Nachruf auf einen Norddeutschen: Schmidt aus Langenhorn

Helmut Schmidts Popularität ist nicht ohne seine Zeit vor der Kanzlerschaft denkbar. Er war ein Politiker, der in Hamburg aufstieg.

Helmut Schmidt

5. September 1977: Der Bundeskanzler Helmut Schmidt nimmt in einer Fernseherklärung Stellung zur Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Foto: dpa

Kurz nach der Ablösung durch Helmut Kohl 1982 wurde bekannt, dass Helmut Schmidt Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit werden würde. Ein Posten im Schatten der Gräfin Dönhoff – also ein Direktorat auf Grüßaugustniveau. In Wahrheit ist Helmut Schmidt als Performer – und Autor – mit dieser Tätigkeit populärer denn je geworden. Vielleicht mag eine Szene aus einer TV-Fragesendung mit Sandra Maischberger dies illustrieren.

Gefragt, ob er den Preis einer Schachtel Zigaretten nach einer drohenden Tabaksteuererhöhung schon wisse, guckte er sie nicht antwortend an, drehte vielmehr seinen Kopf weg und raunte, maliziös und mit dieser gewissen hanseatischen Hochnäsigkeit, die immer freundlich bleibt: „Ich weiß es nicht.“ Schnaufte, an der Kippe ziehend und fügte an: „Aber ich werde es mir leisten können.“ Ach, das war zum Weinen herablassend – ganz großes Kino!

Wie auch immer man dies im Rest der Republik empfang – Hamburger und Hamburgerinnen mochten genau diese Art sehr. Cool, wie man heute sagen würde, bleibend, um dem Gesinde des Mediengewerbes nicht allzu servil zu begegnen, womöglich sich, im Falle Schmidts, als milden Greis zu präsentieren. Nein, das war dieser ehemalige Kanzler niemals, und eventuell ist das das feinste Kompliment, das man ihm, den Jüngere ja gar nicht aus seinen testosterongesteuerten Hochzeiten kennen können, man kann.

Lebensretter auf dem kurzen Dienstweg

Helmut Schmidts Aufstieg zu einem durchsetzungsfähigen Politiker begann in einem gewissen Jahr. Es war 1962, Schmidt war Innensenator der Freien und Hansestadt Hamburg, als im Februar alle Wettervoraussicht bei den Behörden im Sinne aller Dienste nach Vorschrift weitgehend ignoriert wurde.

Dass die sogenannte Flutkatastrophe in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 nicht mehr als die 315 Menschen das Leben kostete, lag an ihm, dem gelernten Soldaten, der schon von Statur und Charisma die Staatsapparate auf Trab brachte. Schmidt, außen- und sicherheitspolitisch schon immer interessiert, organisierte etwa kurzerhand auf dem kurzen Dienstweg Nato-Hubschrauber für die Evakuierung von Menschen, die auf Hausdächern von den eisigen Fluten eingeschlossen waren.

Der Sozialdemokrat kümmerte sich um jene, die es nicht in die erhöhten Elbvororte schaffen können

Dass dieses Ereignis Schmidt Verehrung einbrachte, lag natürlich auch daran, dass die Opfer der schlechten Deichplanung allesamt in proletarischen, in Hafengebieten lebten: Der Sozialdemokrat kümmerte sich also um jene, die es nicht in die erhöhten Elbvororte schaffen können.

Ein halbes Jahr später agierte Schmidt nicht minder schlecht, das war während der sogenannten Spiegel-Krise, als deren Herausgeber Rudolf Augstein festgenommen wurde, weil sein Magazin einen dem Politiker Franz-Josef Strauß missliebigen Text veröffentlicht hatten. Das liberale Bürgertum und deren studentischer Nachwuchs versammelte sich empört in einem der Haupthörsäle der Hamburger Universität. Der Platz reichte kaum aus – aber eine Räumung durch die Polizei kam natürlich nicht in Frage.

Der bombensichere Keller in Langenhorn

Alle waren nervös, die Studierenden, die Uni-Führung, die Polizei - bis Helmut Schmidt, so wird es überliefert, im Pfeffer-und-Salz-Mantel, in den Hörsaal schritt und mit einer völlig unaufgeregten Stimme nur sagte, so die Überlieferung: Meine Damen und Herren, hier passen nicht alle rein, das ist nicht zulässig – gehen wir bitte auseinander und kommen morgen wieder zusammen, dann im Audimax. Und so geschah‘s – ein Moderator gegen die Nervosität des Tages.

