Nachruf auf Pelé: Der Wunschkönig
Pelé war ein Alleskönner. Ein Ausnahmefußballer, dessen Größe auch seine Bewunderer größer werden ließ und dem man deshalb manches nachsah.
Vor wenigen Wochen erst wurde Pelés letzter WM-Auftritt gefeiert. Das brasilianische Spiel hatte gegen Südkorea zu seiner atemberaubenden Schönheit aus ganz alten Tagen zurückgefunden, der Einzug ins Viertelfinale stand fest, und Neymar und seine Teamkollegen trugen nach Schlusspfiff ein Banner mit einem Foto von Brasiliens größtem Fußballer aufs Spielfeld. Neben dem Bild stand einfach: Pelé! Zu der Zeit rang die 82-jährige Legende im Albert-Einstein-Krankenhaus von São Paulo schon mit ihrem Leben. Und nicht wenige dürfte in diesem Moment der romantische Gedanke ergriffen haben, dass die Seleção den WM-Pokal mit und für Pelé gewinnen wird.
Letztlich reckte der Argentinier Lionel Messi, ein anderer Fußballheiliger, die Trophäe in den Himmel und viele auf der Welt betrachteten das wohlwollend als das logische Ende seines Lebenswerkes. Wie Diego Maradona und Pelé stand ihm das einfach zu. Im Schatten der Großen dieses Sports verschwinden Teams und ganze Länder. Und mit der Größe der Bewunderten werden die Bewunderer auch immer ein Stück größer.
Der Wunsch, Pelé oder andere zum größten Fußballer aller Zeiten zu erklären, hat immer etwas damit zu tun, das eigene Leben ein wenig aufzuwerten. Gegenwartszeuge von etwas ganz Besonderem gewesen zu sein. Ihn vielleicht mit eigenen Augen gesehen zu haben. Insofern haben viele Pelé, der andächtig oft auch „O Rei“ (der König) genannt wurde, viel zu verdanken. Und seine Persönlichkeit ist angesichts so großer Projektionen, denen er ausgesetzt war, kaum zu fassen.
Der Druck, der auf ihm lastete, als in Brasilien eine Militärdiktatur herrschte und bei seiner letzten WM 1970 alle von ihm und dem Team den Titel erwarteten, war immens. „In diesem Moment wollte ich nicht Pelé sein“, sagte er im Rückblick. Das große Geschenk des Sieges, sein insgesamt dritter WM-Titel, sei nicht die Trophäe, sondern die Erleichterung gewesen. Vor Pelé machten sich selbst die wichtigsten Staatenlenker klein. In den USA stellte sich einer ihm so vor: „Mein Name ist Ronald Reagan, ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie hingegen müssen sich nicht vorstellen, denn Pelé kennt wirklich jeder.“
Schon minderjährig Weltstar
Den Spitznamen Pelé hatte dem mit bürgerlichen Namen heißenden Edson Arantes do Nascimento ein Mitschüler verpasst, um ihn zu hänseln. Weil dieser sich darüber so aufregte und kleingemacht fühlte, klebte der Name auf immer an ihm und wurde zum Inbegriff von Größe. Pelé kam aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater war ein mäßig begabter Fußballer, seine Mutter Wäscherin und der kleine Pelé musste als Schuhputzer ein wenig Geld hinzuverdienen. Erzogen wurde er streng katholisch. Fluchen war verboten und über Sex wurde nicht gesprochen. Das erzählte er in seiner Autobiografie „Mein Leben“.
Mit noch nicht einmal 16 Jahren debütierte er in der brasilianischen Liga, ein paar Monate später schon in der Nationalmannschaft. Zum Weltstar wurde er noch minderjährig, als jüngster Spieler bei der WM 1958 in Schweden. Die ersten beiden Spiele ließ ihn Trainer Vicente Feola noch draußen, dann wurde Pelé zur Entdeckung des Turniers und erzielte sechs Tore. Schon damals wurde der 17-Jährige als Alleskönner bewundert.
Ein begnadeter Techniker mit Übersicht, mit 11 Sekunden auf 100 Meter unglaublich schnell, beidfüßig, kopfball- und abschlussstark. Einer mit Sinn für Strategie und Intuition. Berühmt sein Tor gegen Schweden zum 3:1, als er den Ball mit der Brust annahm, ihn kunstvoll über den Verteidiger hob und volley vollendete. Fußball ist aber nicht nur Fußball. Mit dem WM-Titel in Schweden legte eine ganze Nation mit sehr mäßiger Wirtschaftskraft ihre Komplexe ab und erlangte Weltbedeutung. Und damit eng verwoben war der Name Pelé.
