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Nachruf auf Sänger Terry HallDer Junge mit den traurigen Augen

Der britische Ska-Sänger Terry Hall ist tot. Mit seiner Band The Specials prägte er den Sound des postkolonialen United Kingdom.

Terry Hall bei einem Konzert 2019 Foto: imago

Es heißt, dass Hirn und Herz in den ersten Sekunden entscheiden, wie wir einen Menschen wahrnehmen. Bei Terry Hall fiel das Urteil eindeutig aus, als ich ihm vor einigen Jahren bei einem Interviewtermin gegenübertrat: Terry Hall war ein sympathischer, ruhiger, sensibler, bescheidener und kluger Mann ohne jede Popstarallüren. Er hätte sie sich leisten können.

Terry Hall war der Sänger der Specials, die Ende der 1970er im United Kingdom innerhalb kurzer Zeit als Stars galten, und bald wurden sie auf der ganzen Welt gehört. Bei den Specials spielten Schwarz und Weiß zusammen, sie repräsentierten die Jugend eines Landes, das nach dem Zweiten Weltkrieg seine Stellung als Empire verloren hatte.

Ihre Musik war der Sound des postkolonialen United Kingdom. Sie war stark vom jamaikanischen Genre 2 Tone geprägt. Ihre Texte erzählten von Armut und Rassismus in einem deindustrialisierten Land.

„This town is coming like a ghost town“, sang Terry Hall in „Ghost Town“, dem größten Hit der Band, und erklärte sodann, warum: Alle Clubs haben zugemacht, hier spielen keine Bands mehr, und das ist kein Zufall, sondern Ausdruck des allgemeinen ökonomischen Niedergangs, mit dem Perspektivlosigkeit und Gewalt einhergehen: „Too much fighting on the dance floor.“ Die Jungen finden keine Jobs und die Regierung lässt sie im Stich.

Wut und Legende

Wenn die Specials sangen, dass es so nicht weitergehen könne, sprachen sie für viele, und als sie davor warnten, dass die Leute wütend werden, nahmen sie die Streikwellen und Krawalle vorweg, die das Königreich erschüttern sollten.

Terry Hall war also schon zu Lebzeiten eine Legende – und er galt als rätselhaft. Berichte über ihn betonten gern, dass er der Mann sei, der niemals lächelt. Bei unserem Gespräch erzählte Hall unvermittelt, warum er so traurig in die Welt schaute.

Er war als Junge unter dem Vorwand eines Französischkurses nach Frankreich gelockt und dort vielfach missbraucht worden. „Das hat mich zerstört, ich war zwölf! Damals gab es medizinisch noch wenig Optionen. Ich bekam Valium und war davon abhängig geworden, als ich dreizehn war.“ Zeitlebens litt Hall unter Depressionen, seine Selbstmedikation war Alkohol. So erklärten sich die traurigen Augen von Terry Hall.

Er stammte aus einer jüdischen Arbeiterfamilie, am 19. März 1959 in Coventry geboren. Er trug eine Halskette mit goldenem Davidstern, als er bei den Specials spielte. „Meine Mutter hat darauf bestanden, dass ich den täglich trage“, erzählte mir Terry. „Es gab damals eine Partei namens The British Movement und wir als Band bekamen von ihnen Todesdrohungen: Zwei Schwarze und ein Jude, das ist perfekt, Mann. Ich hatte also die Wahl, wem ich mich stellen sollte: dem British Movement oder meiner Mutter.“

Schwierige Verhältnisse

Terry war ein talentierter Fußballspieler und er war ein hochintelligentes Kind. Doch für die Eltern, die beide in der Autoindustrie arbeiteten, der Vater schwer alkoholabhängig, war die Idee einer höheren Ausbildung für den Jungen fremd, und das Geld war zu knapp, um es für Bücher und Schuluniform auszugeben.

Zu Hause wurde osteuropäische Musik gehört, Klezmer und die Musik der Roma. Alle in der Familie sangen, und so wurde Terry im Jahr 1977 der Sänger der Automatics, aus denen Special AKA, auch bekannt als The Specials, hervorgingen. Später sang Terry Hall bei Fun Boy Three und The Colourfield.

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6 Kommentare

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  • Die Specials waren toll, aber heiß geliebt habe ich Fun Boy Three. Ihr erstes Album begleitet mich seit dem ewigen Pop-Sommer 1982. Danke, lieber Terry Hall.

  • Oh Mann, die Specials! Mein Lieblings-Song:

    m.youtube.com/watc...k3pg&start_radio=1

    R.I.P. Terry Hall.

  • Fun Boy Three & Bananarama - It Ain't What You Do



    www.youtube.com/watch?v=iaAUppZLR7Q



    Gute Reise Terry Hall

  • R.I.P Terry Hall.

    The Specials with Amy Winehouse:

    www.youtube.com/watch?v=bqtfl0gt5fM

    Jetzt sehen sie sich im Musikerhimmel wieder.

  • Auf die Sprünge:



    “All you punks and all you teds / National Front and natty dreads / Mods, rockers, hippies, and skinheads / Keep on fighting till you’re dead”.



    www.laut.de/The-Sp.../Do-The-Dog-560940



    The song (Do The Dog) not only distances itself from punk movement, which had already crested and was in decline, but from all subcultural aggression and empty platitudes. Where football hooligans had been a breeding ground for racist thuggery — including National Front neo-nazis, racist skinheads, and Oi! Punks — in “Concrete Jungle” the Specials turn the football chant toward their own purpose, until Terry Hall starts singing out all of the dread and anxiety of the streets: “I’m going out tonight / I don’t know if I’ll be alright / And everyone wants to hurt me … / I can’t dress just the way I want / I’m being chased by the National Front”.



    www.popmatters.com...or-2495454845.html

  • Wie traurig. Wieder ein Wegbegleiter weniger. Die Specials haben mir Ende der 70er erst so richtig auf die Sprünge geholfen.



    Terry Hall hat auch mit den phantastischen Lightning Seeds (u.a. football’s coming home) zusammengearbeitet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er als Co-Autor von „Sense“ für folgende umwerfenden Zeilen verantwortlich ist:

    I'm standing high on tiptoes looking over fences



    Waiting for somebody like you to kiss me senseless



    I've had a bellyfull of faces drawn in sadness



    I want to jump deep into tides of loving madness

    Ein schwarzer Tag. Mach es gut.