Nationaler Volkskongress in China: Krisenstimmung, auch ohne Streit
Zu Beginn der Jahrestagung des Volkskongresses ist Chinas Führung so nervös wie lange nicht mehr. Denn die Wirtschaft schwächelt.
Wegen des „turbulenten, komplexen und heiklen Umfelds“ für Chinas Wirtschaft sei derzeit höchste Wachsamkeit geboten, mahnte Staats- und Parteichef Xi Jinping vor Beginn des Volkskongresses. Er warnte die Kommunistische Partei vor „Nachlässigkeit, Inkompetenz und der Gefahr, sich zu weit vom Volk zu entfernen“.
Offiziell ist der Volkskongress Chinas höchstes Organ. In der Realität nicken die Delegierten auf ihrer jährlichen Tagung lediglich die Entwürfe ab, die die kommunistische Führung ihnen vorlegt. Trotzdem handelt es sich um das wichtigste politische Ereignis in China. Denn die Führung legt in den zwei Wochen die zentralen Themen für das laufende Jahr fest. Und 2019 droht für das Reich der Mitte ein äußerst schwieriges Jahr zu werden.
Den Auftakt wird am Dienstag Ministerpräsident Li Keqiang mit seinem Rechenschaftsbericht bestreiten. Schon vorab gilt als gesichert, dass er ein niedrigeres Wachstum für sein Land vorgeben wird. Im Vorjahr hatte Li „rund 6,5 Prozent“ als Ziel für 2018 genannt, am Ende wurden 6,6 Prozent erreicht. Es war bereits das langsamste Wachstum seit fast drei Jahrzehnten. Aus chinesischen Regierungskreisen heißt es nun, 2019 werde Li nur noch eine Wachstumsspanne zwischen 6 und 6,5 Prozent ausgeben.
Wachstum nur halb so groß?
Eine 6 vor dem Komma beim Wirtschaftswachstum würde in Europa Freudentaumel auslösen. Nicht jedoch in China. Denn der Bedarf nach zusätzlichen Arbeitsplätzen ist in vielen Landesteilen nach wie vor groß, der Grundbedarf für viele noch immer nicht gedeckt. Unabhängige Wirtschaftsexperten vermuten zudem, dass in schlechteren Zeiten die Zahlen in China geschönt werden.
Andere Kerndaten sehen alles andere als rosig aus. Der Einkaufsindex ist zurückgegangen. Der Konsum schwächelt. Viele Exportunternehmen berichten von massiven Umsatzeinbrüchen. Der seit über einem Jahr anhaltende Handelsstreit mit den USA hat der chinesischen Wirtschaft zuletzt mehr geschadet, als die Führung in Peking zugibt.
Schon vor dem chinesischen Neujahrsfest Anfang Februar schickten Unternehmer viele Wanderarbeiter früher in die Ferien. Viele von ihnen sind in ihren Heimatdörfern geblieben, weil es nicht mehr genug Jobs in den Städten gibt.
Einige Experten spekulieren daher, dass das Wirtschaftswachstum in Wahrheit nur halb so groß sei. Ein Wachstum von unter 6 Prozent wird die Regierung jedoch nicht zugeben, vermutet Lu Zhengwei, Chefvolkswirt der Industrial Bank, „weil sie Angst davor hat, den Abwärtstrend ansonsten nicht aufhalten zu können.“
Ein Treffen auf dem Privatanwesen
Dabei sieht es so aus, als ob sich China und die USA in dem seit einem Jahr tobenden Handelsstreit bald einigen könnten. Sowohl von US-Seite als auch aus China verlautete zuletzt, man habe sich in den Verhandlungen angenähert. Die US-Seite äußerte sich am Sonntag positiv über den Verlauf. Am Montag verkündete auch die chinesische Regierung, dass es „substanzielle Fortschritte“ gebe.
Das Wall Street Journal berichtet, noch im März soll es auf Trumps Privatanwesen in Florida zu einem Gipfel von US-Präsident Donald Trump mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping kommen, um den Streit offiziell beizulegen. Doch auch ohne Handelskonflikt ist deutlich geworden, dass Chinas bisheriges Wirtschaftsmodell an seine Grenzen stößt. Massive Investitionen der Staatsunternehmen, die das Wachstum die letzten Jahre befeuert haben, scheinen ihre Wirkung zu verlieren.
Zugleich haben die Schulden exorbitante Höhen erreicht. Lag die Gesamtverschuldung 2008 noch bei 170 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, liegt sie nun bei über 300 Prozent. Trotzdem geht das Wachstum zurück. Denn vielerorts gibt es bereits ausreichend Schienen, Straßen und Hochhäuser. In ganzen Branchen herrschen Überkapazitäten.
Eine Bewegung für Demokratie
Doch nicht nur die Schwächen in der Wirtschaft machen die chinesische Führung nervös. Sie will im Oktober das 70-jährige Bestehen der Volksrepublik feiern. Die nächsten Monate werden allerdings von einer Reihe weiterer Jahrestage überschattet, die ihr nicht genehm sind. 2019 jährt sich zum 100. Mal die sogenannte 4.-Mai-Bewegung, Chinas erste Demokratiebewegung. Ebenfalls jähren sich die Niederschlagung der Tibet-Proteste vor 60 Jahren und die blutige Niederschlagung der Tiananmen-Proteste vor 30 Jahren.
Die massiven Sicherheitsvorkehrungen in Peking dürften daher auch nach dem Volkskongress anhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht