Nachruf auf Rolf Seelmann-Eggebert: Der Royal des deutschen Journalismus
Kein Korrespondent deutschsprachiger Medien kam dem britischen Königshaus so nah wie Rolf Seelmann-Eggebert. Dabei war ihm Afrika viel näher. Nun ist der legendäre Reporter gestorben.

Sein journalistisches Interesse habe sich am Anfang seiner Karriere so gar nicht am Dasein europäischer Hochadelshäuser entzündet. In einem Gespräch mit der Zeit vor fünf Jahren sagte Rolf Seelmann-Eggebert: „Ich bin kein Royalist. Als ich Korrespondent in Großbritannien wurde, haben mich die Royals null interessiert. Doch beim NDR waren sie ganz vernarrt in die Liebesgeschichte von Charles und Diana.“
Das war in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als Monarchisches journalistisch, also mit prinzipieller Distanz zu den Objekten der Beobachtung, stärker als in den Dekaden zuvor, nachgefragt wurde. Nicht zuletzt auch deswegen, weil damals private Medien wie RTL oder SAT1 auf Sendung gingen. Rolf Seelmann-Eggebert wurde mit seinen ersten Portraits und Reportagen aus den Königshäusern Europas nie den immer leicht anrüchig gemeinten Ruf eines „Königsfritzen“ los.
Dabei reagierte er auf das NDR-redaktionsinterne Interesse an den ja sehr (überwiegend spekulativen, doch) glamourösen Geschichtchen rund um die Ehe von Prince Charles' mit der bürgerlichen Diana Spencer, deren Ups (wenige) und Downs (viele) und deren Positionen in der Familienaufstellung der britischen Royals wie ein Journalist: Er wollte sie kennenlernen und über sie berichten.
Auf Jagd in royalen Wäldern
Aus diesem Impuls wurde sein Markenzeichen: Rolf Seelmann-Eggebert, 1937 in Berlin in eine Familie geboren, die, wie man so sagt, zu den „besten“ zu zählen ist, Vater Jurist und Geheimer Justizrat, zudem ein Patenonkel aus dem deutschen Adel, avancierte zum Monarchieexperten der ARD. Als Figur verkörperte niemand so perfekt diese gewisse Aura freundlichster Nahferne, geschliffene Manieren, feinste Umgangsformen, londonerisch anmutende Textilien, als sei er selbst eben auf dem Weg zu einer Cricketpartie oder einer Jagd in royalen Wäldern.
Weniger indes das Monarchische als eher das Britische war ihm nah, kein Snob, kein Blasierter, eher ein Mann aus einer Zeit, in der ein Mensch eine Rolle einnimmt und wenig Ansprüche auf Authentizität zu haben hat.
Vermutlich haben seine Korrespondenzen im Radio und im Fernsehen als Kommentator von „Last Night oft he Proms“, der Beerdigung von Princesse Diana und anderer royaler Performances den Teppich für den hierzulande stupenden Erfolg ultrakluger britischer Serien wie „Downton Abbey“, „The Crown“ und „Barnaby“ gelegt. Sie sind Produkte in der kulturellen Tradition des William Shakespeare: gelegentlich klar und hell, das Intrigante nie verschweigend, das Menschliche zur Geltung bringend, und zwar auch – das ist der Unterschied zu deutschen Serien – im Bösen.
Politisch war Seelmann-Eggebert, mehr als ein halbes Jahrhundert stilles, aber überzeugtes Mitglied der SPD, ein Sozialliberaler durch und durch – und das merkte man seinem journalistischen Werk auch an. Sein wichtigstes Interesse hatte mit Afrika zu tun, mit der Dekonstruktion eines damals in Deutschland vorwiegend als Urwaldkontinent bekannten Teils der Welt.
Er wollte, ließe sich sagen, mit dem Flyover-Blick, dem durchaus rassistischen Blick des Frankfurter Zoodirektors Dr. Bernhard Grzimek im TV-Programm aufräumen: der europäische Blick von oben auf Savannen und Regenwälder und wilde Tiere. Lieber zeigen, was ist: Dekolonialisierung, Armut, Hunger, Perspektivlosigkeit, mörderische Händel zwischen Gruppen im Kampf um Teilhabe, Rohstoffe und damit Geld.
