Nachruf auf Sänger Terry Hall: Der Junge mit den traurigen Augen
Der britische Ska-Sänger Terry Hall ist tot. Mit seiner Band The Specials prägte er den Sound des postkolonialen United Kingdom.
Es heißt, dass Hirn und Herz in den ersten Sekunden entscheiden, wie wir einen Menschen wahrnehmen. Bei Terry Hall fiel das Urteil eindeutig aus, als ich ihm vor einigen Jahren bei einem Interviewtermin gegenübertrat: Terry Hall war ein sympathischer, ruhiger, sensibler, bescheidener und kluger Mann ohne jede Popstarallüren. Er hätte sie sich leisten können.
Terry Hall war der Sänger der Specials, die Ende der 1970er im United Kingdom innerhalb kurzer Zeit als Stars galten, und bald wurden sie auf der ganzen Welt gehört. Bei den Specials spielten Schwarz und Weiß zusammen, sie repräsentierten die Jugend eines Landes, das nach dem Zweiten Weltkrieg seine Stellung als Empire verloren hatte.
Ihre Musik war der Sound des postkolonialen United Kingdom. Sie war stark vom jamaikanischen Genre 2 Tone geprägt. Ihre Texte erzählten von Armut und Rassismus in einem deindustrialisierten Land.
„This town is coming like a ghost town“, sang Terry Hall in „Ghost Town“, dem größten Hit der Band, und erklärte sodann, warum: Alle Clubs haben zugemacht, hier spielen keine Bands mehr, und das ist kein Zufall, sondern Ausdruck des allgemeinen ökonomischen Niedergangs, mit dem Perspektivlosigkeit und Gewalt einhergehen: „Too much fighting on the dance floor.“ Die Jungen finden keine Jobs und die Regierung lässt sie im Stich.
Wut und Legende
Wenn die Specials sangen, dass es so nicht weitergehen könne, sprachen sie für viele, und als sie davor warnten, dass die Leute wütend werden, nahmen sie die Streikwellen und Krawalle vorweg, die das Königreich erschüttern sollten.
Terry Hall war also schon zu Lebzeiten eine Legende – und er galt als rätselhaft. Berichte über ihn betonten gern, dass er der Mann sei, der niemals lächelt. Bei unserem Gespräch erzählte Hall unvermittelt, warum er so traurig in die Welt schaute.
Er war als Junge unter dem Vorwand eines Französischkurses nach Frankreich gelockt und dort vielfach missbraucht worden. „Das hat mich zerstört, ich war zwölf! Damals gab es medizinisch noch wenig Optionen. Ich bekam Valium und war davon abhängig geworden, als ich dreizehn war.“ Zeitlebens litt Hall unter Depressionen, seine Selbstmedikation war Alkohol. So erklärten sich die traurigen Augen von Terry Hall.
Er stammte aus einer jüdischen Arbeiterfamilie, am 19. März 1959 in Coventry geboren. Er trug eine Halskette mit goldenem Davidstern, als er bei den Specials spielte. „Meine Mutter hat darauf bestanden, dass ich den täglich trage“, erzählte mir Terry. „Es gab damals eine Partei namens The British Movement und wir als Band bekamen von ihnen Todesdrohungen: Zwei Schwarze und ein Jude, das ist perfekt, Mann. Ich hatte also die Wahl, wem ich mich stellen sollte: dem British Movement oder meiner Mutter.“
Schwierige Verhältnisse
Terry war ein talentierter Fußballspieler und er war ein hochintelligentes Kind. Doch für die Eltern, die beide in der Autoindustrie arbeiteten, der Vater schwer alkoholabhängig, war die Idee einer höheren Ausbildung für den Jungen fremd, und das Geld war zu knapp, um es für Bücher und Schuluniform auszugeben.
Zu Hause wurde osteuropäische Musik gehört, Klezmer und die Musik der Roma. Alle in der Familie sangen, und so wurde Terry im Jahr 1977 der Sänger der Automatics, aus denen Special AKA, auch bekannt als The Specials, hervorgingen. Später sang Terry Hall bei Fun Boy Three und The Colourfield.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken