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Nakba-Tag in BerlinPolizei erdrückt Gedenken

Mit massivem Aufgebot verhindert die Polizei, dass die Nakba-Gedenkdemo am Südstern losläuft. Dort wird die deutsche Unterstützung für Israel angeklagt.

Die Polizei fährt Wasserwerfer gegen Palästinasolidarität auf Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Palästina-solidarische Demonstrationen gleichen inzwischen einer sich stets wiederholenden, einstudierten Choreografie. Um halb 8 Uhr abends harren immer noch einige Hundert überwiegend junge Protestierende am Südstern aus, dem Startpunkt der Gedenkdemo an die palästinensische Nakba, also die Flucht und Vertreibung von Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948. Ungebrochen laut klatschen sie stoisch im immergleichen Rhythmus in ihre Hände und rufen „Gaza“ – während sich im Hintergrund schon wieder die Festnahmeeinheiten der Polizei positionieren.

Seit über dreieinhalb Stunden sind die De­mons­tran­t:in­nen nun schon hier. Nicht loslaufen konnten sie, weil die Polizei eine Laufdemo untersagt hatte, wie es inzwischen gängige Praxis bei propalästinensischen Demonstrationen ist. Zwar klagten die Demo-Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen dagegen am Donnerstag erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht – die Polizei legte jedoch Beschwerde ein, der das Oberverwaltungsgericht schließlich stattgab.

Am Südstern hat die Polizei deshalb die Straßen in jede Richtung gesperrt und gegittert. Zwei Wasserwerfer und 600 Po­li­zis­t:in­nen fuhr die Polizei auf, um die in der Spitze nach Polizeiangaben 1.100 Teil­neh­me­r:in­nen der Demo in Schach zu halten – immerhin eine 1:2-Betreuung.

Ein Frontblock stellt sich trotzdem auf. Rote Hammer-und-Sichel-Schals prägen die ersten Reihen, dahinter stehen junge Studierende, in Kufiyas gehüllt. Um einzelne Personen zu verhaften, stürmt die Polizei immer wieder den Block – und schlägt dabei teils heftig in Gesichter der Demonstrierenden. Die werfen Plastikflaschen, haken sich ein, wehren sich mit Fahnenstangen – über eine Stunde geht das so. Immer wieder schallt der Ruf nach den „Sanis“ über den Südstern, die Protestierende am Straßenrand verarzten.

Die Polizei spricht von 50 Festnahmen und zehn verletzten Polizist:innen, einer davon schwer. Ein Beamter sei in die Menge hineingerissen und niedergetrampelt worden, so die Polizei.

„From the river to the sea“-Rufe

Anlass für das Einschreiten der Polizei dürfte wohl sein, dass zumindest im Frontblock konsequent „From the river to the sea“ skandiert wird – ein Spruch, den die Berliner Polizei als strafbar wertet. Ein Redner forderte den Stopp aller militärischer und finanzieller Unterstützung für Israel, das Ende von Abschiebungen und der Kriminalisierung von Palästinasolidarität, ein Rückkehrrecht für alle 1948 vertriebenen Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen – sowie ein freies Palästina „auf seinem gesamten historischen Gebiet“. Was genau damit gemeint ist, bleibt offen.

„Wegen der Blockade Israels stehen laut den Vereinten Nationen in Gaza 600.000 Menschen vor dem Hungertod“, sagte am Rande der Demo eine Aktivistin von Shut Elbit Down der taz, einer Initiative, die sich gegen die israelische Waffenfirma Elbit richtet. Die Firma hat Standorte in Ulm, Koblenz und Berlin, arbeitet eng mit deutschen Rüstungskonzernen zusammen – und profitiere laut Initiative auch von dem neuen Sondervermögen für Militärausgaben.

In Redebeiträgen wird die Geschichte der Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen ab 1948 als die einer andauernden Vertreibung beschrieben. „Die Nakba ist eine fortlaufende Kampagne der ethnischen Säuberung, die nie aufgehört hat“, ruft ein Redner auf Englisch ins Mikrofon.

Seit dem 7. Oktober habe sich diese Vertreibung in Gaza in einen offenen Genozid gewandelt, den Deutschland unterstütze. „Aber die Palästinenser weigern sich, ausgelöscht zu werden. Und solange Palästinenser Widerstand leisten, ist die Nakba nicht das Ende der Geschichte!“, sagt der Redner.

Auf der anderen Straßenseite des Südsterns hat man eine andere Perspektive auf den Nahostkonflikt. Hier haben sich 30 Personen zum Gegenprotest versammelt, sie tragen Israelflaggen und wollen, dass das „Paliwashing“ von Antisemismus aufhört. „Was sie sich als Befreiung erträumen, ist in Wahrheit nur die blutrünstige Auslöschung Israels!“, ruft ein Redner. Auf die Frage, ob er nicht verstehen könne, dass Leute gegen den Krieg in Gaza auf die Straße gehen, sagt ein Protestierender: „Was die da drüben sagen, ist mir völlig egal. Ich unterscheide schon längst nicht mehr zwischen denen und jedem beliebigen Dorfnazi.“

Der Text wurde am 16.5. um 10:30 Uhr aktualisiert.