Helmut Schmidt lebte, bis zu seinem Tod, im Hamburger Stadtteil Langenhorn. Dort bezogen er und seine Frau Loki einen – mit den Jahren bombensicheren Keller – Bungalow, wie er unauffälliger nicht sein könnte. Auch dies ein Symbol seiner Beliebtheit: Langenhorn – das ist ein Stadtteil ziemlich fern der besseren Viertel, wo junge Nachkriegsfamilien Quartier nahmen, Reihenhäuser, niedriggeschossige Mietshäuser – auch der Bandleader James Last lebte dort zwischen einem psychiatrischen Krankenhaus und einem Hospital, das in einem Bauwerk der SS untergekommen war.

„Wer Visionen hat, sollte besser zum Arzt gehen“

Langenhorn kam sozusagen durch Helmut Schmidt zu Weltruhm – und öfters, etwa durch den polnischen KP-Chef Edward Gierek oder den sowjetischen KP-Boss Leonid Breschnew. Der Neubergerweg gesäumt von freundlichen Menschen, die durch kein Komitee zur Freundlichkeit ermahnt werden musste.

Im Übrigen war Helmut Schmidt nichts für andere, die sich bei einem selbstbewussten Politiker minder fühlen mochten. Bücklinge, Devote hasste dieser Mann – der nicht umsonst „Schmidt Schnauze“ genannt wurde zu seinen besten Bonner Zeiten. Dass er als Politiker mit für die Krise der SPD Ende der siebziger Jahre entscheidend beitrug, besser: zum Aufstieg der Grünen, mochte er geahnt haben, aber politisch stand er für das, was er für das Richtige hielt: „Wer Visionen hat, sollte besser zum Arzt gehen.“

Widerstand gegen die Tilgung des Paragraphen 175

Helmut Schmidt, der das Rauchen wie nichts liebte, das Schachspiel (mit seiner Frau), der andere Frauen begehrte, ohne dass die Öffentlichkeit es je erfuhr, hatte keine Fühlung mehr aufnehmen können mit den libertäreren Zeiten nach 1962, war verantwortlich für die Installation von Einwegspiegeln auf öffentlichen Toiletten der Männerabteilung – um durch Beamte hinter der Fassade Schwulen aufzulauern, so dass sie beim (bis 1969) illegalen Tun aneinander festgenommen oder wenigstens registriert werden konnte.

Schmidt hat das vor wenigen Jahren entschieden bestritten: Er habe für antihomosexuelle Politiken nicht eingestanden, allerdings zugleich dem Koalitionspartner FDP nach der Bundestagswahl 1980 auch zu verstehen gegeben, die Tilgung des § 175 sei mit ihm nicht zu machen, er wolle nicht als Kanzler der Schwulen in die Geschichte eingehen. Dafür, möchte man sagen, als der der Nachrüstung, aber das ist eine andere Geschichte.

In Hamburg hätte er vor einigen Jahren die Bürgermeisterdirektwahl noch gewinnen können, ja, er galt als kanzlerabel, ehe Gerhard Schröder in die Arena schritt. In Hamburg liebte er das Leben jenseits der Chi-Chi-Orte, dafür mochte er mit seiner Frau das geschützte Moorsumpfgebiet (plus Müllberg mit Weltkriegstrümmern plus Kleingärtenparzellen aus den Nachkriegsjahren) hinter ihrem Haus.

Ging er, noch Mitte der Sechziger, von dort mit Frau Loki zur U-Bahnstation Kiwittsmoor, schien er wie im Fernsehen: konzentriert und, ohne Hektik, in Eile. „Guck mal, da gehen Muten und Loki Schmidt“ – Muten, das ist Hamburgisch und die Kurzform von Helmut.

Imponierender Eigensinn

Der Bundeskanzler, der er war, repräsentierte in seinen besten Zeiten für die SPD ein gesellschaftlichen Steuerungsmodell, das an das „Demokratie wagen“ Brandts anschloss – und doch, zumal in Zeiten des RAF-Terrors (für ihn: Bürgerkinderspinnereien) sicher spürte, dass das demokratische Deutschland in seiner krassen Mehrheit vor allem dies haben wollte: Ruhe und Privatheit 30 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus, es hatte keine Empfänglichkeit für die eskalistisch-tödlichen Anmutungen jener, die für die linksradikalen Maschinen standen.

Dass jenseits dieser ein grüner Aufbruch zur Welt kommen würde, blieb ihm immer unverständlich. Helmut Schmidt verstand sich als Leitender Angestellter der Firma Bundesrepublik.

Das hat er, alles in allem, als Teil der schon siechenden Sozialdemokratie – gegen die Strauß‘ und Dreggers und Nationalkonservativen, die es ja auch noch in Fülle gab - gut gemacht. Am Ende imponierte vor allem eines: sein Eigensinn in jeder Hinsicht.

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