Nationalsozialismus und Wissenschaft: NS-Forscherinnen müssen gehen

Die Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Uni Frankfurt steht vor dem Aus. Verträge der Leiterinnen sind nicht verlängert worden.

Blick durch eine Fenster auf einen park und ein anderes Gebäude.

Im IG-Farben-Haus der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt Foto: Daniel Kalkar/dpa

Das zehnjährige Jubiläum steht im nächsten Jahr bevor, doch die Zukunft der Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Universität Frankfurt am Main ist ungewiss. Die in Deutschland einmalige Einrichtung, 2012 von den Wissenschaftlern Micha Brumlik und Benjamin Ortmeyer gegründet, steht vor dem Aus. Der Grund: Die Universität verlängerte die Verträge mit den zwei Leiterinnen der Stelle nicht, auch der zukünftige Verbleib der umfangreichen Materialsammlung ist ungeklärt.

Am Ende kam es nicht ganz überraschend, sagt Katharina Rhein. „Mit uns wurde nicht wirklich über die Zukunft der Forschungsstelle kommuniziert, es war klar: Unser Vertrag endet am 31. März“, sagte die Co-Leiterin der Forschungsstelle im Gespräch mit der taz.

Nachdem der Erziehungswissenschaftler Benjamin Ortmeyer 2018 in den Ruhestand ging, übernahm Rhein mit ihrer Kollegin Z. Ece Kaya die Leitung über zwei Stellen als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen. Die Universität versprach, Folgestrukturen zu schaffen, etwa eine neue Professur zum Thema. Das passierte zwar nun, allerdings ohne die Forschungsstelle institutionell in irgendeiner Form zu berücksichtigen.

Die Frankfurter Universität verliere „zwei allseitig anerkannte und beliebte Lehrende, die in ihren Seminaren über die NS-Pädagogik aufklärten“, befürchtet die AStA-Vorsitzende Kyra Beninga. Auch ihr Kollege Mathias Ochs kritisiert die Universität scharf: „Wir befürchten, dass die Forschungsstelle bald nur noch dem Namen nach als ‚Briefkastenfirma‘ besteht, um ihren faktischen Umbau zu vertuschen.“

Verweis auf neue Professur

Die Universität und der Fachbereich Erziehungswissenschaften nennen die Vorwürfe des AStA „unvollständig und fehlerhaft“, wie sie der taz über den Uni-Sprecher Olaf Kaltenborn mitteilen. Durch die Schaffung einer neuen W3-Professur, in die auch die „Erziehung nach Auschwitz bis heute“ inbegriffen sei, habe man neue Strukturen nach Ortmeyers Ruhestand geschaffen. Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Meseth besetzt jene Stelle seit Anfang April und soll einen „Generationswechsel“ einleiten, zudem eine „zeitgemäße Konzeption“ der Forschung zur NS-Pädagogik erarbeiten.

Die Anstellung von Rhein und Kaya sei „von vornherein bis zur Besetzung der neuen W3-Professur als Interimslösung gedacht“ gewesen, teilen Universität und Fachbereich der taz mit. Außerdem wird betont, dass der „Aufbau und die Entwicklung der Forschungsstelle NS-Pädagogik über viele Jahre mit beträchtlichen ideellen und finanziellen Mitteln unterstützt“ worden sei.

Benjamin Ortmeyer sieht das gänzlich anders. „Die beiden sind nicht zu ersetzen“, betont er im Hinblick auf Rheins und Kayas enorme fachliche Kenntnis. Der von der Universität angeführte Generationswechsel werde „faktisch rückgängig gemacht“, mit den beiden drohe die Uni kaum zu ersetzende Expertise und Forschungserfahrung zu verlieren – auch und gerade zur Erziehung nach Auschwitz in der Migrationsgesellschaft. Außerdem sei eine dauerhafte Perspektive für die beiden stets von der Universität in Aussicht gestellt worden.

