Nager IT gibt Maus ab: Neues Zuhause für die faire Computermaus
Die Zukunft des fair produzierten Elektrogeräts stand auf der Kippe – nun zeichnet sich eine Lösung ab. Trotzdem steht die Produktion in der Kritik.
Die faire Maus, eines der wenigen fair produzierten Elektronikprodukte, steht vor einer Übernahme. Die Gründerin des Projekts, Susanne Jordan, übergibt den Betrieb an einen neuen Verein. Der Grund: „Das Projekt war ursprünglich nur für zwei, drei Jahre geplant. Zwischendurch waren wir ein Team, inzwischen bin wieder alleine“, erzählt Jordan. „Die faire IT braucht eine größere Lobby.“ Der Verein „Fair IT yourself“ übernimmt die faire Maus aus den Händen des Vereins „Nager IT“.
Susanne Jordan hatte die faire Maus selbst entwickelt und den Verein Nager IT gegründet, der die Maus 2012 auf den Markt brachte. Die Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette hat sie selbstständig verfolgt und auf der Vereinswebsite veröffentlicht, soweit es ihr gelang, Kontakt zu Vorlieferanten aufzunehmen. Für einen kleinen Verein sei das schwierig, sagt Jordan. Mehr als 100 Unternehmen sind laut der Website von Nager IT am Produktionsprozess beteiligt.
Bezöge man die komplette Lieferkette mit ein, „kann man unsere Maus mit gutem Gewissen als 2/3 fair bezeichnen“, heißt es auf der Website. Der Verein definiert als fair, was ohne Verletzung der Menschenrechte und ohne Ausbeutung auskommt, und orientiert sich dabei am Forderungskatalog der internationalen Arbeitsorganisation.
Nager IT hatte im Juni einen Aufruf gestartet, um Personen oder Organisationen für die Übernahme der fairen Maus zu finden. Es folgten mehrere Treffen, bis sich ein ehrenamtliches Kernteam von zehn Menschen fand, die dem Verein Fair IT yourself beitraten. Vorher bestand der Verein aus zwei Leuten, die darin seit 2020 Bildungsarbeit für faire IT betrieben.
Mehr faire, ergonomische und vertikale Mäuse
Unterschrieben sei noch nichts, erklärt Jordan. Momentan würden die rechtlichen Fragen der Übernahme geklärt, ergänzt Christoph Klassen, der für Fair IT yourself im Marketing tätig ist. Es gehe jedenfalls gemeinnützig weiter. Das neue Team will das Projekt größer aufziehen, zum Beispiel mit vertikalen und ergonomischen Mäusen oder weiteren fairen Elektronikprodukten. Marketing und Vertrieb sollen stärker im Fokus stehen, so Klassen. „Wir wollen auf Unternehmen zugehen und die Leute dort überzeugen, dass sie auf faire Produkte umsteigen.“
Susanne Jordan, Nager IT
Kosten verursacht für Fair IT yourself die Lagerübernahme: Da das Land Baden-Württemberg einen Großauftrag an Nager IT vergab, von dem es nur einen Teil abnahm, gebe es momentan einen Lagerbestand von rund 10.000 Mäusen, sagt Jordan. Dazu kommen gelagerte Bauteile wie zum Beispiel Gehäuseformen. Die beiden Vereine haben daher eine Kampagne gestartet, deren Ziel es ist, die Übernahmekosten von rund 80.000 Euro bis zum Ende des Jahres durch den Verkauf von 3.000 Mäusen zu finanzieren.
Das neue Team kommt aus der IT-Branche und will die Weiterentwicklung im Open-Source-Bereich stärken. Dafür hat es die Dateien der fairen Maus mit offenen Lizenzen auf der Plattform Codeberg veröffentlicht. Das solle Menschen ermutigen, ihre eigenen Ideen und Erfahrungen einzubringen, sagt Klassen.
Doch in der Tech-Szene gibt es auch kritische Stimmen, die bemängeln, dass die Maus in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gefertigt – und das als fair klassifiziert wird. Die Community habe die Problematik an Fair IT yourself herangetragen, sagt Klassen, der Verein werde sie nach der Übernahme angehen. Fair IT yourself nehme „Kritik von behinderten Personen bezüglich Integrationswerkstätten sehr ernst“, heißt es auf der Vereinswebsite.
Kooperation mit Heidelberger Werkstatt
Beschäftigte solcher Werkstätten befinden sich in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis, haben allerdings keine Arbeitnehmer*innenrechte wie Mindestlohn oder Streikrechte. Das Werkstattentgelt liegt im Bundesdurchschnitt monatlich bei 232 Euro, die meisten Beschäftigten sind auf Sozialleistungen angewiesen. Nach 20 Jahren steht ihnen eine Erwerbsminderungsrente zu. Die Vermittlung auf den regulären Arbeitsmarkt, das erklärte Ziel solcher Werkstätten, gelingt in weniger als einem Prozent der Fälle.
Nager IT kooperierte bislang mit einer Regensburger Integrationswerkstatt, die neue Partnerwerkstatt ist in Heidelberg. Das durchschnittliche Entgelt liege dort ebenfalls bei 232 Euro, sagt Wolfgang Thon, geschäftsführender Leiter der Heidelberger Werkstätten, doch „in anerkannten Werkstätten steht die Erwerbsarbeit nicht an erster Stelle“.
Während der fünfeinhalbstündigen Arbeitszeit pro Tag fänden auch arbeitsbegleitende Maßnahmen wie Schwimmen, Reiten und Malen statt, genauso wie Therapien, Weiterbildung und Persönlichkeitsförderung. „Viele sagen auch, ich fühle mich wohl und habe hier meine Freunde, ich will nicht in einen Betrieb“, so Thon.
Die Frage, ob eine Produktion in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung fair ist, ist auch deshalb schwer zu beantworten, weil die faire Maus kein klassisches Fairtrade-Produkt ist. Anders als beim blau-grün-schwarzen Fairtrade-Siegel, das man häufig im Supermarktregal findet, gibt es für faire IT bislang keine Organisation, die diesbezügliche Standards definiert.
Lange Lieferketten bei Elektronikprodukten
Die Länge der Lieferketten ist einer der Gründe dafür, warum faire Elektronikprodukte noch nicht so verbreitet sind, erklärt Stefan Seuring, Professor für Supply Chain Management an der Universität Kassel: „Kaffee und Schokolade sind landwirtschaftliche Produkte mit vergleichsweise kürzeren Lieferketten. Außerdem habe ich über lange Zeit ein relativ stabiles Produkt. Leute kaufen zehn Jahre lang die gleiche Sorte Kaffee.“
Im Elektronikbereich sei die Herausforderung, immer mit technologischen Innovationen mitzuhalten. Das sei bei der Maus, einem relativ stabilen Produkt, nicht so sehr der Fall, wohl aber bei fairen Smartphones wie dem Fair- oder Shiftphone. Die Stückzahlen solcher kleinen Produzenten sind laut Seuring zu niedrig, als dass es sich lohne, beispielsweise immer das neuste Kameramodul einzubauen.
Klassen von Fair IT yourself sieht die faire Maus daher auch als „Vorzeigeprojekt“, das der Politik zeigen solle, was möglich ist: „So ein kleiner Verein kann seine Lieferkette transparent dokumentieren. Warum sollten Unternehmen mit viel mehr Geld das nicht auch verpflichtend tun müssen?“
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