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Nachruf auf Punkikone Vivienne WestwoodAbschied von der Queen of Punk

Sie verstand viel von Provokation und bewunderte das Schneiderhandwerk. Die Designerin und Modeikone Vivienne Westwood ist gestorben.

Gutes Gespür für Provokation und Business: Vivienne Westwood auf der Fashion Week in Paris 2005 Foto: Jacky Naegelen/reuters

Wer streckt der englischen Königin den nackten Hintern entgegen? Natürlich Vivienne Westwood, die vor der Entgegennahme ihres Order of the British Empire der Weltpresse in einem weitschwingenden Rock demonstrierte, dass nicht nur Schotten auf Unterwäsche gut verzichten können. Es ist die Quintessenz Westwoods: Das Spiel mit Medien und Establishment, der Bruch mit Konventionen, stets im Rahmen dessen, was sich vermarkten lässt und zur Relevanz der eigenen Marke beiträgt.

Westwood war Agent provocateur par excellence; einmal fuhr sie mit einem Panzer auf das Wohnhaus des ehemaligen britischen Premierministers David Cameron zu – nun ist sie verstorben, im Alter von 81 Jahren. Dabei steckte so viel Vitalität und Streitlust in der Modeikone, dass man hätte glauben können, sie reiche für hundert und mehr Erdenjahre. Immerhin brachte es die 1941 geborene Westwood zu Lebzeiten von der Tochter einer Weberin und eines Schuhmachers zu der wohl bedeutendsten Designerin der Gegenwart.

Sie benutze Mode nur als eine Ausrede, um über das zu sprechen, was sie bewegt, politisch und kulturell. So sagte es Westwood in einem Interview. Das beherrschende Thema ihres letzten Lebensjahrzehnts waren Umweltschutz und Klimawandel und die Rolle, die Mode und Konsumenten dabei spielen. Designermode ist per definitionem das Gegenteil von Fast Fashion – teuer und ein Luxusprodukt, ist sie das Thema der Wenigen, nicht der Massen.

Insofern konnte sie es sich leisten, Konsumenten dazu aufzurufen, weniger und nachhaltiger zu konsumieren, zu reparieren und umzufunktionieren, statt wegzuschmeißen. Trotzdem blieb die Frage der Kommerzialisierung der Marke Westwood ein Thema, das nicht selten zu Auseinandersetzungen führte. Auch mit ihrem Ehemann Andreas Kronthaler, der als Designer an ihrer Seite arbeitete.

Quintessenz der Provokation

Westwoods Oeuvre ist ein Nicken in Richtung der großen Vorbilder, zugleich aber auch eine freche Parodie. Imitation is the sincerest form of flattery, sagen die Engländer, doch bei Westwood tritt das Element der Karikatur hinzu: Etwa wenn die Brüste ihrer Models aus Brustheben und Korsetts herausfallen und damit an eine kokette Mode des 17. Jahrhunderts erinnern. Oder wenn sie Po-Polster auf ihre Kleider setzt, statt sie unter der Konstruktion des Rockes zu verstecken.

In ihrem legendären SEX Shop – die Lettern prangten, aus rosafarbenem Schaumgummi gefertigt, an der Front des Ladengeschäftes – verkauften Westwood und ihr kongenialer Partner Malcolm McLaren zwischen 1974 und 1976 neben den selbstgeschneiderten Outfits Westwoods auch Fetisch-Marken. Don't be told what you want/ Don't be told what you need. Was Westwood und McLaren brauchten, war die Quintessenz der Provokation, das Aufschrecken des Spießbürgers; zugleich steckt dahinter ein echtes Gespür für Business.

Über die Feier der ikonischen Punk-Looks, die Westwood in den 70er Jahren kreierte, sollte nicht vergessen werden, dass ihr Designerleben beherrscht war von der Faszination für Schneiderhandwerk, insbesondere der Konstruktionsweise klassischer Korsetts, Kostüme und historischer Kleider. Und sie verehrte Christian Dior, dessen Kleider bis heute Inbegriff des Schneider- und Designhandwerks sind.

Ob man es glaubt oder nicht: Auch in den Punk-Looks trat ihre Faszination für die Konstruktion von Kleidung zum Vorschein, buchstäblich sogar. Die Shirts und Hosen zeigen ihre Nähte, tragen ihr Innerstes nach außen; Sicherheitsnadeln werden zum Dekor.