Umfangreiche Materialsammlung

„Herrn Meseth unterstütze ich gerne, wo ich kann“, betont Ortmeyer im Gespräch mit der taz. Dennoch sei die Arbeit der Forschungsstelle nicht einfach zu ersetzen. Die Universität müsse ausreichend Gelder und Stellen zur Verfügung stellen, um die Forschung adäquat fortzuführen, statt sie wie zuvor von Drittmittelförderungen abhängig zu machen, auf die sie als Stiftungsuniversität oftmals angewiesen ist. „Und die bekommt man mit historischer Bildungsforschung offenbar nicht“, sagt Ortmeyer.

„Die historische Forschung zur konkreten Pädagogik in der NS-Zeit ist im Moment insgesamt nicht gut aufgestellt“, sagt auch Rhein. Der Fachbereich sei, wie so oft, unterfinanziert. Gerade junge Wis­sen­schaft­le­r:in­nen arbeiteten zumeist mit Zeitverträgen, unter prekären Bedingungen und in der steten Hoffnung auf eine dauerhafte und gesicherte Finanzierung. Das zeige sich gerade bei diesem Thema: „Wer sich nur mit der vermeintlich gelungenen Aufarbeitung der NS-Geschichte rühmt, die konkrete Forschung dazu jedoch nicht langfristig finanziert, kann sich die warmen Worte auch sparen“, so die Wissenschaftlerin.

Weiterhin ungeklärt ist auch, was mit der umfangreichen Materialsammlung der Forschungsstelle passiert. Rund 4.000 Bücher umfasst sie, „alles sauber sortiert und digitalisiert“, so Ortmeyer. Der Wissenschaftler bot der Universität zu seinem Ruhestand eine Schenkung an. Einzige Bedingung: Die Sammlung bleibt bei der Forschungsstelle. Auf der Schenkungsurkunde, die der taz vorliegt, fehlt bis heute die Unterschrift des Uni-Präsidenten. „Da wurde ich schon skeptisch“, sagt Ortmeyer.

Die Universität hingegen beteuert, dass man auf der Suche nach einem neuen Standort für die Sammlung sei. Der angedachte Raum komme nun doch nicht infrage, die Statik trage die Masse an Büchern nicht.

Adorno als Aushängeschild

Ob die Forschungsstelle der Uni zu unbequem ist? Insbesondere Ortmeyer erinnerte immer wieder an die nationalsozialistische Geschichte des Campus und der Uni, die heute zum Teil im ehemaligen Gebäude des Chemiekonzerns I.G. Farben untergebracht ist.

Zudem kritisierte Ortmeyer etwa zum 100-jährigen Jubiläum der Uni im Jahr 2014, jene würde nicht gut genug an die eigene Verstrickung im Nationalsozialismus erinnern, etwa an die Promotion des SS-Lagerarztes Josef Mengele in Frankfurt. 2018 kritisierte Ortmeyer die Benennung eines Raums nach dem Industriellen Adolf Messer, der auch Mitglied der ­NSDAP war, von Rüstungsaufträgen profitierte und Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen einsetzte. Nach langem Streit wurde der Name schließlich geändert.

„Adorno dient als Aushängeschild“, so Ortmeyer. So sind die Straßen rund um die Universität mittlerweile etwa nach den Philosophen der Frankfurter Schule benannt. „Aber es läuft darauf hinaus, dass die Uni die Gesellschaftskritik nicht mehr als Grundlage haben möchte.“ Dem stimmt auch Rhein zu: „Mit dem Wegfall der Forschungsstelle bricht auch eine inhaltliche Traditionslinie ab.“

Auf eine Lösung des Konflikts und eine Perspektive der Forschungsstelle in Frankfurt hofft der Wissenschaftler Ortmeyer dennoch weiterhin. Ansonsten, sagt er, müsse leider eben ein neuer Standort gefunden werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.