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Naturkatastrophe in AfghanistanDas nächste Desaster

Tausende Menschen sind bei dem Doppelbeben gestorben. Die Vereinten Nationen eilen zur Hilfe, verhängen aber auch Sanktionen gegen Taliban-Minister.

Ein BIld der Zerstörung: Die Provinz Paktika nach dem Erdbeben am Mittwoch Foto: ap

Berlin taz | Als ob das repressive Regime der Taliban, die durch westliche Sanktionen angeheizte Wirtschaftskrise und neue Terroranschlägen des „Islamischen Staates“ nicht genug wären: Nun erschwert auch noch eine schwere Naturkatastrophe die Lage der Menschen in Afghanistan.

Ein Doppelerdbeben erschütterte am Mittwoch gegen 1.25 Uhr Ortszeit den Südosten des Landes. Laut Geologischem Dienst der USA hatte das erste eine Stärke von 5,9, das zweite unmittelbar danach von 4,5. Das Epizentrum befand sich im Distrikt Spera in der Provinz Chost an der Grenze zu Pakistan.

Nach Angaben des Taliban-Vizeministers für Katastrophenschutz, Scharafuddin Muslim, kamen mindestens 920 Menschen ums Leben, weitere 600 wurden verletzt. Andere Behörden sprachen von mindestens 1.000 Todesopfern. Örtliche UN-Organisationen verwenden bisher keine exakten Zahlen, sondern sprechen von „Hunderten“.

Ein ehemaliger afghanischer UN-Mitarbeiter, den die taz in der betroffenen Provinz erreichte, berichtete: „Die Zahl der Opfer nimmt jede Minute zu. Viele Häuser sind zerstört. Taliban-Hubschrauber des Verteidigungsministeriums sind angekommen, aber die Rettungsmaßnahmen laufen nur langsam an.“ Laut BBC löste das Beben auch Erdrutsche aus.

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1.800 Häuser zerstört

Am stärksten betroffen ist offenbar Chosts südliche Nachbarprovinz Paktika, vor allem die Distrikte Gian, Barmal, Siruk und Nika. In Gian sind laut UN 1.800 Häuser zerstört worden, etwa 70 Prozent des dortigen Wohnungsbestands. In Spera habe es 30 Tote und mehr als 100 Verletzte gegeben, berichtete der afghanische Journalist Nur Ahmad Hamkar aus Chost der taz. Die Provinzhauptstädte Chost und Scharana seien aber nicht betroffen, obwohl man dort das Beben ebenso gespürt habe wie in Kabul.

Ein örtlicher Stammesführer sagte der Nachrichtenagentur AFP, die lokalen Märkte seien geschlossen, weil alle Überlebenden den Opfern zu Hilfe geeilt seien. Andere lokale Quellen sprechen davon, viele Menschen seien unter den Trümmern ihrer meist aus Lehmziegeln und Holzbalken errichteten Häuser erstickt. Bilder in sozialen Medien zeigen eine Klinik in Paktika, wo Verletzte auf Betten im Freien liegen müssen.

Es handelt sich offenbar um das schwerste Erdbeben in Afghanistan seit 1998, als im Nordosten des Landes über 4.500 Menschen umgekommen waren. Es traf eine der ärmsten Provinzen des Landes. Die betroffenen Gebiete können nur über unbefestigte Straßen und mit dem Hubschrauber erreicht werden. Der afghanische Journalist Ali Latifi sagte dem Portal al-Dschasira, die Wirtschaftssanktionen hätten die örtliche Rettungsinfrastruktur noch weiter geschädigt.

Afghanistan liegt gleich an mehreren tektonischen Bruchstellen. Kleinere Erdbeben sind fast an der Tagesordnung. Laut UN sterben jährlich im Durchschnitt 560 Af­gha­n:in­nen bei Erdbeben.

Hilfe aus Pakistan

Die Taliban versuchen nun zu zeigen, dass sie in der Lage sind, den Betroffenen zu helfen. Der sonst abgeschottete Talibanchef Hebatullah Achundsada rief öffentlich zur Hilfe auf. Ministerpräsident Mohammad Hassan Achund berief eine Krisensitzung des Kabinetts ein, um die Hilfsmaßnahmen zu koordinieren.

Pakistan sagte bereits Unterstützung zu. Laut dem humanitären UN-Koordinator in Afghanistan, Ramiz Alakbarov, habe die Talibanführung auch die Weltorganisation um Hilfe gebeten. Die ersten Teams mit Zelten, Nahrungsmitteln sowie Wasser- und Hygieneanlagen seien auf dem Weg. Auch das Internationale Rote Kreuz, der Afghanische Rote Halbmond und NGOs beteiligen sich.

Dabei sind die Beziehungen zwischen UNO und Taliban gespannt. Der Sicherheitsrat in New York verlängerte am Montag zwar die Aufhebung von Reisesperren gegen mehrere hohe Taliban, um deren Kontaktbüro in Katar aufrechterhalten zu können, nahm aber ausdrücklich Vizebildungsminister Sajed Ahmad Schahidchel und Hochschulminister Abdul Baqi Hakkani davon aus.

Mit diesen ersten neuen Anti-Taliban-Sanktionen verlieh das Gremium offenbar seinem Missfallen über die frauenfeindliche Bildungspolitik der afghanischen Machthaber Ausdruck. Am Freitag hatten die UNO den deutschen Diplomaten Markus Potzel zum neuen Vizechef und damit amtierenden Leiter ihrer Afghanistanmission Unama ernannt.

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1 Kommentar

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  • Es sei daran erinnert, dass die USA die Hälfte des dort eingefrorenen afghanischen Vermögens ernsthaft für die Entschädigung der Opfer des 11. September verwenden wollen. Das ist ein Diebstahl im großen Stil bei einem der ärmsten Völker dieser Welt und es hat nichts mit einem Kampf gegen die Taliban zu tun.

    Es mag kein direkter Zusammenhang zum jetzigen Desaster erkennbar sein, der Zusammenhang besteht aber darin, dass die Lebensinteressen der betroffenen Menschen nicht gewürdigt werden. So darf man ihre Gelder skrupellos für eigene Zwecke zweckentfremden.

    Unter dem Mantel des Kampfes gegen die Taliban wird keine ausreichende Hilfe bei Katastrophen geleistet und die Folgen von Sanktionen für das bare Überleben von unzähligen Menschen werden ausgeblendet – dies, obwohl mittlerweile seitens der UN umfangreiche Studien vorliegen, die massive Erhöhungen der Sterblichkeit, Verschlechterung der Ernährungslage, der gesundheitlichen Versorgung etc. durch Sanktionen, die die Masse der Bevölkerung treffen, schlüssig nachweisen.

    Weil die Afghan:innen bereits mit dem extremst-repressiven Regime der Taliban geschlagen sind, bedeutet dies nicht, dass sie wollen, dass ihre Kinder sterben, die Bevölkerung hungert und die gesundheitliche Versorgung sich weiter verschlechtert.

    Es eine sehr abstrakte Sicht von Privilegierten, die selbst gut versorgt sind, dass die Vergrößerung des Leides von Millionen Menschen und besonders der Armen jemals den Menschenrechten dienen könnte.

    Die Sachlage, dass ein perfides Regime in Afghanistan an der Macht ist und die Sachlage, dass die westliche Politik in Afghanistan gescheitert ist, sollte nicht auf dem Rücken der Menschen in Afghanistan ausgetragen werden.

    Bei einem derartigen Desaster wäre eine sofortige internationale Hilfe zu erwarten, die dem Ausmaß des Desasters entspricht. Auch sollten endlich allen Afghan:innen im Ausland der Flüchtlingsstatus und das volle Arbeitsrecht zugestanden werden.