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8 Kommentare

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  • Bedauerlicherweise wird die Polizei zum Buhmann gemacht. Die Begehung von Straftaten war absehbar, weshalb das Gericht entspchend entschieden hat. Und prompt kam es dann auch zu vermeintlichen Straftaten.

    Wenn jemand ein Gedenken erdrückt, dann waren das wohl die Straftäter.

    • @DiMa:

      Bedauerlicherweise geben die Behörden kein gutes Bild ab. Sie machen sich selber zum Buhmann bzw werden durch Politiker die sich hinter ihnen verstecken zu diesem befördert.

      Außerdem schafft es die Polizei nicht, gemäßigt die berechtigten Demonstrationen zu begleiten und zu schützen.

      So viele Verletzte und Hunderte Anzeigen, die niemandem etwas bringen – höchstens einer Daseinsberechtigung von sesselpupsenden Büropolizisten, die diese bearbeiten müssen und größtenteils liegen lassen, wohlwissend, dass diese vor keinem Widerspruch standhalten werden.

      Würde wahrscheinlich alles viel entspannter laufen, wenn deeskalierende Politik gefahren würde, statt die Polizei dazu zu nutzen, Proteste im Keim zu ersticken.

      Geldverschwendung – und dabei vergesse ich gerade nur das ganze Menschenverachtende in diesen Momenten.

      • @Schade Schokolade:

        Wenn aus einer Demo heraus Straftaten begangen werden, dann ist es vorbei mit der Demo. Da gibt es dann keine Gemäßigten mehr.

  • Ginge es um Gedenken wäre das Vorgehen der Polizei wahrscheinlich zu kritisieren.



    Da aber auf Pro-Palästinenser-Demos inzwischen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Hamas-Terror verherrlicht, Antisemitismus offen gezeigt und zur Gewalt nicht nur gegen Israel sondern gegen Juden weltweit aufgerufen wird, erscheint mir das Vorgehen der Polizei noch sehr zurückhaltend.

    Ich finde es unerträglich, wie aggressiv auf deutschen Straßen 80 Jahre nach Kriegsende gegen Israel und Juden wieder gehetzt werden darf, zumal ja Kritik an der israelischen Regierung und dem Vorgehen in Gaza absolut erlaubt ist, auch wenn diese Leute nicht müde werden, zu behaupten, man dürfe Israel nicht kritisieren. Das ist nichts anderes als das typische Gequatsche von der anderen Seite, man dürfe nichts mehr sagen.

    Besonders beschämend finde ich das Verhalten deutscher Linker, die auf der einen Seite immer rufen "Nie wieder ist jetzt", sich aber mit Islamisten gemein machen, wenn es gegen Israel geht.

  • From the river to the sea rufe...

    sowie ein freies Palästina „auf seinem gesamten historischen Gebiet“. Was genau damit gemeint ist, bleibt offen.

    Nein, es bleibt nicht offen. Oder nur wenn man sehr naiv ist. Es bedeutet die Auslöschung des einzigen jüdischen Staates auf der Welt!

    Über 2 Millionen Araber leben in Israel. Ca. 20% der Menschen in Israel sind Muslime. Wie viele Juden oder Christen leben unter der Hamas in Gaza. Auch vor dem Krieg?

    Krieg ist zu verurteilen. Aber einseitige Terrordemos die zur Auslöschung Israels aufrufen eben auch.

    • @Pawelko:

      "Wie viele Juden oder Christen leben unter der Hamas in Gaza."



      Ja, die Hamas stellt dort eine Terrorherrschaft.



      Bleibt andersrum abzuwarten, wieviele Palästinenser noch in Gaza leben werden, wenn Netanjahu dort fertig ist. Oder Trump. Wohin sollen die noch gleich vertrieben werden? Von der durch Israel gewchaffenen Apartheid im WJL sprechen wir sicher ein anderes Mal. Ist jedenfalls nicht alles so schön Multikulti, was Israel unterstellt ist, wie Sie es hier zeichnen möchten.

  • Herzliche Besserung dem Polizisten der von den Demonstraten zusammengetreten wurde!

  • Eines stimmt: Am siebten Oktober hat sich der lange schwelende Konflikt in einem offenen Genozid verwandelt. Der fast erfolgreiche Versuch, in Berlin einen Polizisten totzuprügeln (so heute morgen im WDR), ist Ihnen keine Erwähnung wert.