Globale Zuneigung schlug auch seinem Verein, dem FC Santos, entgegen, Weltpokalsieger von 1962 und 1963, den er trotz lukrativer Angebote aus Europa erst am Ende seiner Karriere verließ. Der Klub verdiente damals auf Weltreisen dank Pelé gutes Geld und konnte sich vor Engagements kaum retten. Bis zu hundert Partien bestritt der Weltstar in einer Saison aufgrund der vielen Tourneen. Die kapitalistische Verwertungslogik hielt Einzug in das beliebte Spiel und Pelé wurde Paradebeispiel für schwindelerregenden sozialen Aufstieg, den der Fußball möglich machen konnte.
In anderen Sphären
Er erhielt etliche gut dotierte Werbeverträge und zu seiner aktiven Zeit eine kleine TV-Rolle in einer Telenovela.
In seiner Autobiografie beschrieb er, wie er als 26-Jähriger sein Geld und seine Geschäfte abseits des Fußballs einem Freund anvertraute. „Ihm zur Seite standen neun weitere Angestellte, fünf Rechtsanwälte, zwei Volkswirte, jemand für die Pressearbeit und eine Sekretärin.“ Das waren damals Sphären, die wohl ähnlich weit entfernt von der Lebenswelt der Fans waren, wie das heute bei der Honorierung von Ausnahmefußballern der Fall ist. Weil Pelé häufig den falschen Freunden vertraute, kam er aber immer wieder in Geldnot. Ein Grund auch, weshalb er am Karriereende das attraktive Angebot von Cosmos New York nicht ausschlagen konnte, das ihm 6 Millionen Dollar einbrachte und später dann die Bekanntschaft mit dem Teamkollegen Franz Beckenbauer.
Ähnlich wie bei Beckenbauer wurde Pelé von seinen Landsleuten vieles nachgesehen – zumindest nach einer gewissen Verjährungsfrist. Viele bedauerten es sehr, dass er sich nach dem WM-Titel 1970 vom Diktator Medici zu sehr vereinnahmen ließ, der lieber mit schönem Fußball statt mit Folter in Verbindung gebracht werden wollte. Schon damals nutzten die Politiker die Macht der Bilder und Medici umarmte bei der Siegesfeier vor den Kameras Pelé.
Distanzierende Worte von Pelé hätten damals gewiss eine große Macht gehabt. In seinen Erinnerungen schrieb er: „Natürlich war das auch in politischer Hinsicht eine gute Werbung für unser Land. Doch es war offensichtlich, dass sich der Präsident auch einfach als Fußballfan und Patriot über unseren Sieg freute.“ Pelé nahm das Privileg der Naivität für sich in Anspruch. Einmal sagte er, man dürfe sich in der Bewertung der Militärdiktatur, wer auf welcher Seite stand, nicht in den kleinen Dingen verlieren. „Ich bin Brasilianer, ich will das Beste für mein Volk.“
Pelé wollte aber nicht nur als Fußballer Anerkennung. Während seiner Karriere büffelte er für Uni-Zulassungsprüfungen und absolvierte ein dreijähriges Sportstudium. Als erster Schwarzer wurde er von 1995 bis 1998 unter der Regierung des Präsidenten Fernando Henrique Cardoso Sportminister.
Sein Leben lang war und blieb er aber Anwalt des schönen Spiels. O Jogo Bonito, wie es die Brasilianer nennen. Als bei der WM 1966 die Gegner durch überhartes Spiel Pelé erfolgreich aus dem Spiel nahmen, zerbrach für diesen eine Welt. Er wollte danach seine Nationalmannschaftskarriere an den Nagel hängen. Die Einführung der Gelben und Roten Karte bei der WM 1970 feierte Pelé als eine der großen neuen Errungenschaften des Spiels. Am Ende seiner Laufbahn hatte er 1.282 Treffer erzielt, welche die Gegner bei allem Bemühen nicht verhindern konnten. Eine unglaubliche Zahl, hinter der sich noch unglaublichere Schönheit verbirgt.
Andy Warhol sagte einmal: „Pelé war einer der wenigen, die meiner Theorie widersprechen: Anstelle von 15 Minuten wird er 15 Jahrhunderte Ruhm haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos