Neuer Vorlesungskatalog der Goethe-Uni: NS-Pädagogik gestrichen

An der Uni Frankfurt sollen Einführungsseminare zur NS-Pädagogik aus dem Veranstaltungskatalog verschwinden. Dagegen regt sich Kritik.

Eine Schulklasse zur NS-Zeit. Ein Schüler steht vor einer Tafel, auf der ein Davidstern zu sehen ist.

Eine deutsche Schule zur NS-Zeit: Unterricht in Rassismus und Antisemitismus. Foto: imago/United Archives International

Wie wurden Schüler während der Nazidiktatur pädagogisch indoktriniert? Und welche Lehren ziehen LehrerInnen heute daraus – wie halten sie dagegen, wenn Schüler sich untereinander als „Spasti“ oder „Jude“ beschimpfen? Themen, die der Frankfurter Professor Benjamin Ortmeyer in seinen Vorlesungen mit angehenden LehrerInnen und Erziehungswissenschaftlern diskutierte.

„Die Vorlesungen waren immer gut besucht. Er hätte die Veranstaltung auch zwei- oder dreimal anbieten können“, berichtet Daniel Katzenmaier, der Erziehungswissenschaften studiert und Mitglied im Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) ist.

Doch ab Herbst werden in Frankfurt vermutlich nicht mehr, sondern weniger Studierende über NS-Pädagogik debattieren. Der Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität hat im Einvernehmen mit der für Lehrerbildung zuständigen Akademie für Bildungsforschung die Einführungsvorlesung zum kommenden Semester aus dem Curriculum der Lehramtsstudierenden genommen. Und zwar aus pragmatischen Gründen.

„Wir wollen die Menge an Vorlesungen reduzieren und den Studienbeginn besser und klarer strukturieren“, begründet die Dekanin des Fachbereichs, Diemut Kucharz, die Streichung gegenüber der taz. „Deshalb bieten wir einführende Überblicksvorlesungen etwa zur Geschichte der Erziehung an.“ Die NS-Pädagogik als eigenes spezifisches Thema werde Herr Ortmeyer in Vertiefungsseminaren anbieten. Allerdings fasst so ein Seminarraum nur 60 Leute und keine 200 wie ein Auditorium.

Enttäuschung und Kritik

Publizist Micha Brumlik hatte die Pläne bereits in der taz vom 7. Juli scharf kritisiert: „Offenbar gehören nach Ansicht des Fachbereichs Kenntnisse der Geschichte der Pädagogik und der NS-Zeit nicht zu den professionellen Qualifikationen von Lehrerinnen und Lehrern.“

Brumlik leitete bis zu seiner Emeritierung die Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Uni Frankfurt gemeinsam mit Ortmeyer. Nun ist er enttäuscht über seinen ehemaligen Arbeitgeber. Die Uni, die noch vor kurzem Straßen ihres neuen Campus nach Theodor W. Adorno benannte, welcher einst für eine Erziehung nach Auschwitz plädiert hatte, solle aufhören, sich mit Adornos Namen zu schmücken.

Der Fachbereich und die Akademie für Lehrerbildung veröffentlichten nach Brumliks Kritik am Donnerstag eine Erklärung, in der sie auf die Kultusministerkonferenz verwiesen. Die Länder haben vereinbart, dass zum Themenkanon zukünftiger Lehrer das Unterrichten, Erziehen, Diagnostizieren und die Schulentwicklung gehören. „Einführende Vorlesungen gibt es daher zu diesen Kompetenzfeldern, nicht aber zu Spezialthemen“, schreiben die Akademie und der Fachbereich. Daher finde man einführende Vorlesungen zum Thema NS-Pädagogik weder in Frankfurt noch woanders im Pflichtbereich.

„Eine vergleichbare Veranstaltung gibt es nicht“

Ortmeyer, der sich in eigener Sache zurückhaltend äußert, springt beim Wort „Spezialthema“ aus der Deckung. „Die Erziehung nach Auschwitz ist kein Spezialthema. Das geht alle an“, sagt er der taz.

Dieser Meinung sind auch die Studierenden. „Der Fachbereich Erziehungswissenschaften ist sich seiner gesellschaftlichen und politischen Bedeutung nicht bewusst“, erklären der AStA und die Fachschaft. Sie fordern, die Veranstaltungen zur NS-Pädagogik zum festen Bestandteil des Lehramtsstudiums zu machen. „Eine vergleichbare Veranstaltung gibt es sonst nicht“, sagt Student Katzenmaier.

Doch die Zukunft des Lehrstuhls ist ungewiss. Die Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Uni Frankfurt wird nicht aus dem Grundetat der Universität, sondern mit zusätzlich eingeworbenen Forschungsgeldern, sogenannten Drittmitteln, finanziert. Noch bis März wird die Arbeit von Ortmeyer und seiner vier Mitarbeiter von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hans-Böckler-Stiftung bezahlt. Ortmeyer selbst hat zwar eine feste Stelle an der Uni, doch 2018 wird er pensioniert. „Wir lassen die Forschungsstelle gerade evaluieren und werden dann sondieren, wie sie gerettet werden kann“, sagt Kucharz.

Benjamin Ortmeyer will seine Vorlesung im Wintersemester dennoch anbieten, obwohl er weiß, dass Lehramtsstudierende den Besuch dann nicht in Leistungspunkte ummünzen und für ihr Studium anrechnen lassen könnten. „Ich will einfach mal sehen, was passiert“, sagt er.

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