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Naturkatastrophen in HaitiNach dem Beben kommt der Regen

Nur vier Tage nach dem Erdbeben mit mehr als 1.400 Toten drohen in Haiti Überschwemmungen. Derweil werden die Hilfsmaßnahmen durch Bandengewalt erschwert.

Nach dem Erdbeben kommt der Regen: Flüchtlingscamp Les Cayes in Haiti Foto: Joseph Odelyn/ap

Les Cayes dpa | Nach dem Erdbeben in Haiti mit mehr als 1.400 Toten haben starke Regenfälle die Menschen in der betroffenen Region im Südwesten des Karibikstaates in neue Nöte gestürzt. In einer Notunterkunft im Ort Les Cayes auf der vom Erdbeben schwer getroffenen Halbinsel Tiburon im Südwesten Haitis stand das Wasser infolge des Unwetters „Grace“ knöchelhoch, wie auf Fotos vom Montagabend (Ortszeit) zu sehen war.

Völlig durchnässte Überlebende des Bebens vom Samstag suchten das Camp auf, ihr Hab und Gut teils in Säcken auf dem Kopf tragend, wie andere Bilder zeigten. Viele obdachlos gewordene Menschen übernachteten bisher im Freien.

Das für die Regenfälle verantwortliche Tiefdruckgebiet „Grace“ sei mittlerweile wieder zu einem Tropensturm erstarkt, teilte das US-Hurrikanzentrum in seinem Lagebericht vom Dienstagmorgen (Ortszeit) mit. „Grace“ erreiche Windgeschwindigkeiten von bis zu 65 Kilometern pro Stunde, in den Böen teils höher, hieß es.

Das Hurrikanzentrum warnte vor Überschwemmungen und Erdrutschen in Teilen der Insel Hispaniola, auf der Haiti und die Dominikanische Republik liegen. Als Folge des Regens könnte das Wasser örtlich bis zu 25 Zentimer Höhe erreichen, in Einzelfällen sogar bis zu 38 Zentimeter.

Tropensturm ist auf dem Weg Richtung Mexiko

Berichte über neue Schäden oder Verletzte als Folge des Unwetters gab es zunächst nicht. Der Tropensturm werde noch im Laufe des Dienstags an Jamaika und den Cayman-Inseln in Richtung der mexikanischen Yucatán-Halbinsel vorbeiziehen, teilte das Hurrikanzentrum mit.

Die Zahl der bestätigten Todesopfer des Erdbebens der Stärke 7,2 stieg mittlerweile auf 1.419, wie die Zivilschutzbehörde am Montag mitgeteilt hatte. Rund 6.900 Menschen wurden bei der Katastrophe verletzt – und viele werden noch in den Trümmern der zerstörten Gebäude im Süden des Landes vermutet.

Das Beben hatte sich am Samstagmorgen (Ortszeit) nahe der Gemeinde Saint-Louis-du-Sud östlich von Les Cayes in einer Tiefe von rund zehn Kilometern ereignet. Mindestens 13.700 Häuser wurden nach Angaben der Zivilschutzbehörde zerstört, ebenso viele beschädigt. Mehr als 30.000 Familien seien betroffen. Laut Caritas International werden vor allem Nahrung, Trinkwasser, Zelte und medizinische Erstversorgung benötigt.

Die haitianische Menschenrechtsorganisation RNDDH kritisierte den Umgang der Regierung mit der Katastrophe als „totales Chaos“. „Sie sind völlig sich selbst überlassen“, hieß es hinsichtlich der Erdbebenopfer. Einige suchten auf eigene Faust nach Zelten zum Schutz vor dem Unwetter. Vor personell unterbesetzten und schlecht ausgestatteten Krankenhäusern warteten verzweifelte Verletzte.

Bandengewalt könnte Lieferung von Hilfsgütern erschweren

Interims-Premierminister Ariel Henry kündigte bei Twitter schnellere Arbeit an. „Wir werden unsere Energien verzehnfachen, um die größtmögliche Zahl von Opfern zu erreichen und ihnen zu helfen“, schrieb er. Für eine bessere Koordination der Maßnahmen werde die Präsenz der Regierung vor Ort erhöht. Henry ordnete auch drei Tage Staatstrauer in dem leidgeplagten Land an.

Sorgen bereitete außerdem, dass durch Bandengewalt die Fernstraße, die die Hauptstadt Port-au-Prince mit Haitis Süden verbindet, häufig unpassierbar wird – das könnte die Lieferung von Hilfsgütern erschweren. Banden kämpfen miteinander um Kontrolle über Gebiete in Port-au-Prince. Die Gewalt trieb allein im Juni nach UN-Zahlen rund 15.000 Menschen in die Flucht.

Haiti war auch nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 mit mehr als 220.000 Toten schlecht auf eine ähnliche Katastrophe vorbereitet. Von dem Geld, das damals für den Wiederaufbau aus dem Ausland zugesagt worden war, sahen die meisten Haitianer wenig – ein großer Teil verschwand infolge von Verschwendung und Korruption.

Das ohnehin schwer unterfinanzierte Gesundheitssystem ist durch die sich zuletzt verschlimmernde Pandemie überstrapaziert. Bis es Mitte Juli eine Spende aus den USA erhielt, hatte das Land als einziges in Amerika noch keinen Corona-Impfstoff.

Auch hier spielt die Bandengewalt eine Rolle: Eine Notfallklinik der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Port-au-Prince wurde geschlossen, nachdem auf sie geschossen worden war. Hinzu kommt eine tiefe politische Krise, die sich nach der Ermordung des Staatspräsidenten Jovenel Moïse durch eine Kommandotruppe in seiner Residenz am 7. Juli verschärft hatte.

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