Brüste und Pobacken entblößt

Die Bilder aus jener Zeit sind roh, Westwoods Models brechen mit den Konventionen des Schönseins – jedenfalls wenn man darunter Gefälligkeit versteht. Brüste und Pobacken werden entblößt, Strapse und Brustwarzen in Szene gesetzt. Es sind die 70er Jahre in England, das Land geht den Bach herunter, die Wirtschaft liegt am Boden, zugleich frönt das englische Volk einer Faszination für die Royals, deren Stellung unangetastet bleibt.

Bereits seit Anfang der 70er war der Shop Westwoods und McLarens unter wechselnden Namen zum Tummelplatz der jungen Punkszene geworden. Dann treten 1975 die Sex Pistols auf die Bühne – oder besser: Sie werden von McLaren auf die Bühne gestellt.

God save the Queen / the fascist regime. Das ist noch heute harter Tobak. Obendrein aus dem Munde eines Rotzlöffels wie Johnny Rotten. Im Video zum Song trägt Rotten ein an den Armen überlanges Shirt, es sieht aus, als wäre es aus Mesh gefertigt, ist halb durchsichtig, und die Ärmel sind an den Handgelenken leicht gepufft. Wenig maskulin ist das, und ein harter Kontrast zu seinen eng sitzenden Lederhosen. Es ist ein Unisex-Look, Westwood trägt damals dieselben Outfits; Punk versprach die Sprengung der Geschlechtergrenzen.

Welch seltsame Ironie, dass die Queen of Punk und die echte Queen im selben Jahr, im Abstand nur weniger Monate, verschieden sind. We love our queen. God saves.

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3 Kommentare

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  • Kurz zum Rotzlöffel-Ismus: Ich habe nochmal nachgefragt, und meine authentische punk - connection meinte, man solle die lyrics nicht überinterpretieren, es wäre nur ums Anrotzen gegangen, um die Provokation. Dummerweise fügte die Person hinzu, dass ich damals bei Feten auch die Wände seiner Wohnung bespuckt hätte, was nicht gerne gesehen worden wäre. Ich wies darauf hin, dass pogo-ing ohne Spucken nicht stilecht sei. Außerdem hätte ich das Spucken schon beim Fußballspielen gelernt. Wir einigten uns darauf, dass sie ein fake punk und ich ein konformer Punk waren; als ex-Hippie war sie eigentlich gar nicht zum punk geeignet. Ob das für Vivienne, 15 - 20 Jahre älter als die punks, eigentlich auch gilt? Ich fand sie jedenfalls authentisch, Geld war ihr ziemlich egal, obwohl sie sehr beneidet wurde (ist eine rein intuitive Annahme von mir). Aber wenns um die lyrics geht, ziehe ich immer noch Joe Strummer und die Clash vor. Das war dann schon "new wave".

  • Ich glaube, der Text war bis für ein paar Leute vom BBC zumindest unter den Jüngeren kein harter Tobak, die Briten kapierten, dass jetzt endlich Schluss mit dem ganzen vornehmen Getue war. So ist auch der Text zu verstehen: "God save the queen, the fascist régime, they made you a moron". Unter fascist régime muss man nicht die Regierung verstehen, es kann sich auch einfach um das enge Korsett/Regiment handeln, das der Queen keine einzige subjektive Äußerung erlaubte und sie so verkrüppelte. Charles hat sich in seiner Weihnachtsansprache davon etwas zu befreien versucht. Die Sex Pistols gründeten sich in den letzten Jahren einer sozialdemokratischen Regierung (Callaghan), und anders als die Clash machten sie sich über Weltthemen keine besonderen Gedanken. Ich habe damals Johnny Lydon gehört, wie er die "fucking socialists" verfluchte, die zu dem Zeitpunkt zu Teilen zum Establishment gehörten. Und dann kam Thatcher.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Die Großartige habe ich vor Jahren mal in einem Interview gesehen. Da zitierte sie Shakespeare "by heart". - From “Love’s Labor ’s Lost:



    "WHEN icicles hang by the wall,



    And Dick the shepherd blows his nail,



    And Tom bears logs into the hall,



    And milk comes frozen home in pail,



    When blood is nipped, and ways be foul,5



    Then nightly sings the staring owl,



    To-whoo;



    To-whit, to-whoo, a merry note,



    While greasy Joan doth keel the pot.

    When all aloud the wind doth blow,10



    And coughing drowns the parson’s saw,



    And birds sit brooding in the snow,



    And Marian’s nose looks red and raw,



    When roasted crabs hiss in the bowl,



    Then nightly sings the staring owl,15



    To-whoo;



    To-whit, to-whoo, a merry note,



    While greasy Joan doth keel the pot.



    www.bartleby.com/360/5/118.html