Naomi Klein über die Klimakrise: „Beginn der Ära der Klimabarbarei“
Was kann man tun, um den Klimawandel zu stoppen? Nichts, sagt die Autorin Naomi Klein. In ihrem neuen Buch sucht sie dennoch nach Lösungen.
taz: Frau Klein, warum veröffentlichen Sie dieses Buch gerade jetzt?
Naomi Klein: Die Art und Weise, wie wir über den Klimawandel sprechen, ist oft zu kleinteilig und zu ignorant gegenüber den anderen Krisen, mit denen wir konfrontiert sind. Das große Thema, das sich durch dieses Buch zieht, ist der Zusammenhang zwischen der wachsenden Krise der white supremacy, den verschiedenen Formen des Nationalismus, der Tatsache, dass so viele Menschen aus ihren Heimatländern vertrieben werden, und dem Krieg, der um unsere Aufmerksamkeitsspanne geführt wird. Diese Krisen überschneiden sich und sind miteinander verbunden. Und so müssten auch die Lösungen sein.
Das Buch versammelt Essays aus den letzten zehn Jahren. Denken Sie heute über manche Fragen anders?
Ich denke heute, dass ich der Herausforderung des Klimawandels für die Linke nicht genug Nachdruck verliehen habe. Es ist offensichtlicher, wie die Klimakrise eine rechtsgerichtete Weltanschauung und den Kult des Zentrismus herausfordert, der nie etwas Großes verändern will, sondern immer versucht, sich auf halbem Wege entgegenzukommen. Aber eine linke Weltanschauung, die im Wesentlichen nur daran interessiert ist, die Verheerungen des Extraktivismus, also des Prozesses der Entnahme natürlicher Ressourcen aus der Erde, anders zu verteilen, wird auch neu gefordert, da sie die realen Grenzen unseres endlosen Konsums bisher genauso wenig in ihre Rechnung einbezieht.
Was hält die Linke davon ab, diese Herausforderung anzunehmen?
Im nordamerikanischen Kontext ist es das größte Tabu, zuzugeben, dass es tatsächlich Grenzen geben wird. Das trifft den amerikanischen Traum mitten ins Herz. Jede Generation soll mehr bekommen als die vorangegangene, es gibt immer eine neue Grenze, die man erobern kann – das ist die Grundidee von Kolonialnationen, von Siedlernationen wie der unseren. Wenn nun jemand kommt und sagt, dass es Grenzen gibt, die nicht zu verändern sind, dass wir einige schwierige Entscheidungen treffen müssen, wie wir mit dem, was noch übrig ist, umgehen, dass wir gerecht teilen müssen – nun, das wird psychologisch als eine Attacke empfunden.
Das wollte die Linke vermeiden: Nein, wir werden euch eure Sachen nicht wegnehmen, es wird auch viele Vorteile geben. Und es stimmt ja: Wir werden lebenswertere Städte haben, die Luft wird weniger verschmutzt sein, wir werden weniger Zeit im Verkehrsstau verbringen, wir können ein glücklicheres und reicheres Leben gestalten. Aber wir werden verzichten müssen auf unseren endlosen Wegwerfkonsum. Was mich wirklich erschreckt, ist das, was an unseren Grenzen in Europa, Nordamerika und Australien passiert.
Es ist kein Zufall, dass die Länder, die der Motor dieses Kolonialismus sind, dabei an vorderster Front stehen. Wir erleben heute die Anfänge einer Ära der Klimabarbarei, wir haben das in Christchurch und in El Paso gesehen, wo die Gewalt von weißen Suprematisten sich mit einem bösartigen Rassismus verbunden hat.
Das ist einer der erschreckendsten Abschnitte Ihres Buches. Diese Verknüpfung haben viele Menschen noch nicht wahrgenommen.
Dieses Muster ist aber seit einiger Zeit klar. Das Zeitalter des wissenschaftlichen Rassismus beginnt analog zum transatlantischen Sklavenhandel und es liefert eine rationale Begründung für diese Brutalität. Wenn wir auf den Klimawandel reagieren wollen, indem wir Festungen aus unseren Grenzen machen, dann werden natürlich genau die Theorien zurückkehren, die so etwas rechtfertigen und solche Hierarchien zwischen Menschen erst schaffen. Dafür gibt es schon seit Jahren Anzeichen, jetzt ist es nur schwieriger zu leugnen, weil es Mörder gibt, die das von den Dächern schreien.
Sie schreiben: „Die Antwort auf die Frage ‚Was kann ich als Individuum tun, um den Klimawandel zu stoppen?‘ lautet: Nichts. Das ist die harte Wahrheit.“ Glauben Sie das immer noch?
In der CO2-Frage werden sich die individuellen Entscheidungen, die wir treffen, nicht annähernd zu dem Ausmaß an Veränderung summieren, das wir brauchen. Dass es für so viele Menschen so viel angenehmer ist, über unseren eigenen persönlichen Konsum zu sprechen als über systemrelevante Veränderungen, ist ein Produkt des Neoliberalismus. Wir wurden darauf trainiert, uns zuerst als Verbraucher zu sehen und sehr klein zu denken. Wenn wir historische Analogien wie den New Deal oder den Marshallplan aufgreifen, versetzt uns das in eine Zeit, in der wir uns Veränderungen in diesem Ausmaß noch vorstellen konnten. Deshalb ist es so wichtig, dass Greta Thunberg sich selbst zu einem lebenden Ausnahmezustand gemacht hat.
