 Zeilen im Koalitionsvertrag hätten natürlich auch ausreichen können, die Grundlinien einer verantwortungsvollen Politik für den Erhalt der Lebensgrundlagen zu ziehen. Friedrich Merz, Markus Söder (beide Union), Lars Klingbeil, Saskia Esken (beide SPD) hätten eine kraftvolle Strategie für die Natur entwerfen können und zeigen, dass sie verstanden haben, was das Weltwirtschaftsforum als eines der größten globalen Risiken der kommenden zehn Jahre bezeichnet: den Zusammenbruch von Ökosystemen.

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In Ökosystemen knüpfen Tiere, Pflanzen, Einzeller, Pilze und andere Lebewesen Netzwerke, die ihnen Nahrung, einen Platz zum Schlafen, Ver­stecke vor Feinden und ruhige Orte für den Nachwuchs bieten. Diese Netzwerke halten Stress wie Stürme oder Trockenheit aus, sie verändern sich, sind beweglich, verarbeiten Störungen wie die von Felsstürzen und im besten Fall auch die neu eingewanderten Tiere und Pflanzen. Ökosysteme und ihre Netzwerke entwickeln sich, sie brauchen dafür Zeit und Platz, vor allem in heißeren Klima­zeiten und den sich damit verschiebenden Jahres­zeiten. Die künftige Regierung aus CDU, CSU und SPD wird den Ökosystemen jedoch weder den Raum noch die Muße lassen, sich an mehr Autobahnen, Bauten, ausgebaggerte Gruben und betonierte Flussauen anzupassen.

CDU, CSU und SPD reißen Löcher in die Netzwerke des Lebens. Sie wissen nicht, was sie anrichten, wenn sie in den kommenden Jahren noch die naturschutzfachliche Notlösung der Ausgleichsflächen abschaffen. Ausgleichsflächen für den Naturschutz sollen laut Koalitionsvertrag entfallen, wenn Flächen für den „Klima- und Umweltschutz und für die Klimaanpassung“ bebaut werden. Die schwarz-rote Regierung wird Ökosysteme also nicht aufbauen, sondern unter Beton begraben.

Die künftige Regierung wird den Ökosystemen weder Raum noch Muße lassen, sich anzupassen

Flächen für den Klima- und Umweltschutz zu bebauen, birgt einen Widerspruch in sich, denn unter Klimaschutz und Anpassung wird in Deutschland in Zukunft alles fallen. Die erhitzte Erde mit häufigeren Dürren und Starkregen auch in Deutschland macht jedes Vorhaben zu einer Aufgabe der Anpassung an die neuen Zeiten. Auen verschwinden unausgeglichen unter Autobahnen, damit der zunehmende Straßenverkehr schneller abfließt.

Wiesen weichen Rechenzentren, schließlich braucht Deutschland für die Digitalisierung auch der erneuerbaren Energie­systeme eigene Informationssysteme. Doch wenn die Netzwerke reißen, brechen die Ökosysteme zusammen und können nicht technologieoffen wiederhergestellt werden. Die zerstörten Netzwerke des natürlichen Lebens verursachen ökonomische Schäden, deren Ausmaß nur grob geschätzt werden kann, aber gewiss das Sondervermögen der schwarz-roten ­Koalition übersteigen.

Das Ökosystem bricht zusammen

Bleiben wir bei den Flüssen, die wie der Rhein gerade trockenfallen und im April erahnen lassen, was im Juli eine ökonomische Katastrophe auslösen kann. Geht es den Flüssen schlecht, können sie die für Wirtschaft und Menschheit entscheidenden ökosystemischen Dienstleistungen nicht erbringen. Im Sediment am Flussgrund leben alle möglichen kleinen Tierchen, Algen, Bakterien in einem oft unbeachteten Ökosystem und reinigen das Flusswasser, bevor es in die Trinkwasser­kavernen fließt. In ihrem Netzwerk sorgen sie dafür, dass späterhin einwandfreies Trinkwasser aus den Wasserhähnen sprudelt. Fehlen die vielfältigen Lebewesen, weil der Fluss zu heiß wurde oder zu viel Schmutz das Leben erstickt, bricht das Ökosystem zusammen. Ohne die kostenlosen Leistungen der Natur muss sauberes Trinkwasser aufwändig und kostenintensiv hergestellt werden. Teures Wasser bremst die Wirtschaftsleistung ebenso wie mangelndes Wasser.

Dazu kommt: Der niedrige Wasserstand im Rhein zwingt die Binnenschiffer dazu, ihre Ladung zu halbieren, was den Güterverkehr und den volkswirtschaftlichen Fluss der Produktion dämmt. Allein der Wassermangel kann das Brutto­inlandsprodukt bis zu 8 Prozent sinken lassen, hat das Potsdam Institut für Klimaforschung errechnet.

Natur beeinflusst die Wirtschaft, was für die im Geiste der Nachkriegsgeneration sozialisierten Merz, Esken und Söder offenbar nicht leicht verständlich ist. In den 1960er, 70er, 80er Jahren durchpflügte, betonierte, begradigte, verhunzte Deutschland seine Natur in großem Maßstab, um das Land zu einer weltweit führenden Wirtschaftsnation auszubauen. Der Expansionsdrang im eigenen Land fand keinen Halt in den 90er und 00er Jahren – bis zum heutigen Tag. Die Wirtschaft wuchs bei maximaler Landnahme und Naturzerstörung und formte ein Narrativ, das sich nach dem verlorenen Eroberungskrieg und dem Holocaust wie ein balsamischer Verband auf den Seelenschmerz der Deutschen legte. Und sich dem kommenden Bundeskanzler Merz und den in der Wirtschaftsexpansion groß gewordenen Generationen ins Hirn brannte.

Der Koalitionsvertrag verströmt den Geist eines Gestern, das nur noch in der Erinnerung groß­artige Lösungen für das 21. Jahrhundert liefert. Er dient den Generationen, die einst mit dem Küchenmesser die Ritzen zwischen Pflastersteinen von Löwenzahn befreit haben und nun seit Jahren den Hochdampfreiniger nehmen. Aber nicht „grüne Spinner“ (Merz) haben die Ökosysteme erfunden, sie haben nur die mühsame und unliebsame Aufgabe übernommen, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, dass Natur und Klima weiterhin physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten folgen, die stärker wirken als Parteiprogramme und Koalitionsverträge. Naturwissenschaftliche Fakten überzeugen Merz offensichtlich nicht.

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