Nahverkehr in Hamburg: Naturschutzverbände kritisieren S-Bahn-Ausbau
Vereine fordern, die geplante Verbindung nach Bad Oldesloe in Hamburg enden zu lassen. Eine Weiterführung bringe wenig und richte Schaden an.

Die Strecke Richtung Nordosten vom Hauptbahnhof nach Rahlstedt und darüber hinaus ist schon lange ein Thema im Hamburger Nahverkehr. Die Linie, die früher S4 tituliert wurde, war nie eine S-Bahn, sondern ein störungsanfälliger Bummelzug – ein dauerhaftes Ärgernis vor allem für Pendler. Heute verkehren Regionalexpresse und -bahnen in Abständen von bisweilen auch mal unter zehn Minuten, allerdings nur mit wenigen Haltepunkten.
Die Deutsche Bahn verspricht mit dem Bau zweier zusätzlicher Gleise extra für eine tatsächliche S-Bahn einen zuverlässigeren Verkehr, kürzere Taktzeiten und weniger volle Züge. Weil es mehr Zwischenhalte geben soll, müssen Fahrgäste nicht bis zum Hauptbahnhof durchfahren, um auf andere Linien umsteigen zu können, was den am Limit befindlichen Hauptbahnhof entlaste. Im Hauptbahnhof entlaste sie den Fernverkehr zusätzlich, weil sie an eigenen Bahnsteigen halte.
Zweifel am Versprechen der Bahn
Die Naturschutzvereine, darunter der Nabu und der BUND, um die bekanntesten zu nennen, bezweifeln das Versprechen von mehr Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Sie verweisen darauf, dass sich nach den Plänen der Bahn nach wie vor der Nah- und der Fernverkehr an manchen Stellen in die Quere kommen würden, so dass Verspätungen programmiert seien.
„Die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs in und um Hamburg wird von allen unterzeichnenden Verbänden grundsätzlich unterstützt“, versichern die Verfasser am Anfang ihrer Erklärung. Ein Bau der S4 bis Rahlstedt werde sicher eine spürbare Verbesserung bringen. Darüber hinaus stehe allerdings der Nutzen in keinem vertretbaren Verhältnis zum Nutzen.
Das liegt auch daran, dass der Schaden groß wäre, weil die Bahnstrecke durch das Stellmoorer-Ahrensburger Tunneltal führt – eine besondere geologische Formation, die sich als eine der wenigen aus der jüngsten Eiszeit erhalten hat. Hier gibt es nach der europäische Flora-Fauna-Habitat(FFH-)Richtlinie geschützte Naturschutzgebiete.
Dort haben Archäologen aber auch die Spuren eiszeitlicher Rentierjägerkulturen gefunden – unter anderem die ältesten vollständig erhaltenen Pfeile der Menschheit, hergestellt vor rund 12.000 Jahren. Die Verbände weisen darauf hin, dass im Projektgebiet ungewöhnlich viele Hinterlassenschaften von Rentierjägerkulturen aus der Zeit von 15.000 bis 12.000 vor Christus zu finden seien – ein Potenzial, dass es zu schützen gelte.
Das Tunneltal selbst wiederum zeichne sich durch seine besondere Geologie und auch den damit verbundenen ökologischen Reichtum aus. „Feuchtwiesen, Hochmoorreste, Magerrasen oder Bruchwälder grenzen hier unmittelbar aneinander und bieten so sehr unterschiedlichen Tier- und Pflanzengesellschaften einen Lebensraum“, schreiben die Naturschützer. Besonders herauszuheben sei der streng geschützte Kammmolch.
Die Arbeitsgemeinschaft Naturschutz Hamburg befürchtet, dass eine Verdoppelung der Bahntrasse dieses Gebiet stark beeinträchtigen könnte. „Eine breitere Trasse wird eine viel stärkere Zerschneidungswirkung haben“, sagt Horst Bertram vom Botanischen Verein Hamburg. Es wäre für viele Tiere beinahe unmöglich, die Trasse zu passieren, was den Genaustausch links und rechts der Trasse unterbinde. Zudem sei auch damit zu rechnen, dass die Bauarbeiten das Gebiet stark störten.
Wegen der „erheblichen Beeinträchtigungen der Gebiete in ihren für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen“ müsse die Bahn für das Projekt eine Ausnahmegenehmigung nach dem Bundesnaturschutzgesetz beantragen, fordern die Verbände. Dann nämlich müsste die Bahn nachweisen, dass ihr Vorhaben aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses tatsächlich notwendig ist.
Wie viele Menschen die S4 künftig nutzen werden, kann die Bahn auf Anfrage nicht sagen. Sie verweist aber auf ein Potenzial von 250.000 Menschen, die in der Region lebten. 96.000 davon leben allerdings schon in Rahlstedt.
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