Sie segelte mit einer Zero Carbon Yacht zum UN-Klimagipfel nach New York.
Jahrgang 1970, feierte ihren Durchbruch 2000 mit dem internationalen Bestseller No Logo! über die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken Südostasiens. Naomi Klein schreibt und berichtet regelmäßig für CNN, BBC und die Washington Post. Gerade ist ihr neues Buch „On Fire. The (Burning) Case for a Green New Deal“ im englischen Original erschienen, 320 Seiten.
Genau. Aber es geht nicht darum, was Greta als Einzelperson tut. Es geht darum, welche Nachrichten Greta auslöst durch die Entscheidungen, die sie als Aktivistin trifft, und ich respektiere das absolut. Ich finde es großartig. Sie nutzt die Macht, die sie hat, um zu verbreiten, dass wir auf den Katastrophenfall zusteuern. Sie versucht, Politiker dazu zu inspirieren, diesen Notfall entsprechend zu behandeln. Wir müssen unsere eigenen Entscheidungen und Verhaltensweisen hinterfragen, aber man kann die individuellen Entscheidungen auch überbetonen. Ich treffe Entscheidungen für mein eigenes Leben, aber ich mache mir keinerlei Illusionen darüber, dass diese Entscheidungen die große Veränderung bringen werden.
Sie empfehlen immer wieder Richard Powers Roman „Wurzeln des Lebens“. Warum?
Powers schreibt darüber, dass Bäume in Gemeinschaften leben, miteinander kommunizieren und gemeinsam planen und reagieren. Wir haben uns ein völlig falsches Konzept vom Leben der Bäume gemacht. Es geht um das gleiche Thema, über das wir gerade gesprochen haben: Lösen wir diese Krise als Einzelperson oder wollen wir den kollektiven Organismus retten? Es kommt selten vor, dass ein guter Romanautor Aktivisten aufwertet, ihnen mit echtem Respekt begegnet, auch ihre Misserfolge und den Heroismus anerkennt, mit dem sie ihren eigenen Körper aufs Spiel setzen.
In diesen Tagen dreht sich alles ums Klima. Aus dem einsamen Protest von Greta Thunberg in Stockholm ist eine globale Bewegung geworden. Sie ruft zum weltweiten Streik auf. Am 20. September protestiert „Fridays For Future“ in 400 deutschen Städten, weltweit soll es 2.000 Aktionen in 120 Ländern geben. Gleichzeitig stellt die Bundesregierung die Weichen für eine strengere Klimapolitik.
Die taz ist Teil der Kampagne „Covering Climate Now“. Mehr als 200 Medien weltweit setzen bis zum UN-Klimagipfel vom 21. bis 23. September in New York gemeinsam genau ein Thema: Klima, Klima, Klima.
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Was haben die Aktivisten von Extinction Rebellion Ihrer Meinung nach erreicht?
Sie haben es geschafft, aus einem Kampagnenmodell auszubrechen, in dem wir lange gefangen waren – wo Sie jemandem etwas wirklich Beängstigendes erzählen, die Person dann bitten, auf einen Link zu klicken, um etwas dagegen zu tun. Dabei haben wir aber die ganze Phase ausgelassen, in der wir zusammen trauern und verarbeiten, was wir gesehen haben.
Sie sprechen in Ihrem Buch auch über Durchhaltevermögen. Wie schaffen Sie persönlich das? Haben Sie noch Hoffnung?
Das ist kompliziert. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht Momente habe, in denen ich schiere Panik und blankes Grauen empfinde und der festen Überzeugung bin, dass wir zum Untergang verurteilt sind. Aus diesen Gefühlen versuche ich mich wieder zu befreien. Ich fühle mich regeneriert durch die neue Generation, weil sie so entschlossen und kraftvoll ist. Mich inspiriert ihre Bereitschaft, sich bei den Wahlen zu engagieren, weil meine Generation immer den Verdacht hatte, wir machen uns mit Wahlpolitik nur die Hände schmutzig; so haben wir viele Möglichkeiten verpasst.
Im Moment gibt es mir Hoffnung, dass wir endlich die Vision für das haben, was wir wollen, zumindest den ersten groben Entwurf. Das erlebe ich zum ersten Mal in meinem Leben. Hinzu kommt: Ich habe einen siebenjährigen Sohn, der ganz verliebt ist in die Natur. Wir haben gerade einen ganzen Sommer über die Rolle des Lachses für die Ernährung der Wälder gesprochen, der Wälder, in denen er geboren wurde, in British Columbia – wie die Gesundheit der Bäume, des Bodens, der Bären und der Orcas in diesem ganzen fantastischen Ökosystem zusammenhängt.
Orte des Klimawandels
Und dann denke ich darüber nach, wie es wäre, wenn ich ihm sagen müsste, dass es keine Lachse mehr gibt … das bringt mich um. Das motiviert mich. Und es erschlägt mich.
Aus dem Englischen von Gaby Sohl
Diese Geschichte erschien ursprünglich im Guardian und wird hier im Rahmen der Partnerschaft der taz mit Covering Climate Now, einer globalen Zusammenarbeit von mehr als 250 Nachrichtenagenturen, erneut veröffentlicht, um die Berichterstattung über die Klimastory zu verstärken.
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