Seine Kinder, so sagte er einmal, sind in Afrika groß geworden, in Abidjan an der Elfenbeinküste, in Kenias Hauptstadt Nairobi, dort ist auch ihre Heimat. Einerseits also London, seine in puncto Stil und Distinktion liebste Heimat, andererseits das Afrika südlich der Sahelzone. Seelmann-Eggebert erzählte einmal, wie schwer es redaktionsintern gewesen sei, überhaupt Berichte aus Afrika in der Primetime der ARD unterzubringen – ein Befund seit den sechziger Jahren, an dem sich bis heute kaum etwas verändert hat.
Anlässlich seines Todes hat die ARD seine Doku „Wiedersehen mit Kenia“ in die Mediathek genommen, in der seine Reportagen aus den 1970er Jahren zu sehen sind, sowie seine Eindrücke aus dem Land 50 Jahre später.
In den achtziger Jahren, in der Hierarchie des NDR inzwischen etwas höher gelangt, war es Seelmann-Eggebert zu verdanken, dass der NDR sich, etwa 1985 mit den inzwischen legendären Live Aid-Konzerten aus dem Londoner Wembley-Stadion und dem US-amerikanischen Philadelphia („We are the World“), um journalistische Aufmerksamkeit in puncto Afrika kümmerte. Seine Aktion „Ein Tag für Afrika“, eine Charity-Aktion, wusste Millionen an Mark zu sammeln für karitative Zwecke.
Das humanitäre Engagement war in gewisser Weise der Höhepunkt einer europäisch gutherzig gesinnten Sichtweise auf Afrikanisches: Kontinent des Hungers und der Aussichtsarmut. Auf der Strecke blieb immer ein rabiaterer postkolonialer Blick: Hungern wirklich alle? Oder gibt es nicht gerade in den dekolonisierten Ländern PotentatInnen, die so gut wie kein Interesse am Gemeinwohl ihrer Länder hatten?
Seelmann-Eggebert äußerte vor vielen Jahren bei einer privaten Abendgesellschaft, wäre er weiter journalistisch in Afrika tätig geblieben, wären eben dies seine Reporterfragen gewesen: Wie könnte Europa dem südlichen Nachbarkontinent wirklich nützlich sein?
Wirklich berühmt aber wurde Seelmann-Eggebert schließlich mit seinen Royal-Recherchen. Königin Elizabeth II sei die einzige gewesen, mit der er es nie zum Interview schaffte, obwohl sie gewusst haben wird, wie freundlich und respektvoll einer wie Rolf Seelmann-Eggebert Fragen zu stellen weiß: no chance till the end of her time!
Gegen die Kritik an seiner monarchischen Loyalität war er immun. Seine Art des Fragens blieb beharrlich die gleiche. Durch ihn wirkten die adligen Körper wie der Kettenraucherin Margrete aus Dänemark oder der deutsche Frauenkarrieretraum Silvia Sommerlath, Königin von Schweden – alles Monarchinnen, die karitativ zu wirken wussten – menschlich.
Das kann affirmativ genannt werden, andererseits: Der deutsche Bundespräsidentenhof, eine Schwundstufe republikanischer Repräsentation, war nie glamourös genug – und sollte es ja auch nie sein. Die europäischen Adelshäuser blieben ein ungefährliches Parkett, anders als die deutschen, die die Republik erst nach 1945 zu respektieren wussten.
Rolf Seelmann-Eggebert, der soziologisch feinsinnig die politischen Distinktionen europäischer Monarchien zu sezieren wusste, gefällig und oft interessant, ist am Freitag im Alter von 88 Jahren gestorben. Seine Familie und seine früheren KollegInnen trauern um einen freundlichen Menschen. Er hinterlässt ein Werk von zeitgenössischem Rang.
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